Therapeutisches Reiten in der Traumaarbeit - Kristina Hänel
Therapeutisches Reiten in der Traumaarbeit - Kristina Hänel
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<strong>der</strong> Lage gewesen wäre, es im Schritt auszuprobieren. Sobald er aber e<strong>in</strong> wenig <strong>in</strong>s Rutschen kam,<br />
bekam er soviel Angst, dass er se<strong>in</strong>en Körper nicht mehr <strong>in</strong>s Gleichgewicht korrigieren konnte, er<br />
schien wie gelähmt zu se<strong>in</strong>. Beim <strong>Reiten</strong> mit Zügel war es ihm anfangs nicht möglich, das Pferd zu<br />
lenken. Sobald dieses nur e<strong>in</strong>mal nicht sofort auf e<strong>in</strong>e zu vorsichtig gegebene Hilfe reagierte,<br />
schmiss er die Zügel weg, behauptete, er könne das gar nicht und war nicht mehr zu bewegen, es<br />
noch e<strong>in</strong>mal zu versuchen. In dieser Phase ließ er sich dennoch darauf e<strong>in</strong>, das Pferd selbst auf die<br />
Wiese zu führen, auf <strong>der</strong> wir reiten wollten. Auf Anleitung probierte er die Kommandos „Halt“ und<br />
„Marsch“ aus und zu se<strong>in</strong>em Erstaunen reagierte das Pferd auf ihn. Aus dieser Position heraus hatte<br />
er es geschafft, klar und deutlich zu reden und auch se<strong>in</strong>e Körpersprache war aus <strong>der</strong> ohnmächtigen<br />
und hypotonen Position heraus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e aufrechte und klare Haltung gewechselt. Daraufh<strong>in</strong> hatte das<br />
Pferd ihn als Führungsperson akzeptiert. Dieser für ihn ungewohnten Erfahrung gab er im<br />
folgenden mehrmals Ausdruck mit dem Satz: „Das hört auf mich!“ In <strong>der</strong> folgenden Arbeit war es<br />
immer wie<strong>der</strong> möglich, auf dieser Erfahrung aufzubauen. Ganz langsam beg<strong>in</strong>nt er nun auch <strong>in</strong> den<br />
an<strong>der</strong>en Bereichen <strong>in</strong> die aktive Rolle zu gehen, die Führung zu übernehmen.<br />
Die Zügel <strong>in</strong> die Hand nehmen<br />
Diese Formulierung (s. auch BAUM, SCHULZ) drückt treffend aus, welche Bedeutung das<br />
eigenständige <strong>Reiten</strong> <strong>in</strong> diesem Zusammenhang haben kann. Da <strong>Reiten</strong> nicht nur auf körperlicher<br />
Stärke und Sportlichkeit aufbaut, son<strong>der</strong>n entscheidend von <strong>der</strong> Kommunikation mit dem Partner<br />
Pferd abhängt, können auch Menschen mit Handicap sehr gute Reiter<strong>in</strong>nen und Reiter werden. Auf<br />
diesem Phänomen baut <strong>der</strong> Ansatz des Therapeutischen <strong>Reiten</strong> u.a. auf. In <strong>der</strong> <strong>Traumaarbeit</strong><br />
gew<strong>in</strong>nt dieser Aspekt e<strong>in</strong>e spezifische Bedeutung, weil nur reiten kann, wer den Willen hat, dem<br />
Pferd zu sagen, wo es langgeht und auch lernt, wie er diesen Willen durchsetzt.<br />
z.B. Raphael, Meik, Jasm<strong>in</strong><br />
Raphael beispielsweise, e<strong>in</strong> multipel gehandicaptes K<strong>in</strong>d, <strong>der</strong> schmal und relativ kle<strong>in</strong> ist, hat<br />
diesen Willen bereits entwickeln können. Bei Meik, <strong>der</strong> viel größer und körperlich stärker ist,<br />
bestehen noch Probleme <strong>in</strong> diesem Bereich. Wenn er versucht, e<strong>in</strong> Pferd <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Richtung zu lenken<br />
und es nicht gleich funktioniert, gibt er auf. Das, was ihm beim Führen möglich ist, klare Signale zu<br />
senden, geht beim <strong>Reiten</strong> noch nicht. Er verfällt dann schnell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ohnmachtshaltung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das<br />
Pferd die Oberhand gew<strong>in</strong>nt und den Weg bestimmt. Jasm<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong> fasz<strong>in</strong>ierendes Beispiel. Sie, die<br />
es bisher nur <strong>in</strong> ganz vertrauter Umgebung schafft, ihren Willen kundzutun, ist nach e<strong>in</strong>em Jahr<br />
Reittherapie mit ihren fünf Jahren bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, selbständig unsere Stute zu lenken, wenn e<strong>in</strong>e<br />
Begleitperson zur Sicherheit nebenher geht.<br />
3.2.3 Körperwahrnehmung-Körpergefühl<br />
Da <strong>in</strong> <strong>der</strong> traumatischen Situation die Realität verloren zu gehen sche<strong>in</strong>t (s. Kap. 2.2) und<br />
zusätzlich Täter oft durch Lügen und Schuldzuschreibungen an das Opfer dieses Phänomen<br />
verstärken, ist es auch später oft nicht mehr klar, was als wahr angenommen werden kann. Ebenso<br />
ist <strong>der</strong> Körper, <strong>der</strong> Ort des Geschehens ist und vielleicht sogar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Missbrauchssituation mit<br />
Erregung reagiert hat, ke<strong>in</strong> verlässlicher Partner mehr. Berührungen, Bewegungsempf<strong>in</strong>dungen,<br />
unterschiedlichen S<strong>in</strong>nesreizen ausgesetzt zu Se<strong>in</strong>, ohne dass e<strong>in</strong>e Gefahr weiterer Übergriffe<br />
besteht, ist Herausfor<strong>der</strong>ung und Heilungschance im Therapeutischen <strong>Reiten</strong>.<br />
z.B. Silvia<br />
Silvia ist 30 Jahre alt, Mutter von zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, wurde von ihrem Partner verlassen und lebt von<br />
Sozialhilfe, von <strong>der</strong> sie auch die Reittherapie f<strong>in</strong>anziert. Silvia leidet an e<strong>in</strong>er Angstneurose, war<br />
lange suizidal und kann oft für e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum das Haus nicht verlassen. Silvia war über<br />
10 Jahre <strong>in</strong> psychoanalytisch orientierter E<strong>in</strong>zeltherapie, die sie abbrach, weil die Symptomatik sich<br />
zunehmend verschlimmerte. Silvia brauchte e<strong>in</strong> Jahr, um sich bei mir für die Reittherapie<br />
anzumelden, an <strong>der</strong> sie seit ca. 1 ½ Jahren regelmäßig teilnimmt. Silvia hatte <strong>in</strong> ihrer Jugend<br />
Kontakt zu Pferden und ist auch geritten. Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Therapie hat sie viel erzählt. Sie wurde von<br />
ihrem Vater sexuell missbraucht, er<strong>in</strong>nerlich ab ca. dem dritten Lebensjahr bis sie 17 wurde. Ich<br />
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