Inspiration Nr. 1/2020
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GIPFELTREFFEN<br />
YANNICK GLATTHARD<br />
nach Hause, es ist kalt, ich mache etwas,<br />
also habe ich warm. Eine direkte<br />
Konsequenz, und man heizt nicht<br />
mehr, als man muss.<br />
Seit drei Jahren bist du Zimmermann.<br />
Arbeitest du eigentlich in<br />
deinem Beruf?<br />
Pro Jahr noch zirka einen Monat. So<br />
bleibe ich à jour, es wäre ja schlecht,<br />
alles Gelernte wieder zu vergessen.<br />
Und in der Zwischensaison gibt es<br />
immer etwas Arbeit.<br />
Aber finanziell wäre es nicht nötig?<br />
Nein, da habe ich andere Säulen.<br />
Am meisten verdiene ich durch die<br />
Arbeit als Bergführeraspirant, aber<br />
auch die Wettkampfprämien sind<br />
nicht zu verachten, dazu noch Sponsoring-Beiträge.<br />
Lebst du schon als klassischer<br />
Profibergsteiger?<br />
Ich bin nicht der Typ, der sich rundum<br />
verkauft. Lieber nur Materialsponsoring,<br />
dafür kann ich meine Ziele für<br />
nächstes Jahr selbst bestimmen. Ich<br />
leiste lieber etwas, bevor ich den Lohn<br />
dafür erhalte. Nicht andersrum. Ich<br />
poste schon auf Social Media, habe<br />
aber keine Strategie, um in zwei Jahren<br />
auf soundso viele Follower zu kommen.<br />
Entweder teilt der Sponsor meine<br />
Philosophie, oder es passt halt nicht.<br />
Was ist denn deine Philosophie?<br />
Bergsteigen ist ein Ego-Ding, das<br />
machst du ja wirklich nur für dich.<br />
Wenn man klettert, denkt man doch<br />
nie daran, ob etwas einen guten Post<br />
abgeben würde. Alles ist heute so<br />
überspitzt. Vielen geht es nur um den<br />
härtesten Zug, aber dafür kann man<br />
in die Kletterhalle gehen. Mir geht<br />
es nicht nur darum, von hier bis da<br />
klettern zu können. Sondern mich mit<br />
mobilen Sicherungsgeräten durch den<br />
Fels zu bewegen. Viel investieren, so<br />
lange probieren, bis ich es schaffe.<br />
Und nicht alle 1,5 Meter einen Haken<br />
setzen. Didier Berthod hat mal gesagt,<br />
man sollte den Fels nicht so verändern,<br />
dass er zu zugänglich wird. Das finde<br />
ich einen ganz treffenden Satz. Darum<br />
auch die Wendenaktion.<br />
Die «Wendenaktion» – du hast im<br />
September alle Bohrhaken aus der<br />
neu eingerichteten Route «Gran<br />
Paradiso» an den Wendenstöcken<br />
entfernt. Warum?<br />
Es ist bekannt, dass es an den Wendenstöcken<br />
einen obligatorischen Stil<br />
gibt. Man kann da schon technisch<br />
klettern, aber dann mit Cliffs, Keilen,<br />
Peckers etc. Aber nicht mit einer<br />
Bohrmaschine. Nachdem ich von<br />
«Gran Paradiso» und ihrer Charakteristik<br />
erfahren habe, bin ich mit Michal<br />
Pitelka über die Route abgeseilt.<br />
Überall waren Bohrlöcher drin, nicht<br />
nur angebohrt für den Cliff, sondern<br />
fünf Zentimeter tief. Die haben sich<br />
hochgebohrt. Da habe ich gesagt:<br />
Michal, fertig hier, wir nehmen die<br />
Route raus. Das fand er dann auch.<br />
Das kann man nicht bieten, das ist<br />
Missbrauch am Fels.<br />
Und ihr seid so eine Art Hausmeister<br />
an den Wendenstöcken?<br />
Nein, der Fels gehört allen. Ich habe<br />
davor noch nie eine Route entfernt.<br />
Bei «Gran Paradiso» habe ich vorab<br />
mit 20 Kletterern von hier über Bern<br />
bis ins Wallis telefoniert und gefragt,<br />
wie wir als Szene vorgehen sollen.<br />
Alle sind dafür gewesen, dass man ein<br />
klares Zeichen setzt und zeigt, dass es<br />
so nicht geht.<br />
Wie damals, als Hayden Kennedy<br />
und Jason Kruk die Kompressorroute<br />
am Cerro Torre ausnagelten,<br />
gab es ein ordentliches Medienecho.<br />
Im Netz war die Rede von «Vandalismus»<br />
und «Selbstjustiz». Hast du<br />
damit gerechnet?<br />
Ja, das habe ich erwartet. Ich wusste<br />
auch, dass es verschiedene Ansichten<br />
geben wird. In meinem Postfach hat es<br />
