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FORBES
GLÜCKSBRINGER
Bringt mehr Geld mehr Glück? Ja und nein, sagt der Ökonom und Universitätsprofessor
Mathias Binswanger. Denn nur bis zu einem gewissen Punkt steigert Geld
unser Glücksempfinden – danach flaut der Effekt ab.
Text: Muamer Becirovic
Foto: Universität Zürich
Das Geld hat alles er- und überlebt:
Revolutionen, Kriege,
Ideologien wie den Sozialismus
und Kommunismus. Letztlich
hat keine Weltanschauung das
Geld erfolgreich aus der Welt schaffen können.
Das Zahlungsmittel wurde zu einem
wichtigen Gehilfen, um die Menschheit
aus der Armut zu heben und ihr zu Wohlstand
zu verhelfen. Der Westen ist heute so
wohlhabend, dass ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts
seine Bürger nicht zwangsweise
glücklicher machen muss. Aber wie
kam es so weit? Und was bedeutet das für
unsere wachstumsgetriebene Wirtschaft,
wenn sie auf die begrenzten Ressourcen der
Welt stößt? Ein Gespräch mit dem Ökonomen
Mathias Binswanger.
„Wenn die grundlegenden materiellen Bedürfnisse einmal gedeckt sind,
werden andere Dinge zentral für das Glück – etwa eine sinnvolle Arbeit oder
ein erfülltes Sozialleben“, sagt der Ökonom Mathias Binswanger.
Teufelszeug oder Glücksbringer?
Professor Binswanger steht im
grauen Anzug auf der Bühne und erläutert
in seinem Schweizer Dialekt der politischen
Elite Österreichs, dass man sich
mit Geld gegenwärtig doch alles kaufen
könne: Den Schlaf und Hunger mit chemischen
Substanzen, den Verstand mit
Büchern und Bildungsprogrammen –
lediglich beim Platz im Himmel klappe
das noch nicht so ganz. Das Publikum
schmunzelt. Doch wozu das ganze Geldverdienen,
stellt Binswanger weiterführend
als offene Frage in den Raum.
Binswanger ist nicht der Erste,
der diese Frage stellt. Die meisten Denker,
beispielsweise Aristoteles, begegneten
der Geldvermehrung mit einer
gewissen Distanz. Sie unterschieden
zwischen einer bedürfnisbefriedigenden
Wirtschaft und einer wachstumsgetriebenen
Geldwirtschaft. Die wenigsten
hingegen, etwa der Dichter François
Villon, sahen in der Geldvermehrung
den alleinigen Lebenssinn. Lange galt
das Geldvermehren als Teufelszeug. Erst
mit Adam Smith, der die These vertrat,
dass eigennütziges Verhalten allen zugutekomme,
änderte sich die Sicht darauf.
„Damit wurde die Gier des Menschen
salonfähig und letztlich zu einem
positiv gedeuteten Antrieb. Das Streben
nach möglichst hohen Gewinnen und
möglichst hohen Einkommen erscheint
uns heute völlig normal. Moralisch hinterfragt
wird erst dann, wenn es mit offensichtlichen
Kollateralschäden wie
Umweltschäden, Gefährdung der Gesundheit,
Kinderarbeit et cetera verbunden
ist. Die Menschen sind heute zwar
die gleichen wie zu Zeiten von Aristoteles,
aber es gibt in der heute existierenden
kapitalistischen Wirtschaft viel
mehr und bessere Möglichkeiten, Habgier
in wirtschaftlichen Erfolg zu verwandeln,
als in früheren Zeiten“, fasst
Binswanger zusammen.
Die Suche nach dem Glück
In Westeuropa sind nach der
Maslowschen Bedürfnispyramide die
physiologischen Grund- und Sicherheitsbedürfnisse
befriedigt. An der Pyramidenspitze
bleiben noch die Sozialund
Individualbedürfnisse wie auch die
Selbstverwirklichung an sich übrig. Zu
verdanken hat man das der Wirtschaftsentwicklung
seit der Mitte des 19. Jahrhunderts,
die mit wenigen Abstrichen
nur Wachstum kannte. Großbritanniens
Pro-Kopf-Einkommen vervielfachte sich
zwischen 1848 und 2016 von 3.172 auf
30.280 britische Pfund.
