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Therapeutisches Reiten in der Traumaarbeit - Kristina Hänel

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Verlauf<br />

Als die K<strong>in</strong><strong>der</strong> kamen, wurden zuerst die Pferde von <strong>der</strong> Weide geholt. Wir waren gewarnt<br />

worden, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> von ihren Heimatlän<strong>der</strong>n her e<strong>in</strong>en eher ruppigen Umgang mit Tieren als<br />

re<strong>in</strong>e Nutztiere gewöhnt seien. Diese Annahme bestätigte sich aber nicht. Sie waren sehr <strong>in</strong>teressiert<br />

und um Kommunikation mit den Pferden bemüht, z.B. rupften sie Gras vom Wegrand, um die Tiere<br />

damit anzulocken. Durch die geme<strong>in</strong>same Interaktion mit den Pferden wurde <strong>der</strong> Kontakt <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> Gruppe relativ schnell <strong>in</strong>tensiviert. Dann begann das Putzen. Zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong> wählten e<strong>in</strong> Pferd, für<br />

das sie sowohl beim Putzen als auch beim <strong>Reiten</strong> und <strong>in</strong> <strong>der</strong> anschließenden Versorgung zuständig<br />

waren. Jedes Pferd hat bei uns e<strong>in</strong>e Farbe. Mit dieser s<strong>in</strong>d Putzkisten, Bürsten, Hufkratzer, Trense,<br />

Sattel, Ausb<strong>in</strong><strong>der</strong> und Gurte markiert. Das ermöglicht es auch den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, die nicht lesen können,<br />

die Sachen für die Pferde zu f<strong>in</strong>den. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> verteilten sich auf die Pferde und jeweils zwei<br />

putzten geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> Pferd. E<strong>in</strong> beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ter Junge hatte größere Schwierigkeiten im<br />

Körperkontakt mit dem Pferd. Er hatte Angst und wusste nicht, wie er das Tier anfassen sollte. Er<br />

versuchte, auf gewaltsame Art Kontakt aufzunehmen, <strong>in</strong>dem er gegen den Hals schlug etc. Das<br />

verstärkte natürlich die Unruhe des Pferdes, was wie<strong>der</strong>um se<strong>in</strong>e Angst vergrößerte. Über die<br />

Beobachtung <strong>der</strong> Reaktion des Pferdes und mit <strong>der</strong> Erklärung, dass er auch nicht gehauen werden<br />

möchte und dass das dem Pferd wehtut, konnte er lernen, wie er das Pferd anfassen konnte, ohne<br />

hauen zu müssen. Danach taute er sichtlich auf, das Gewaltpotential den Tieren gegenüber<br />

verschwand zunehmend und machte e<strong>in</strong>em liebevollen Umgang Platz. Parallel zur Entspannung des<br />

Pferdes entspannte er sich, konnte sich freuen und lachte. Das Hauen des Pferdes kam später nicht<br />

mehr vor. Beim Auskratzen <strong>der</strong> Hufe hielten wir die Hufe hoch, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> durften kratzen. Hieran<br />

waren bis auf e<strong>in</strong>en Jungen, <strong>der</strong> sich auch später überwiegend zurückhielt und das Ganze aus <strong>der</strong><br />

Ferne betrachtete, alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> eifrig beteiligt.<br />

Nach dem Satteln brachten wir die Pferde auf die Wiese, wo wir zuvor mit Strohballen e<strong>in</strong>en<br />

Slalom aufgebaut hatten. Wir begannen mit <strong>der</strong> üblichen Aufwärmübung, die die K<strong>in</strong><strong>der</strong> schon von<br />

den vorigen E<strong>in</strong>heiten her kannten. Dann versuchten wir, die Aufgabenstellung zu erklären. Da die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> kaum Deutsch sprachen, waren wir auf wenige verbale Äußerungen angewiesen, <strong>der</strong> Rest<br />

musste mit den Händen gezeigt werden. An dieser Stelle passierte etwas ganz Erstaunliches. E<strong>in</strong><br />

älteres albanisches Mädchen schaffte es, unsere Anweisungen für die kurdischen K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er für<br />

diese verständlicheren Sprache weiterzugeben, obwohl sie gar ke<strong>in</strong> Kurdisch konnte und die<br />

kurdischen K<strong>in</strong><strong>der</strong> Albanisch nicht verstanden. Diese Rolle <strong>der</strong> „Übersetzer<strong>in</strong>“ sollte sie auch <strong>in</strong><br />

späteren E<strong>in</strong>heiten beibehalten. Das Aufsteigen begann. Offensichtlich waren die K<strong>in</strong><strong>der</strong> es<br />

gewohnt, sich selbst zu helfen. Des öfteren hatten sie <strong>in</strong> früheren E<strong>in</strong>heiten versucht, e<strong>in</strong>fach auf das<br />

Pferd zu klettern, ohne sich um jemanden zu bemühen, <strong>der</strong> ihnen vielleicht hätte h<strong>in</strong>aufhelfen<br />

können. Dies Verhalten kann e<strong>in</strong> Zeichen von Selbständigkeit se<strong>in</strong>, kann aber auch bedeuten, dass<br />

sie sich lieber nicht jemand an<strong>der</strong>em anvertrauen. Im Verlauf zeigte sich <strong>in</strong> diesem Verhalten e<strong>in</strong>e<br />

Än<strong>der</strong>ung. Sie waren jetzt zunehmend <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, sich gegenseitig zu helfen und Hilfe von uns<br />

anzunehmen.<br />

Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> versuchten, den Slalom zu durchreiten. Es klappte nicht. Das e<strong>in</strong>e Pferd g<strong>in</strong>g an den<br />

Strohballen vorbei, das nächste stellte sich quer, es entstand sozusagen e<strong>in</strong>e etwas chaotische<br />

Situation. E<strong>in</strong> Junge aus dem Kosovo, <strong>der</strong> sich normalerweise eher zurückgehalten hatte, wollte nun<br />

unbed<strong>in</strong>gt ausprobieren, e<strong>in</strong> Pferd durch den Slalom zu führen. Er war zusammen mit dem<br />

albanischen Mädchen bei unserer Stute, die nicht ganz e<strong>in</strong>fach zu führen ist. Wenn jemand nicht<br />

souverän auftritt und gleichzeitig ihre Grenzen respektiert, kann sie bissig werden, sodass wir sie<br />

nur bed<strong>in</strong>gt zum Führen durch die K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong>setzen. Der Junge wollte aber unbed<strong>in</strong>gt ausprobieren,<br />

wie sie sich führen lässt und er wollte, dass sie durch den Slalom geht und nicht an den Strohballen<br />

vorbei. Er nahm selbstbewusst den Zügel und zeigte dem Pferd deutlich, wo er h<strong>in</strong>wollte, obwohl er<br />

dar<strong>in</strong> noch wenig Erfahrung hatte. Die Stute folgte ihm bereitwillig. Diese Erfahrung war für den<br />

Jungen so zufriedenstellend, dass er für e<strong>in</strong>en längere Zeit lieber mit dem Führen beschäftigt war,<br />

als zu reiten. Die an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong> hatten ihn beobachtet und probierten das Gleiche. Alle drei Pferde<br />

schafften daraufh<strong>in</strong> den Slalom. Als danach getauscht wurde, klappte das Slalomreiten auf Anhieb.<br />

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