Inspiration Nr. 1/2020
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RUBRIK UNTERRUBRIK<br />
HOCHGENUSS BERGLITERATUR<br />
PFLICHT<br />
LEKTÜRE<br />
BÜCHER, DIE<br />
BERÜHREN<br />
TEXT SUSANNA BÄCHLI<br />
Bücher sind für Susanna Bächli eine Herzensangelegenheit<br />
– umso mehr, wenn sie von Bergen handeln. Klar, dass<br />
Bücher bei Bächli «Chefsache» sind: Susanna Bächli wacht<br />
über die Neuerscheinungen und stellt für jede Filiale das passende<br />
Buchsortiment zusammen, vom Kletterführer bis zum Bildband.<br />
Diese beiden Bücher haben es ihr besonders angetan.<br />
«Im Winter ein inspirierendes<br />
Bergbuch in der<br />
warmen Stube lesen – gibt<br />
es etwas Schöneres?»<br />
SUSANNA BÄCHLI<br />
VR VIZEPRÄSIDENTIN<br />
BÄCHLI BERGSPORT AG<br />
APPELL AN<br />
DIE JUGEND<br />
Ein gutes Bergbuch ersetzt vielleicht keinen Friend.<br />
Aber wie ein echter Freund kann es inspirieren,<br />
trösten, begeistern. Wir haben alte Klassiker und<br />
neue Entdeckungen gesammelt.<br />
FOTO: ANDY KIRKPATRICK<br />
Ich habe meine Schwiegermutter Margrit Bächli einmal gefragt,<br />
wie sie sich auf die Klettertouren vorbereitet hat, es gab ja noch<br />
keine Kletterhallen. Antwort: Sie habe die Einkaufstaschen vier<br />
Stockwerke hochgetragen und die Windeln der Kinder von Hand<br />
gewaschen und ausgewrungen. Der Alltag und die körperliche<br />
Arbeit darin hat sie fit gemacht. Wenn sie alle Haken mit dem<br />
Hammer herausschlug und den ganzen Bund am Stand Heinz<br />
Bächli übergab – darauf war sie stolz. Das war ihr Glück.<br />
Patricia Purtschert hat sich auf die Suche gemacht nach Bergsteigerinnen<br />
aus einer Zeit, in der das Bergsteigen noch Männersache<br />
war. Sie haben ihre Fotoalben geöffnet und erzählt: Wie<br />
sie mit anderen Frauen kletterten, mit ihren Vätern Skitouren<br />
machten, mit den Ehemännern in steile Wände einstiegen. Mit<br />
Hammer, Haken, Trittleitern und strengen Kleidervorschriften,<br />
aber ohne Kletterfinken, Sonnencrème und LVS. Purtschert zeigt<br />
auf, was diese Bergsteigerinnen verband: die Leidenschaft für den<br />
Alpinismus, trotz gesellschaftlicher Vorurteile. Sie waren Wegbereiterinnen<br />
und haben sich über die Konventionen hinweggesetzt.<br />
Das Buch ist ein Blick auf die Schweiz und auf das vergangene<br />
Jahrhundert. Jeder sollte Purtscherts Suche nach diesen Frauen<br />
fortsetzen und fragen, wie es war. Damit diese Schweizer Frauengeschichte<br />
nicht in Vergessenheit gerät.<br />
INSPIRATION 01 / <strong>2020</strong><br />
PATRICIA PURTSCHERT<br />
«FRÜH LOS. IM GESPRÄCH<br />
MIT BERGSTEIGERINNEN ÜBER<br />
SIEBZIG.»<br />
Baden 2011. Das Buch aus dem Hier und<br />
Jetzt Verlag ist inzwischen in 2. Auflage<br />
erhältlich. ISBN: 978-3-03919-153-6,<br />
CHF 48.–, hierundjetzt.ch<br />
REINHARD KARL<br />
«ZEIT ZUM ATMEN»<br />
Bad Homburg 1980. Der Reprint von 1994<br />
ist antiquarisch erhältlich, der AS Verlag<br />
hat 2002 die meisten seiner Schriften neu<br />
herausgegeben (Tom Dauer: Reinhard<br />
Karl. Ein Leben ohne Wenn und Aber.<br />
AS Verlag, Zürich 2002.)<br />
DIE BERGE ALS<br />
LEHRMEISTER<br />
Zu Beginn meiner Bergsteigeraktivität fragte mein Bruder: «Warum<br />
gehst du jede freie Minute in die Berge?» Ja, warum? Im Buch<br />
«Zeit zum Atmen» schreibt Reinhard Karl so treffend: «Diese letzten<br />
Schritte, ja die tun richtig gut. Und dann oben. Zeit zum Atmen,<br />
Zeit zum Sehen, Zeit zum Staunen.» Karl, ein Automechaniker,<br />
der jede freie Minute in die Berge ging, als Flucht aus dem Alltag.<br />
Der immer besser und stärker wurde, die Idee der Freikletterei<br />
aus den USA mitnahm und an den Pumprissen im Wilden Kaiser<br />
die erste alpine Klettertour im VII. Grad beging. Der fantastisch<br />
zu fotografieren lernte, 1978 als erster Deutscher auf dem Everest<br />
stand und Glücksmomente beschreiben konnte wie kein Zweiter,<br />
etwa wenn beim ersten Bier nach einer Klettertour der Wunsch<br />
erfüllt, aber noch nicht Vergangenheit ist. Karl war auch ein sensibler,<br />
kritischer Geist. Er hinterfragte sich selbst, wenn er Gipfel<br />
nur abhakte und nicht erlebte, und hinterfragte andere, die auf<br />
Expedition die Sherpas als «Eselersatz» und nicht als Menschen<br />
behandelten. Schluss des Buches, nachdem die Cerro-Torre-<br />
Begehung nicht geklappt hat: «Denn vielleicht ist eine Niederlage<br />
genauso konstruktiv wie die Angst. Zeit zum Denken – Zeit zum<br />
Atmen». Wie wahr. 1982 starb Karl, viel zu früh, in einer Eislawine<br />
am Cho Oyu. Aber seine Gedanken, die veralten nie.<br />
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