Doch führt ein immer größeres
Einkommen zu mehr Glück? „Wenn die
grundlegenden materiellen Bedürfnisse
einmal gedeckt sind, werden andere Dinge
zentral für das Glück, wie eine sinnvolle
und interessante Arbeit oder ein
erfülltes Sozialleben. Dazu kann mehr
Einkommen aber kaum etwas beitragen“,
so Binswanger. Die Zahlen geben
ihm recht: Laut dem World Happiness
Report von 2019 mag Großbritanniens
Wert auf der Glücklichkeitsskala zwischen
2005 und 2018 von 6,98 auf 7,23
gewachsen sein. Von 2007 bis 2015 stagnierte
oder verringerte sich dieser Wert
allerdings. Im reichen Österreich hat
sich der Wert zwischen 2013 und 2018
trotz Wirtschaftswachstums von 7,5 auf
7,4 verringert.
Zum Wachstum verdammt
Wenn uns größerer materieller
Wohlstand also nicht mehr glücklicher
macht, wieso muss die Wirtschaft dann
wachsen? Sie könnte doch auch stagnieren.
Flexibel war der Kapitalismus
ja schon immer. „Die Flexibilität ist eine
der Stärken des Kapitalismus. Wachstum
kann sowohl zu mehr Ungleichheit als
auch zu mehr Gleichheit in der Einkommensverteilung
führen, oder es kann mit
mehr oder weniger Umweltbelastungen
erfolgen. Das sind letztlich politische
Entscheidungen, mit denen man Einfluss
auf den Kapitalismus nimmt. Nur etwas
geht nicht: dem Wachstum Grenzen setzen!“
Laut Binswanger gibt es entweder
den Gang in eine Abwärtsspirale oder in
Wachstum: „Wir müssen wachsen; nicht
nur, um unseren Wohlstand auszubauen,
sondern auch, um ihn zu erhalten.“
Fällt das Wachstum aus, hat nicht
nur die Volkswirtschaft ein Problem,
sondern auch der Staat, dem Steuereinnahmen
wegfallen und der somit
auch die Wohltaten nicht mehr bezahlen
kann, die man bereits gewohnt ist. Befinden
wir uns mit unserem Wirtschaften
also nicht in einer Sackgasse? Binswanger:
„Der Kapitalismus ist ambivalent
und sowohl Segen als auch Fluch. So hat
das Wachstum einen materiellen Wohlstand
für die meisten Menschen in vielen
Ländern ermöglicht, der auch zu einer
drastischen Verbesserung der Lebensbedingungen
und der Gesundheit geführt
hat. Andererseits besitzt Wachstum
ein erhebliches Zerstörungspotenzial für
die natürliche Umwelt und trägt nicht
mehr zu weiterem Glück der Menschen
in hoch entwickelten Ländern bei. Das
Versprechen des Wachstums auf mehr
materiellen Wohlstand verliert so seine
Attraktion, ohne durch etwas Besseres
ersetzt zu werden.“
Das mag für einen Ökonomen
ungewohnt klingen, verdeutlicht aber
auch die diversen Diskussionen in der
Szene. Auf die provokante Frage, was
der Mensch denn letztlich überhaupt anstrebt,
weil er weder einen Kapitalismus
in Reinform noch die Abschaffung dessen
will, antwortet Binswanger: „Menschen
wollen letztlich zwei Dinge: einerseits
die Chance, nach oben zu kommen
und für Leistung belohnt zu werden, andererseits
wollen sie aber auch ein faires
System. In kommunistischen Ländern
waren die Menschen unzufrieden, weil
Leistung nicht belohnt wurde, und man
keine Chance hatte, sich zu verbessern.
Menschen sind aber auch nicht zufrieden
in Ländern, wo ein paar Prozent der
Bevölkerung ohne ersichtliche Leistung
einen enormen Reichtum haben, und
ein Großteil der Bevölkerung trotz Anstrengungen
nie auf einen grünen Zweig
kommt. In einer glücklichen Gesellschaft
sind die Einkommen weder extrem gleich
noch extrem ungleich verteilt.“
Mathias Binswanger ist ein
Schweizer Ökonom und
Universitätsprofessor an der
Fachhochschule Nordwestschweiz.
D A I L Y
MATHIAS BINSWANGER
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