Therapeutisches Reiten in der Traumaarbeit - Kristina Hänel
Therapeutisches Reiten in der Traumaarbeit - Kristina Hänel
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3.2 E<strong>in</strong>zelaspekte <strong>der</strong> Arbeit mit traumatisierten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und jungen Frauen<br />
An e<strong>in</strong>zelnen Phänomenen soll <strong>der</strong> Zusammenhang zwischen Traumafolgen und <strong>der</strong> heilenden<br />
Wirkung des Pferdes/des Therapeutischen <strong>Reiten</strong>s aufgezeigt werden.<br />
3.2.1 Angst/Vertrauen<br />
Angst<br />
„Angst, das war und ist bis zum heutigen Tag das Gefühl, das mir am vertrautesten ist. Damit habe<br />
ich gelebt.“ (M.F., 35 Jahre, zit. nach GARDINER-SIRTL <strong>in</strong> ENDERS S.145) Über Angst ist im<br />
Zusammenhang mit Therapeutischem <strong>Reiten</strong> an verschiedenen Stellen geschrieben worden (vergl.<br />
KRÖGER S. 82 ff., MEHLEM u.a.). Das Wahrnehmen, Benennen und Mit-Ihr-Arbeiten setze ich<br />
voraus. Aus dem spezifischen Blickw<strong>in</strong>kel <strong>der</strong> <strong>Traumaarbeit</strong> betrachtet ist Angst als<br />
vorherrschendes Grundgefühl e<strong>in</strong>e typische Folge <strong>der</strong> Traumaerfahrung. Das Vertrauen sowohl <strong>in</strong><br />
die Welt als auch <strong>in</strong> sich selbst ist zutiefst erschüttert.<br />
Normalerweise tritt Angst als Reaktion auf e<strong>in</strong>e Bedrohung auf und ist von daher als angemessene<br />
psychische Reaktion zu werten. Der Satz „die Angst ist de<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong>, sie bewahrt dich vor<br />
Gefahr“, be<strong>in</strong>haltet diesen Schutzcharakter, den Angst normalerweise hat. Als Symptom nach<br />
Traumaerfahrungen tritt Angst oft an unangemessenen Stellen auf, sie überflutet den Menschen und<br />
macht ihn handlungsunfähig. O<strong>der</strong> aber sie wird durch Phänomene <strong>der</strong> Spaltung nicht mehr<br />
wahrgenommen, damit geht ihr warnen<strong>der</strong> Charakter verloren. Das Pferd als Fluchttier spiegelt sehr<br />
deutlich die vorhandene Angst. Ihm ist von <strong>der</strong> Natur nur die Reaktion <strong>der</strong> Flucht auf drohende<br />
Gefahr gegeben. Der Mensch mit Gewalterfahrung kann sich zum e<strong>in</strong>en sicher fühlen, weil das<br />
Pferd ihn <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht unvermittelt grundlos angreifen wird, wie es se<strong>in</strong>er bisherigen<br />
Erfahrung entspricht, zum an<strong>der</strong>en lernt er durch den Spiegel, den das Pferd ihm vorhält, wie stark<br />
die Angst ist, wie sie alles an<strong>der</strong>e überdeckt.<br />
z.B. Raphael<br />
E<strong>in</strong> Beispiel zum Thema Angst erlebte ich mit Raphael, e<strong>in</strong>em Jungen, dem bereits unter <strong>der</strong><br />
Geburt per Kaiserschnitt e<strong>in</strong> Be<strong>in</strong>bruch zugefügt wurde, <strong>der</strong> mehrfach wegen falscher Reponierung<br />
nachoperiert wurde. E<strong>in</strong> Junge mit zusätzlichen multiplen Handicaps, <strong>der</strong> aus e<strong>in</strong>er Familie stammt,<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schläge an <strong>der</strong> Tagesordnung waren und <strong>der</strong> <strong>in</strong>zwischen im Heim untergebracht ist. Raphael<br />
ist 9 Jahre alt und hat multiple physische und psychische Defizite. Es besteht e<strong>in</strong>e<br />
Entwicklungsverzögerung, se<strong>in</strong> Be<strong>in</strong> ist verkürzt, die Wirbelsäule verkrümmt, es bestehen visuelle<br />
und auditive Störungen, Wahrnehmungsstörungen, Sprachstörungen. Se<strong>in</strong> Sozialverhalten ist<br />
auffällig, die Toleranzgrenze niedrig. Er kam schon seit ca. e<strong>in</strong>em halben Jahr zu uns, als das Pferd<br />
aufgrund e<strong>in</strong>es Gewitters scheute und aus dem Schritt heraus e<strong>in</strong>en Sprung machte. Raphael war<br />
sehr erschrocken, obwohl nichts weiter passiert war. Er war kreidebleich und sackte förmlich <strong>in</strong> sich<br />
zusammen. Er hatte sehr genau wahrgenommen, dass das Pferd <strong>in</strong> dem Moment große Angst hatte,<br />
obwohl er e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Situation (Scheuen) noch nie mit dem Pferd erlebt hatte. Als ich ihm klar<br />
machte, dass das Pferd genau wie er Angst gehabt habe und wir beide überlegten, wer wohl <strong>in</strong> dem<br />
Moment mehr Angst gehabt hätte, schien es für ihn sehr bee<strong>in</strong>druckend, dass dieses große Tier<br />
womöglich noch mehr Angst vor Gewitter hat als er selbst.<br />
Kontrollverlust<br />
Da es sich beim sexuellen Missbrauch um e<strong>in</strong>e Grenzverletzung handelt, ist e<strong>in</strong> typisches<br />
Symptom die Angst vor Kontrollverlust. Beim <strong>Reiten</strong> spiegelt sich diese Angst <strong>in</strong> den<br />
verschiedensten Bereichen wi<strong>der</strong>, z.B. f<strong>in</strong>det sie sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Panik, die ausbrechen kann, wenn das<br />
Pferd zu schnell wird. Manche Menschen vermeiden darum den Jagdgalopp und galoppieren auch<br />
im Gelände immer nur im versammelten Tempo bzw. im dressurmäßigen Arbeitsgalopp. Ebenso<br />
gut ist es auch möglich, dass die Grenzen gar nicht mehr gezogen werden können und die Angst als<br />
warnen<strong>der</strong> Faktor völlig ausfällt.<br />
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