Anja Matzker.DEKALOG HEUTE
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DAS ZWEITE GEBOT<br />
UWE KOLBE<br />
Reformation im 16. Jahrhundert, ob in Bamiyan in Afghanistan<br />
2001 oder bei den Auftraggebern der Attentäter von New York im<br />
selben Jahr. Mit kurzen Gedanken wird das Bilderverbot gar nicht<br />
erst verstanden, sondern rasch und destruktiv befolgt.<br />
Wer länger denkt, wird der Zerstörung entraten. Der lange<br />
Gedanke korrespondiert mit Lektüre. Stetig und gelassen zur Tiefe<br />
vordringend, bedarf er, dass, der ihn fassen und auf ihn sein Leben<br />
bauen will, wieder und wieder lesen, neu lesen muss, anders begreifend<br />
nach früherem Begreifen oder darüber weg, oft gänzlich<br />
von vorn.<br />
Lesen wir das zweite Gebot in der Fassung Martin Bubers<br />
und Franz Rosenzweigs, bei denen sich der sogenannte ethische<br />
Dekalog in dem »Buch Namen« findet: »Nicht mache dir Schnitzgebild,<br />
– und alle Gestalt, die im Himmel oben, die auf Erden<br />
unten, die im Wasser unter der Erde ist, neige dich ihnen nicht,<br />
diene ihnen nicht, denn ICH dein Gott bin ein eifernder Gottherr,<br />
zuordnend Fehl von Vätern ihnen an Söhnen, am dritten und vierten<br />
Glied, denen die mich hassen, aber Huld tuend ins tausendste<br />
denen die mich lieben, denen die meine Gebote wahren.«<br />
So war das also, kurz gesagt: Kein Schnitzgebild sollte ich mir<br />
machen. Schon sehr früh habe ich mir aber eines gemacht. Da<br />
hockte ich nämlich in dem Wald meiner Furcht, und was mich<br />
dort unheimlich anwehte, dem gab ich ein Gesicht an meinem<br />
Wanderstab. Als ich fertig war mit dem Schnitzen, packte ich<br />
ihn an und ging sicheren Schritts von dannen. Nun war ich gewappnet,<br />
nun ging ich gefeit meines Wegs. Ich hatte mir den<br />
verfügbar gemacht, der größer war als ich, dass er mir diente<br />
zum Schutz unmittelbar. Aus dem, das mich anwehte von außen<br />
und aus mir selbst zugleich, aus dem Namenlosen hatte ich etwas<br />
gemacht wie einen Dschinn, einen dienstbaren Dämon,<br />
einen Domestiken. Nun, wo ich so handfest geworden war mit<br />
meinem Abbild – Augen, Nase, Mund waren halbwegs gelungen –,<br />
konnte keiner mehr zu mir sagen: »Du gleichst dem Geist, den du<br />
begreifst, nicht mir! « Ich griff zu, und zwar zu meinem Gott und<br />
schritt wacker aus. Manche nennen das primitiv. Manche nennen<br />
den Kult um ein Totem primitiv. Andere sprechen von der bildermächtigen<br />
Welt des griechisch-römischen Altertums verniedlichend<br />
als von einer »Kinderstube der Menschheit«. Die nächsten fackelten<br />
das Schnitzgebild des windrosensichtigen Gottes Svantovit auf Kap<br />
Arkona ab und ersetzten seinen Tempel durch ein Kirchlein.<br />
Wie auch immer, die sich ein Bild von ihm machen, verfügen<br />
jedenfalls sinnlich über Gott. Die naheliegenden Vorteile der Sinnlichkeit<br />
haben nur einen Pferdefuß (so sehr, wie Gott im Gebot,<br />
auf der linken Tafel seines Schreibers Mose, dagegen eifert, muss<br />
es sich um etwas Böses handeln) oder sagen wir, einen Nachteil:<br />
Ich bete in aller Regel das Bild an statt der Gottheit. Hat das<br />
Christentum, das sich die Gesetzestafeln Mose zu eigen machte,<br />
während es den Bund Gottes mit dem Volk aussetzte mit der Behauptung,<br />
Jesus sei der Sohn Gottes, des Messias bedürfte es nicht<br />
mehr – hat das Christentum nicht schon von der Wurzel her die<br />
Idolatrie seiner Vorgänger fortgesetzt? Haben nicht Generationen<br />
von Künstlern an heidnische Tradition angeknüpft, etwa mit der<br />
Übernahme der ägyptischen Ikonographie im Marienbildnis oder<br />
der orphischen im Bildnis Jesu als Herrscher, Richter, Besänftiger?<br />
Dienten nicht die Ikonenmaler, die Künstler im Mittelalter insgesamt,<br />
in der reichen Renaissance, im bildersüchtigen Barock<br />
usw. mit ihrer Lust, das Gebild mehr und mehr zu perfektionieren,<br />
dem Kult des Bildes, bezahlt von den Herren der Kirche selbst?<br />
Statt Jesus anzubeten, den Sohn Gottes, der den Evangelisten<br />
Matthäus beruft mit einem Fingerzeig, welcher lapidar die Geste<br />
Gottvaters bei der Erschaffung Adams in der Sixtinischen Kapelle<br />
zitiert, knien wir vor einer Gruppe Männer in einer interessanten<br />
Situation, schließlich und endlich sogar vor dem Maler der Szene,<br />
dem großen Caravaggio. Manch Träne vor dem gemarterten Leib<br />
am Kreuz oder vor dem Auferstehenden oder dem Unberührbaren,<br />
den Magdalena sah – ach, Magdalena –, vor der Figur des<br />
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