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Therapeutisches Reiten in der Traumaarbeit - Kristina Hänel

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ei Traumaopfern so <strong>in</strong>tensiv seien, als g<strong>in</strong>ge es um Leben o<strong>der</strong> Tod. (HERMAN, S. 188) E<strong>in</strong><br />

Phänomen, das im übrigen aus me<strong>in</strong>er langjährigen Erfahrung im Umgang mit sexuell<br />

traumatisierten Frauen heraus als diagnostisches Kriterium durchaus mit berücksichtigt werden<br />

kann. Wenn wir im Umgang mit Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Zustand von Ohnmacht, Verwirrung o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Gefühl existentieller Bedrohung geraten, sollten wir darüber nachdenken, ob wir es mit <strong>der</strong><br />

Übertragungsreaktion auf die Erlebnisse e<strong>in</strong>es Traumaopfers zu tun haben. Beim Therapeutischen<br />

<strong>Reiten</strong> ist das Pferd als Therapeut anzusehen, so dass hier auch mit Übertragungsreaktionen auf das<br />

Pferd zu rechnen ist. Darum ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Traumaarbeit</strong> ganz beson<strong>der</strong>s darauf zu achten, dass das Pferd<br />

angemessen geschützt wird, bzw. genug Freiraum hat, sich zu wehren, wenn es angegriffen wird.<br />

Wenn dies berücksichtigt wird, halte ich das Übertragungsrisiko nicht für e<strong>in</strong> Gegenargument gegen<br />

den E<strong>in</strong>satz des Pferdes <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Traumaarbeit</strong>.<br />

Es liegt auf <strong>der</strong> Hand, dass Menschen, die Opfer von Gewalthandlungen wurden, e<strong>in</strong> kompliziertes<br />

Verhältnis zur Gewalt als solcher haben. Aggression ist mit Gewalt eng verknüpft. Oft richten<br />

Mädchen die Aggression gegen sich selbst, während Jungen gewalttätig gegen an<strong>der</strong>e werden.<br />

Mädchen implodieren, Jungen explodieren. Der psychische Mechanismus <strong>der</strong> Identifikation mit<br />

dem Aggressor (vergl. HERMAN; REEMTSMA; ENDERS, HUBER u.a.) führt zu e<strong>in</strong>em sehr<br />

komplexen <strong>in</strong>neren Geschehen. Um die Situation überleben zu können, <strong>in</strong> <strong>der</strong> absolute<br />

Abhängigkeit vom Täter besteht, werden dessen Gefühle, Gedanken, Verhaltensweisen,<br />

Anschauungen übernommen. Der Verstehensversuch „warum ist gerade mir das passiert?“ wird mit<br />

<strong>der</strong> Annahme des Schlechten <strong>in</strong> sich selbst beantwortet: „Ich b<strong>in</strong> schlecht, e<strong>in</strong>e Zumutung,<br />

schmutzig, nicht vertrauenswürdig, nicht liebenswürdig, habe selbst Schuld.“ (zit. nach ENDERS,<br />

S. 147) Im Umgang mit Pferden haben Scham und Schuldgefühle ke<strong>in</strong>en Platz, sie spielen ke<strong>in</strong>e<br />

Rolle, da Pferde im Gegensatz zu Menschen nicht moralisch denken. Sie drohen nicht mit<br />

Liebesentzug, sie unterdrücken nicht aus re<strong>in</strong>er Bosheit, quälen niemanden. Aber sie setzen z.B. <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Hackordnung auf <strong>der</strong> Weide klare Grenzen und Regeln, an die sich gehalten wird. Wenn wir mit<br />

ihnen umgehen wollen, müssen wir unser Gewaltpotential, das ja <strong>in</strong> jedem Menschen steckt,<br />

s<strong>in</strong>nvoll verwenden und <strong>in</strong> geordnete Bahnen lenken, sonst kommen wir nicht zum Ziel.<br />

z.B. Steve<br />

E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, das se<strong>in</strong>e häuslichen Gewalterfahrungen bereits <strong>in</strong> eigene Gewalttätigkeiten umsetzte,<br />

ist Steve. Steve kam mit 12 Jahren <strong>in</strong>s Projekt nach e<strong>in</strong>em Aufenthalt <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und<br />

Jugendpsychiatrie. Er lebte noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er vom Vater regelmäßig geschlagen worden<br />

war, u.a. mit Ketten. Es war auch vorgekommen, dass <strong>der</strong> Vater die Hände des K<strong>in</strong>des auf die heiße<br />

Herdplatte gelegt hatte. Steve war im Sozialkontakt auffällig geworden durch se<strong>in</strong> aggressives<br />

Verhalten an<strong>der</strong>en gegenüber. Steve ist e<strong>in</strong> eher kle<strong>in</strong>er, motorisch unauffälliger Junge mit<br />

hyperaktiven Tendenzen. Im Umgang mit den Pferden zeigte er sich eher von se<strong>in</strong>er bedürftigen<br />

Seite. Er war sehr liebevoll zu se<strong>in</strong>er Stute und passte auch im Gelände auf, dass sie den rechten<br />

Weg fand, nachdem sie e<strong>in</strong>mal gestolpert war. Er hätte es nicht geduldet, wenn sie geschlagen<br />

worden wäre. Wichtig im Umgang mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n mit Gewalterfahrungen ist, das wir den E<strong>in</strong>satz von<br />

Peitsche und Gerte als unserem verlängertem Arm erläutern. Sie bekommen, wenn sie unvorbereitet<br />

s<strong>in</strong>d, sonst übergroße Angst, wenn wir diese Hilfsmittel e<strong>in</strong>setzen. Steve konnte sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>zeltherapie so weit auf die Beziehung zum Pferd und zur Therapeut<strong>in</strong> e<strong>in</strong>lassen, dass wir ihn <strong>in</strong><br />

die Gruppe aufnehmen wollten. Lei<strong>der</strong> scheiterte diese Maßnahme an den zuständigen<br />

Bewilligungen. An diesem Fall zeigt sich auch die Problematik, wenn wir mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n arbeiten, die<br />

nicht geschützt s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n weiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Familie des Täters o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Täter<strong>in</strong> leben. Es ist nur<br />

selten möglich, e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d so weit zu stabilisieren, dass es sich erfolgreich gegen weitere Übergriffe<br />

wehren kann. Heilungsarbeit ist aber nicht möglich, wenn die Wunden immer wie<strong>der</strong> aufgerissen<br />

werden.<br />

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