Therapeutisches Reiten in der Traumaarbeit - Kristina Hänel
Therapeutisches Reiten in der Traumaarbeit - Kristina Hänel
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• Adele hat Wahrnehmungsstörungen und e<strong>in</strong>en verm<strong>in</strong><strong>der</strong>ten Muskeltonus im Schulterbereich.<br />
Sie besucht e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrative Schule. Im sozialen Bereich ist sie voll <strong>in</strong>tegriert, es bestehen ke<strong>in</strong>e<br />
Kontaktstörungen zu an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Diese kommunikative Stärke zeigt sich auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Gruppe.<br />
• Benjam<strong>in</strong> ist 10 Jahre alt und hat Wahrnehmungsstörungen. Er besucht die Regelschule.<br />
Zusätzlich zum Therapeutischen <strong>Reiten</strong> hat er jahrelang Ergotherapie gemacht. Er begann<br />
zunächst mit E<strong>in</strong>zeltherapie, war dann e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Projekt zum Therapeutischen <strong>Reiten</strong><br />
und kommt jetzt seit längerer Zeit <strong>in</strong> die Gruppe.<br />
• Mayo ist 12 Jahre alt und hat Down-Syndrom. Er kam zunächst zur E<strong>in</strong>zeltherapie und hat<br />
anfangs sehr lange gebraucht, bis er se<strong>in</strong>e Angst vor dem Pferd überw<strong>in</strong>den konnte. Er ist etwas<br />
übergewichtig, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Motorik und Koord<strong>in</strong>ation e<strong>in</strong>geschränkt. Die mentale und physische<br />
Ausdauer ist verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t. Dafür war von Anfang an e<strong>in</strong> starker Wille zum Kontakt mit dem<br />
Pferd vorhanden. Z.B. bestand er darauf, dass se<strong>in</strong> Zivi dem Pferd das mitgebrachte Brot<br />
fütterte, auch wenn er selbst sich auf ca. 50 Meter Sicherheitsabstand zurückgezogen hatte.<br />
• Astrid ist 13 Jahre alt und wurde uns über die behandelnde K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendpsychiater<strong>in</strong><br />
zugeschickt. Anne ist übergewichtig mit familiärer Veranlagung, sie hat Probleme mit<br />
Gleichgewicht und Fe<strong>in</strong>koord<strong>in</strong>ation, die sich im Verlauf <strong>der</strong> Therapie gebessert haben. Ihr<br />
Hauptsymptom ist die Enkopresis (E<strong>in</strong>koten). Sie war bereits für e<strong>in</strong> halbes Jahr stationär <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendpsychiatrie untergebracht, dort hatte sie auch das Therapeutische<br />
<strong>Reiten</strong> kennen gelernt, was ihr sehr gut getan hat. Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Maßnahme war ihre<br />
Frustrationstoleranz extrem niedrig, sie f<strong>in</strong>g sehr schnell an zu we<strong>in</strong>en.<br />
Verlauf<br />
Beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> dieser Gruppe, die durch ihre Heterogenität anfangs sehr chaotisch und anstrengend<br />
war, waren feste Regeln und Rituale hilfreich. Es gab e<strong>in</strong>e Gruppenbildung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die drei Mädchen<br />
Felicitas, Marianne und Adele zusammengehörten. Mayo war e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelbetreuung durch den<br />
Zivildienstleistenden gewohnt und wir wussten zu Beg<strong>in</strong>n nicht, ob er es schaffen würde, sich an<br />
die Abläufe anzupassen. Benjam<strong>in</strong> for<strong>der</strong>te die ganze Aufmerksamkeit für sich. Astrid fiel durch ihr<br />
Alter und durch ihr Übergewicht zunächst ziemlich aus <strong>der</strong> Gruppe heraus. Im Verlauf hat sich die<br />
Gruppe zu e<strong>in</strong>er sehr konstruktiven, eher ruhig mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> arbeitenden E<strong>in</strong>heit herausgebildet. An<br />
e<strong>in</strong>igen Beispielen soll exemplarisch die Entwicklung e<strong>in</strong>zelner Gruppenmitglie<strong>der</strong> dargestellt<br />
werden.<br />
z.B.Benjam<strong>in</strong><br />
Da er bereits von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zeltherapie her die Pferde und den Umgang mit ihnen kannte, bestand<br />
von Beg<strong>in</strong>n an e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Beziehung zum Pferd. Am Putzen nahm er aber nicht wirklich aktiv<br />
teil, so dass se<strong>in</strong>e Möglichkeiten <strong>der</strong> Kontaktaufnahme, des Berührens usw. auf die Zeit des <strong>Reiten</strong>s<br />
beschränkt war. Für ihn war <strong>der</strong> Sprung von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelbetreuung <strong>in</strong> die Gruppe problematisch.<br />
Se<strong>in</strong>e durch die Wahrnehmungsstörung bed<strong>in</strong>gten Defizite versuchte er nicht auffällig werden zu<br />
lassen, <strong>in</strong>dem er sich dauernd den Übungen verweigerte. An<strong>der</strong>erseits versuchte er durch Stören die<br />
ganze Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Gruppe zu erhalten: Beispielsweise begann er <strong>in</strong> den ersten Stunden<br />
lautstark Noten für die angebliche Leistung <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu verteilen. Interessanterweise<br />
g<strong>in</strong>g die Gruppe an diesem Punkt überhaupt nicht auf ihn e<strong>in</strong> und nach e<strong>in</strong>igen Stunden hörte er auf<br />
damit. Auch die Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Reittherapeut<strong>in</strong> for<strong>der</strong>te er extrem. Gerade für ihn waren feste<br />
Regeln dr<strong>in</strong>gend notwendig. Er versuchte immer wie<strong>der</strong>, diese zu durchbrechen. Wenn die an<strong>der</strong>en<br />
putzten o<strong>der</strong> misteten, kasperte er rum und erzählte Geschichten, was dazu führte, dass die an<strong>der</strong>en<br />
unzufrieden waren, da sie die Arbeit alle<strong>in</strong>e hatten. Es wurde deutlich, dass es gerecht sei, wenn nur<br />
diejenigen K<strong>in</strong><strong>der</strong> reiten dürfen, die auch an den Arbeiten beteiligt s<strong>in</strong>d. Irgendwann akzeptierte er<br />
diese Regelung. Inzwischen ist die Teilnahme an diesen Aufgaben ke<strong>in</strong> Problem mehr. Er entdeckte<br />
sogar, dass er beim Aufsammeln <strong>der</strong> Pferdeäpfel, die beim <strong>Reiten</strong> verloren werden, kaum<br />
Schwierigkeiten hatte, da dann die Schubkarre viel leichter zu fahren war als beim Stall ausmisten.<br />
Diese Arbeit beanspruchte er von da an für sich und nannte sich fortan den „Äppeldienst“, was die<br />
an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihm bereitwillig überließen. In <strong>der</strong> ersten Zeit, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er sehr oft unsere Grenzen<br />
herausfor<strong>der</strong>te und uns provozierte, ereignete sich e<strong>in</strong>e Situation, die sich für mich zunächst sehr<br />
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