Therapeutisches Reiten in der Traumaarbeit - Kristina Hänel
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z.B. Patricia<br />
Als Beispiel für die Angst vor Kontrollverlust will ich Patricia anführen, e<strong>in</strong>e 27-jährige geistig<br />
beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Frau. Patricia lebt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er betreuten Wohnstätte. Sie wurde von ihrer Betreuer<strong>in</strong> zum<br />
Therapeutischen <strong>Reiten</strong> angemeldet mit <strong>der</strong> Begründung, dass <strong>Reiten</strong> e<strong>in</strong> sehr großes Anliegen von<br />
ihr sei, <strong>der</strong> Versuch, sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em normalen Reitbetrieb unterzubr<strong>in</strong>gen aber gescheitert sei. Sie habe<br />
dort zu viel Angst gehabt und sei auch den Anfor<strong>der</strong>ungen nicht gewachsen gewesen. Patricia ist<br />
mental auf dem Stand e<strong>in</strong>er 6-jährigen, motorisch relativ unauffällig, Koord<strong>in</strong>ation und Kognition<br />
s<strong>in</strong>d bee<strong>in</strong>trächtigt. In <strong>der</strong> Sprachwahl verwendet sie oft stereotype Satzwie<strong>der</strong>holungen. Patricia<br />
kommt seit ca. 1 ½ Jahren aus Kostengründen nur 14 täglich, d.h. sie hat z.Zt. ca. 40 E<strong>in</strong>heiten<br />
Reittherapie gemacht. Da wir das Gruppenangebot momentan nur für K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche<br />
bereithalten, kommt sie zur E<strong>in</strong>zeltherapie, obwohl sicherlich e<strong>in</strong> Gruppenangebot gerade für<br />
Patricia e<strong>in</strong>e gute Alternative wäre. Bei ihrer Anmeldung wurde „vergessen“, mich davon zu<br />
unterrichten, dass Patricia über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum <strong>in</strong> ihrer Wohngruppe vom betreuenden<br />
Leiter <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung missbraucht worden ist. Ich erfuhr später durch e<strong>in</strong>en Zufall davon. E<strong>in</strong><br />
entsprechen<strong>der</strong> Gerichtsprozess endete mit e<strong>in</strong>em Freispruch für den ehemaligen Wohnheimleiter,<br />
da Patricias Aussagen durch das fehlende Zeitgitter nicht juristisch bewertbar e<strong>in</strong>zuordnen waren.<br />
Sie war auch vor Gericht nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage o<strong>der</strong> willens gewesen, Beschreibungen, die sie zuvor<br />
e<strong>in</strong>er Betreuer<strong>in</strong> gegenüber gegeben hatte und die den Heimleiter belasteten, zu wie<strong>der</strong>holen.<br />
Während <strong>der</strong> Prozess lief, war Patricia schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Reittherapie, sie war auch offensichtlich sehr<br />
belastet, vermied es aber mir gegenüber, über die Vorfälle zu sprechen.<br />
Auffällig war zu Beg<strong>in</strong>n, dass Patricia die Befürchtung hatte, nicht mehr wie<strong>der</strong> kommen zu<br />
dürfen, wie es ihr <strong>in</strong> dem vorherigen Reitstall ergangen war. Als sie etwas Vertrauen gefasst hatte,<br />
wie<strong>der</strong>holte sie stereotyp den Satz, dass sie mich lieb habe. Wenn wir das Wort Liebe mit<br />
„Jemandem das Herz öffnen, Vertrauen zu Jemandem haben“, übersetzen, denke ich, dass sie<br />
diesen <strong>in</strong>neren Schritt damit ausdrücken wollte. Inzwischen ist diese Bemerkung mir gegenüber<br />
