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Berliner Kurier 30.11.2019

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12 BERLIN BERLINER KURIER, Sonnabend, 30. November 2019<br />

Verurteilt wegen<br />

zwei Wörtern<br />

Die Frauenärztin Bettina Gaber wurde schuldig<br />

gesprochen, weil sie über Abtreibungen informierte<br />

Bettina Gaber,56<br />

Jahrealt,wurde<br />

vonselbst ernannten<br />

„Lebensschützern“<br />

verklagt,weil<br />

sie auf<br />

ihrer Homepage<br />

über Abtreibungen<br />

informiert.<br />

Von<br />

ANNIKA LEISTER<br />

Berlin – Die Steglitzer Frauenärztin<br />

Bettina Gaber wurde<br />

nach der Novelle der großen<br />

Koalition als erste<br />

Frauenärztin nach dem Paragraf<br />

219a rechtskräftig<br />

verurteilt – wegen zwei<br />

Wörtern, mit denen sie über<br />

Abtreibungen informierte.<br />

Bettina Gaber ist eigentlich<br />

kaum aus der Bahn zu werfen.<br />

„Aber heute Nacht habe ich<br />

nicht gut geschlafen“, sagt die<br />

Frauenärztin. Eine Nachricht<br />

des <strong>Berliner</strong> Kammergerichts<br />

vom Donnerstag raubt Gaber<br />

den Schlaf: Ihre Revision wurde<br />

verworfen, Gaber gilt damit<br />

als rechtskräftig verurteilt.<br />

Weil sie auf der Homepage<br />

ihrer Praxis mit 13 Wörtern<br />

darüber informiert hat, dass<br />

sie Schwangerschaftsabbrüche<br />

durchführt. Und weil<br />

unter diesen 13 Wörtern zwei<br />

Wörter beschreiben, wie sie<br />

diese Abtreibungen durchführt:<br />

„narkosefrei und medikamentös“.<br />

Was Gaber als<br />

wichtige Basis-Information<br />

für ihre Patientinnen versteht,<br />

als notwendige Hilfe für Frauen,<br />

die sich in einer extrem<br />

schwierigen Lage befinden,<br />

bewertet das <strong>Berliner</strong> Kammergericht<br />

nach dem Paragrafen<br />

219a weiterhin als: Rechtsbruch.<br />

Gaber geht mit der Abweisung<br />

der Revision unfreiwillig<br />

in die Rechtsgeschichte ein.<br />

Sie ist die erste Frauenärztin,<br />

die nach dem umstrittenen Paragrafen<br />

219a rechtskräftig<br />

verurteilt wurde, nachdem die<br />

große Koalition im Bundestag<br />

ihn Anfang dieses Jahres reformierte.<br />

Der Paragraf 219a verbietet<br />

Frauenärzten eigentlich die<br />

„Werbung für den Abbruch<br />

der Schwangerschaft“. Allerdings<br />

ist der Paragraf so formuliert,<br />

dass er Frauenärzten<br />

de facto nicht nur Werbung,<br />

sondern jegliche Information<br />

über Abtreibungen verbietet.<br />

Die SPD wollte das ändern.<br />

Doch für den christlichen Koalitionspartner<br />

sind Abtreibungen<br />

ein Tabuthema. Der<br />

gefundene Kompromiss:<br />

Frauenärzte dürfen nun mit<br />

einem Satz auf ihrer Homepage<br />

sagen, dass sie Abtreibungen<br />

durchführen. Allerdings<br />

dürfen sie nicht darüber<br />

informieren, wie. Dafür sollen<br />

sie nun auf eine Homepage des<br />

Bundes verweisen, die, wie<br />

Kritiker bemängeln, nicht<br />

vollständig ist und nicht gut<br />

gepflegt wird.<br />

Für Bettina Gaber hat sich<br />

damit nichts geändert. Sie<br />

wird nun eben nicht für 13<br />

Worte verurteilt, wie vor der<br />

Novelle, sondern nur für zwei,<br />

„medikamentös und narkosefrei“.<br />

2000 Euro soll Gaber dafür<br />

zahlen, das sind 20 Tagessätze<br />

à100 Euro. Vorbestraft<br />

ist sie damit nicht, immerhin.<br />

Doch insgesamt belaufen sich<br />

die Kosten für Gericht, Anwalt<br />

und Revision auf gut 8000 Euro,<br />

rechnet sie vor. Und das ist<br />

nur das Geld. Viele, viele Stunden<br />

hat Gaber damit verbracht,<br />

die Prozesse vorzubereiten,<br />

hat mit Anwälten und<br />

Kollegen diskutiert.<br />

Frauenverachtend findet<br />

Gaber den Paragrafen, der<br />

die „katastrophale“ Folge<br />

habe, dass immer weniger<br />

Frauenärzte Abtreibungen<br />

durchführten. Auch<br />

für sie wird Gaber vermutlich<br />

weiterkämpfen.<br />

Sie berät sich gerade mit<br />

ihrem Anwalt sowie anderen<br />

Betroffenen. Sie erwägt,<br />

Verfassungsbeschwerde<br />

zu erheben. Auf<br />

dass das höchste deutsche<br />

Gericht entscheide.<br />

Foto: Sabine Gudath

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