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Berliner Kurier 30.11.2019

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REPORT<br />

Berlin und die20er-Jahre<br />

Der<br />

bebt<br />

b<br />

Im Film, in der Literatur und auf der Bühne wird der<br />

„Tanz auf dem Vulkan“ immer wieder zum Thema. Doch<br />

was macht das Jahrzehnt der Sünde so faszinierend?<br />

Bald kommt die neue<br />

Staffel der Serie „Babylon<br />

Berlin“. Im Admiralspalast<br />

wird das Musical<br />

„Berlin Berlin“ gezeigt, das<br />

den „Tanz auf dem Vulkan“ wagen<br />

will. Im Tipi-Zelt am Kanzleramt<br />

ist „Cabaret“ ein Dauerbrenner.<br />

Auf Partys tanzen die<br />

Leute Swing, Charleston und<br />

Lindy Hop, es gibt Kostümverleihe<br />

und Touren für Touristen.<br />

Berlin feiert seine 20er-Jahre<br />

–auch noch 100 Jahre später. In<br />

der U-Bahn kann es passieren,<br />

dass eine Gruppe mit Schiebermütze,<br />

Fransenkleid und Zigarettenspitze<br />

unterwegs ist, um<br />

einen Geburtstag zu feiern. Am<br />

Hermannplatz in Neukölln soll<br />

Architekt David Chipperfield<br />

im Stil der 20er-Jahre einneues<br />

Kaufhaus errichten.<br />

Leser der Krimis von Volker<br />

Kutscher, der die Vorlage für<br />

die Serie „Babylon Berlin“ lieferte,<br />

sehen die Stadt mit anderen<br />

Augen: Wo war wohl die<br />

Gaststätte „Aschinger“ oder das<br />

Etablissement „Moka Efti“? Die<br />

Bücher sind eine Reise in die<br />

Weimarer Republik, die Zeit<br />

zwischen den Weltkriegen.<br />

Vor der Nazi-Zeit hatte die<br />

Stadt den Ruf, brodelnd und<br />

weltoffen zusein, ein Mythos,<br />

der bis heute verfängt. Als Prinz<br />

William und seine Frau Kate<br />

Deutschland besuchten, gehörte<br />

das Tanzlokal Clärchens<br />

Ballhaus zum Programm, ein<br />

Stück Retro-Berlin. Der Mythos<br />

kommt maßgeblich von<br />

Christopher Isherwoods Klassiker<br />

„Leb wohl, Berlin“, der<br />

später mit Liza Minnelli als<br />

„Cabaret“ verfilmt wurde.<br />

Das alles nutzt der Werbung<br />

um Touristen. „Bei internationalen<br />

Gästen, zum Beispiel aus<br />

den USA, ist das Interesse insbesondere<br />

an diesem Teil der<br />

Geschichte der Stadt sehr<br />

groß“, heißt es bei der Marketinggesellschaft<br />

Visit Berlin.<br />

Die Serie „Babylon Berlin“ sei<br />

in diesem Sinne ein Geschenk<br />

für die Stadt gewesen. Gedreht<br />

wurde sie in den Kulissen von<br />

Babelsberg. Aber ein paar<br />

Schauplätze kann man sich angucken,<br />

etwa das Stummfilmkino<br />

Delphi in Weißensee oder<br />

das Rote Rathaus. Für Berlin ist<br />

die Serie so wichtig, dass Regierungschef<br />

Michael Müller<br />

(SPD) zur Weltpremiere nach<br />

Los Angeles reiste.<br />

Der Historiker Hanno Hochmuth<br />

vom Leibniz-Zentrumfür<br />

Zeithistorische Forschung in<br />

Potsdam kann erklären, warum<br />

der Mythos der „Goldenen<br />

20er-Jahre“ bis heute zieht.<br />

Generell gibt es ihm zufolge seit<br />

etwa vier Jahrzehnten in den<br />

westlichen Gesellschaften einen<br />

Erinnerungsboom, ein starkes<br />

Interesse an der Vergangenheit.<br />

„Damit ist nicht nur<br />

pure Nostalgie gemeint, sondern<br />

auch das kritische Erinnern<br />

und das Aufarbeiten von<br />

Vergangenheit.“ Ein Meilenstein<br />

war demnach die Serie<br />

„Holocaust“ von 1978, die diesen<br />

Begriff in Deutschland erst<br />

richtig einführte. Und warum<br />

gerade jetzt das Interesse an<br />

Weimar und „Babylon Berlin“?<br />

Das habe zum einen mit der Fixierung<br />

auf Jahrestage zu tun,<br />

etwa 100 Jahre November-Revolution,<br />

so Hochmuth. „Der<br />

Hauptgrund liegt aber im ambivalenten<br />

Charakter der Weimarer<br />

Republik.“ Berlin war zum<br />

einem die Stadt der Freiheit<br />

und zum anderem ab 1933 die<br />

Stadt der zerstörten Freiheit.

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