weggefallen, um so mehr spricht sie davon, wie sehr sie das Pferd liebt und was ihr alles an ihm<br />
gefällt. Sie ist sehr aufmerksam, ob das Pferd ihr gut gesonnen ist und fragt viel nach <strong>der</strong> Bedeutung<br />
<strong>der</strong> Gesten des Pferdes. Patricia ist nach geraumer Zeit auf eigenen Wunsch auf e<strong>in</strong> Pferd<br />
umgestiegen, das sie an genau ihrer Angst vor Kontrollverlust, vor Geschw<strong>in</strong>digkeit herausfor<strong>der</strong>t.<br />
Sie hat es <strong>in</strong>zwischen geschafft, eigenständig e<strong>in</strong> Pferd im Gelände zu reiten, wenn ich vor ihr reite.<br />
Anfangs ritt sie e<strong>in</strong> sehr ruhiges Pferd, das sie nicht richtig vorwärts treiben konnte (wollte?). Beim<br />
Antraben, auch wenn sie dies selbst wünschte, erschrak sie jedes Mal und stieß e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Schrei<br />
aus. Jetzt ist sie auf e<strong>in</strong> gangfreudiges Pferd umgestiegen und reitet zunächst nur im Schritt.<br />
Während des gesamten Ausrittes ist sie damit beschäftigt, ihre Furcht vor dem Schnellerwerden des<br />
Pferdes <strong>in</strong> den Griff zu bekommen, wünscht aber genau diese Herausfor<strong>der</strong>ung. Patricia hatte sehr<br />
lange das Problem, dass sie <strong>in</strong> Panik beim Führen geriet, wenn das Pferd h<strong>in</strong>ter ihr her lief. Sie hat<br />
ca. e<strong>in</strong> Jahr gebraucht, <strong>in</strong> dem sie neben mir her lief, wenn die Pferde von <strong>der</strong> Weide geholt wurden,<br />
bis sie dann Stückchen für Stückchen das Führen selbst übernahm.<br />
Vertrauen<br />
E<strong>in</strong>e Übung, die <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für Traumatisierte e<strong>in</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung darstellt, ist das „ Sich<br />
h<strong>in</strong>tenüber auf den Rücken legen.“ (vergl. auch BAUM S. 256 und KLÜWER S. 19) Die Be<strong>in</strong>e so<br />
weit zu spreizen, wie es für das Sitzen auf dem Pferd nötig ist, kann für sexuell missbrauchte<br />
Mädchen bereits e<strong>in</strong> Problem darstellen. E<strong>in</strong>e mögliche Hilfe ist es, das Mädchen im Seit- o<strong>der</strong><br />
Damensitz auf dem Pferd sitzen zu lassen. Berücksichtigt werden sollte auch, dass die Stimulation<br />
im Genitalbereich auf dem blanken Pfer<strong>der</strong>ücken o<strong>der</strong> wenn dieser nur mit e<strong>in</strong>er Decke versehen<br />
ist, zu stark se<strong>in</strong> kann (vergl. Kapitel 2.2 über sexuelle Erregung im Zusammenhang mit sexuellem<br />
Missbrauch). E<strong>in</strong>e Entlastung kann hier <strong>der</strong> Sattel br<strong>in</strong>gen, <strong>der</strong> den direkten Kontakt zunächst<br />
vermeidet. Für die Übung des H<strong>in</strong>tenüberlegens kann das starke Spreizen verr<strong>in</strong>gert werden, wenn<br />
die Be<strong>in</strong>e über die Haltegriffe des Gurtes gelegt werden. Der nächste Faktor ist das Loslassen,<br />
„Sich- H<strong>in</strong>geben“. Oft ist es nur, wenn überhaupt, für Sekunden möglich. Auf ke<strong>in</strong>en Fall sollte <strong>der</strong><br />
Wi<strong>der</strong>stand durch Zureden o<strong>der</strong> womöglich Druck angegangen werden, welches Vorgehen ja<br />
ohneh<strong>in</strong> dem Grundsatz des Sachorientierten Arbeitens im HPVR wi<strong>der</strong>sprechen würde (vergl.<br />
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