Kleine Griffe, grosse Moral:<br />
Yannick Glatthard in «Portami<br />
Via» (7c+) an den Wendenstöcken.<br />
Seit 2004 sah die abenteuerlich<br />
abgesicherte Route erst<br />
vier Rotpunktbegehungen, u. a.<br />
von Ueli Steck, Tommy Caldwell<br />
und nun Glatthard.<br />
FOTO LINKS: ARCHIV YANNICK GLATTHARD, FOTO RECHTS: HEIMATWERK HASLITAL / DAVID BIRRI<br />
ganz schön gerappelt. Aber ich kann<br />
das gut einordnen. Heute sehe ich ein,<br />
dass wir uns vorab mit dem Routenbauer<br />
hätten kurzschliessen sollen. Wobei<br />
wir dachten: Wir sagen rausnehmen, er<br />
sagt drinlassen – was bringt es da, miteinander<br />
zu sprechen. Eins ist klar: Ich<br />
gehe sicher nicht eine Route ausnageln,<br />
damit ich Medienpräsenz habe!<br />
Warum habt ihr Fotos der Aktion auf<br />
Instagram gestellt?<br />
Das war auch ein Wunsch der Kletterszene.<br />
Wenn ich etwas mache, dann<br />
stehe ich dazu, auch öffentlich. Dass<br />
ich für die Szene den Kopf hinhalte, ist<br />
kein Problem für mich. Ich finde den<br />
Post gut, weil er sich verbreitet hat und<br />
jetzt jedem klar ist, dass ein respektloser<br />
Umgang mit dem Fels grundsätzlich<br />
nicht tolerierbar ist.<br />
Kannst du dich in den Erstbegeher<br />
Jörg Andreas hineinversetzen? Wie<br />
fändest du es, wenn jemand deine<br />
Erstbegehung zerstört?<br />
Ich würde mich wohl schämen. Ehrlich.<br />
Wenn meine Route von der lokalen<br />
Kletterszene wegen fehlendem Respekt<br />
vor dem Fels rausgenommen wird,<br />
dann hätte ich ein echtes Problem mit<br />
mir selbst.<br />
Schon mit 17 hast du gesagt, dass<br />
dich Erlebnisse in den Bergen mehr<br />
reizen als jedes Podest. Warst du<br />
damals wirklich so abgeklärt, oder<br />
war das nur Tiefstapelei?<br />
Ganz falsch war das nicht, einen genauen<br />
Plan hatte ich schon immer.<br />
Seit der 6. Klasse weiss ich, dass ich<br />
Zimmermann und Bergführer werden<br />
will, und dazu klettern. Allerdings<br />
hat sich seitdem viel verändert. Mit<br />
18 hatte ich einen Zusammenbruch.<br />
Es war mein letztes Lehrjahr, dazu<br />
die Wettkämpfe, im Alpinismus hatte<br />
ich auch ein paar Projekte – und für<br />
alles war ich hochmotiviert. Nach der<br />
Abschlussprüfung hat es mich für drei<br />
Monate ins Bett gehauen. Von heute<br />
«Die Disco gibt mir<br />
vergleichsweise wenig.»<br />
Die Berge im heimischen<br />
Haslital sind<br />
Dreh- und Angelpunkt<br />
in Glatthards Leben.<br />
auf morgen, niemand wusste, wieso.<br />
Mir ist es im Nachhinein klar.<br />
Woran lag es?<br />
Ich würde sagen, es war ein motorischer<br />
Burn-out. Tag für Tag hatte<br />
ich weniger Energie, obwohl ich 15<br />
Stunden am Tag gepennt habe.<br />
Wie bist du wieder auf die Beine<br />
gekommen?<br />
Ich achte jetzt viel mehr auf meine<br />
Erholung, Ernährung, und dass ich<br />
zur Ruhe komme. Ich habe gelernt,<br />
nichts zu tun, was mir extrem<br />
schwerfällt. Und ich habe mental<br />
gearbeitet, was heute eine meiner<br />
Stärken ist. Ich habe mir neue<br />
Ziele gesetzt. Nicht: «Ich möchte 9a<br />
klettern», sondern: «In diesem Jahr<br />
lerne ich Gelassenheit.»<br />
Greifst du da auf bestimmte Methoden<br />
zurück?<br />
Ja, zum Beispiel auf Kinesiologie. Auf<br />
den Körper hören, nicht einfach nur die<br />
Kampfmaschine sein, sondern auch die<br />
ganz feinen Sachen wahrnehmen. Ich<br />
diskutiere auch viel mit meiner Mentaltrainerin.<br />
Stichwort «Gran Paradiso»:<br />
Ich wusste ja, dass da ein Shitstorm<br />
kommen würde. Einerseits wollte ich<br />
ihn nicht an mich heranlassen, andererseits<br />
war ich neugierig, wie diese Aktion<br />
auf mich wirkt. In meinem Tagesjournal<br />
habe ich das dann verarbeitet.<br />
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INSPIRATION 01 / <strong>2020</strong><br />
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