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REPORT<br />
Berlin und die20er-Jahre<br />
Der<br />
bebt<br />
b<br />
Im Film, in der Literatur und auf der Bühne wird der<br />
„Tanz auf dem Vulkan“ immer wieder zum Thema. Doch<br />
was macht das Jahrzehnt der Sünde so faszinierend?<br />
Bald kommt die neue<br />
Staffel der Serie „Babylon<br />
Berlin“. Im Admiralspalast<br />
wird das Musical<br />
„Berlin Berlin“ gezeigt, das<br />
den „Tanz auf dem Vulkan“ wagen<br />
will. Im Tipi-Zelt am Kanzleramt<br />
ist „Cabaret“ ein Dauerbrenner.<br />
Auf Partys tanzen die<br />
Leute Swing, Charleston und<br />
Lindy Hop, es gibt Kostümverleihe<br />
und Touren für Touristen.<br />
Berlin feiert seine 20er-Jahre<br />
–auch noch 100 Jahre später. In<br />
der U-Bahn kann es passieren,<br />
dass eine Gruppe mit Schiebermütze,<br />
Fransenkleid und Zigarettenspitze<br />
unterwegs ist, um<br />
einen Geburtstag zu feiern. Am<br />
Hermannplatz in Neukölln soll<br />
Architekt David Chipperfield<br />
im Stil der 20er-Jahre einneues<br />
Kaufhaus errichten.<br />
Leser der Krimis von Volker<br />
Kutscher, der die Vorlage für<br />
die Serie „Babylon Berlin“ lieferte,<br />
sehen die Stadt mit anderen<br />
Augen: Wo war wohl die<br />
Gaststätte „Aschinger“ oder das<br />
Etablissement „Moka Efti“? Die<br />
Bücher sind eine Reise in die<br />
Weimarer Republik, die Zeit<br />
zwischen den Weltkriegen.<br />
Vor der Nazi-Zeit hatte die<br />
Stadt den Ruf, brodelnd und<br />
weltoffen zusein, ein Mythos,<br />
der bis heute verfängt. Als Prinz<br />
William und seine Frau Kate<br />
Deutschland besuchten, gehörte<br />
das Tanzlokal Clärchens<br />
Ballhaus zum Programm, ein<br />
Stück Retro-Berlin. Der Mythos<br />
kommt maßgeblich von<br />
Christopher Isherwoods Klassiker<br />
„Leb wohl, Berlin“, der<br />
später mit Liza Minnelli als<br />
„Cabaret“ verfilmt wurde.<br />
Das alles nutzt der Werbung<br />
um Touristen. „Bei internationalen<br />
Gästen, zum Beispiel aus<br />
den USA, ist das Interesse insbesondere<br />
an diesem Teil der<br />
Geschichte der Stadt sehr<br />
groß“, heißt es bei der Marketinggesellschaft<br />
Visit Berlin.<br />
Die Serie „Babylon Berlin“ sei<br />
in diesem Sinne ein Geschenk<br />
für die Stadt gewesen. Gedreht<br />
wurde sie in den Kulissen von<br />
Babelsberg. Aber ein paar<br />
Schauplätze kann man sich angucken,<br />
etwa das Stummfilmkino<br />
Delphi in Weißensee oder<br />
das Rote Rathaus. Für Berlin ist<br />
die Serie so wichtig, dass Regierungschef<br />
Michael Müller<br />
(SPD) zur Weltpremiere nach<br />
Los Angeles reiste.<br />
Der Historiker Hanno Hochmuth<br />
vom Leibniz-Zentrumfür<br />
Zeithistorische Forschung in<br />
Potsdam kann erklären, warum<br />
der Mythos der „Goldenen<br />
20er-Jahre“ bis heute zieht.<br />
Generell gibt es ihm zufolge seit<br />
etwa vier Jahrzehnten in den<br />
westlichen Gesellschaften einen<br />
Erinnerungsboom, ein starkes<br />
Interesse an der Vergangenheit.<br />
„Damit ist nicht nur<br />
pure Nostalgie gemeint, sondern<br />
auch das kritische Erinnern<br />
und das Aufarbeiten von<br />
Vergangenheit.“ Ein Meilenstein<br />
war demnach die Serie<br />
„Holocaust“ von 1978, die diesen<br />
Begriff in Deutschland erst<br />
richtig einführte. Und warum<br />
gerade jetzt das Interesse an<br />
Weimar und „Babylon Berlin“?<br />
Das habe zum einen mit der Fixierung<br />
auf Jahrestage zu tun,<br />
etwa 100 Jahre November-Revolution,<br />
so Hochmuth. „Der<br />
Hauptgrund liegt aber im ambivalenten<br />
Charakter der Weimarer<br />
Republik.“ Berlin war zum<br />
einem die Stadt der Freiheit<br />
und zum anderem ab 1933 die<br />
Stadt der zerstörten Freiheit.