Berliner Kurier 23.12.2019
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6 BERLIN<br />
BERLINER KURIER, Montag, 23. Dezember 2019<br />
+++terroralarmþamþbreitscheidplatz++terroralarmþa<br />
„Wir dürfen uns nicht<br />
einschüchtern lassen“<br />
Stunden nach dem Polizei-Einsatz läuft das Markttreiben wieder.Doch<br />
in Gedanken waren Händler und Besucher beim Attentat vor drei Jahren<br />
VonNORBERT<br />
KOCH-KLAUCKE<br />
Es duftet nach gebrannten<br />
Mandeln.<br />
Die Lichterketten an<br />
den Buden und Tannenbäumen<br />
leuchten festlich. Der<br />
Weihnachtssong „Rockin’<br />
around the christmas tree“<br />
der US-Countrysängerin<br />
Brenda Lee scheppert aus<br />
den Lautsprechern unter<br />
der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.<br />
Esist vierter<br />
Advent, kurz nach 12<br />
Uhr. Der Weihnachtsmarkt<br />
am Breitscheidplatz hat gerade<br />
seit einer Stunde geöffnet.<br />
Besucher strömen zu<br />
den Ständen, holen sich<br />
Glühwein und Crêpes, suchen<br />
nach Geschenken. Es<br />
herrscht eine ausgelassene<br />
Adventsstimmung, als wäre<br />
auf dem Markt am Abend<br />
zuvor nichts passiert.<br />
Doch das Ereignis kommt<br />
zur Sprache. Immer wieder<br />
fangen Händler an zu erzählen,<br />
wie am Sonnabend ab 19<br />
Uhr die Polizei anrückte,<br />
den Weihnachtsmarkt wegen<br />
eines Terrorverdachtes<br />
schließen ließ. Ein Großeinsatz,<br />
fast genau drei Jahre<br />
nach dem Anschlag, als der<br />
Attentäter Anis Amri mit einem<br />
Lkw in den Weihnachtsmarkt<br />
fuhr, dabei<br />
zwölf Menschen tötete.<br />
Ein paar Meter von der<br />
Stelle entfernt, an der damals<br />
der Laster auf den<br />
Breitscheidplatz donnerte,<br />
verkaufen Ayshe Eretshep<br />
(27) und Emel Adem (23)<br />
Weihnachtsschmuck. „Was<br />
2016 hier passierte, habe ich<br />
zum Glück nicht miterlebt“,<br />
sagt Eretshep. „Doch als am<br />
Sonnabend die Polizisten<br />
kamen und uns sagten, wir<br />
sollte so schnell wie möglich<br />
den Stand schließen und<br />
den Markt verlassen, hatte<br />
ich ein sehr unangenehmes<br />
Gefühl.“<br />
Rosen und Kerzen erinnern auf dem Breitscheidplatz an die zwölf<br />
Menschen, die bei dem Anschlag vordreiJahren getötet wurden.<br />
Ihre Kollegin Adem hatte<br />
gleich die Bilder vom Attentat<br />
vor drei Jahren wieder<br />
vor Augen. Die mit Blaulicht<br />
rasenden Rettungswagen,<br />
die Schreie der Menschen,<br />
die Panik, die vor drei Jahren<br />
auf dem Platz herrschte.<br />
„Die Erinnerungen und<br />
auch etwas Furcht waren<br />
sofort wieder da“, sagt<br />
Adem. „Doch<br />
nach Ereignis-<br />
„Wirmüssen<br />
gegenden<br />
Terrorein<br />
Zeichen<br />
setzen!“<br />
sen wie diesen<br />
muss der<br />
Weihnachtsmarkt<br />
auch<br />
am Tag danach<br />
wieder<br />
weitergehen.“<br />
Es gehe dabei<br />
nicht um<br />
Geschäftemacherei.<br />
„Wir dürfen uns von<br />
Leuten, die gegen unsere<br />
Traditionen sind, Weihnachten<br />
nicht verbieten lassen<br />
und einschüchtern lassen“,<br />
sagt die Verkäuferin.<br />
„So sehen es auch die Besuche,<br />
die seit dem Attentat<br />
immer mehr zu uns kommen<br />
und uns bestärken, mit<br />
dem Weihnachtsmarkt weiter<br />
zu machen.“ Schon, weil<br />
man es den Opfern des damaligen<br />
Attentats schuldig<br />
sei.<br />
An dem Platz vor der Gedächtniskirche,<br />
der mit Kerzen,<br />
Fotos und Blumen an<br />
die Toten erinnert, stehen<br />
viele Besucher, halten stille<br />
Andacht. So manche steuern<br />
den Gedenkort nach<br />
dem jüngsten Polizeieinsatz<br />
erst recht an. „Sicher geht<br />
man Stunden<br />
nach diesem<br />
Ereignis wieder<br />
mit<br />
schweren Gefühlen<br />
über<br />
den Breitscheidplatz“,<br />
sagt Besucherin<br />
Angela<br />
Spiring (54).<br />
Sicher, sie<br />
hätte auch Zuhause bleiben<br />
können. Was wäre, wenn<br />
wirklich Attentäter auf dem<br />
Markt gewesen sind, tatsächlich<br />
ein gefährlicher<br />
Gegenstand gefunden worden<br />
wäre? „Aber ich bin<br />
dennoch da, gerade weil ich<br />
nach solchen Geschehnissen<br />
mit meiner Präsenz hier<br />
auf dem Breitscheidplatz<br />
ein Zeichen gegen den Terror<br />
setzen will“, sagt die<br />
<strong>Berliner</strong>in. „Wir dürfen uns<br />
nicht einschüchtern lassen.“<br />
Und auch Besucherin Petra<br />
L. lässt sich nicht einschüchtern.<br />
Sie war vor drei<br />
Jahren da, als der Anschlag<br />
passierte – und auch am<br />
Sonnabendabend, als der<br />
Markt wegen des Terrorverdachtes<br />
geräumt wurde.<br />
„Natürlich bekommt man<br />
wieder einen Schreck, wenn<br />
die Polizei plötzlich auftaucht<br />
und man merkt, die<br />
Dinge laufen nicht so wie sie<br />
sollten“, sagt sie. „Doch die<br />
Beamten haben einen großartigen<br />
Job geleistet, ließen<br />
bei den Menschen kein Gefühl<br />
der Panik aufkommen.<br />
Ich habe mich sicher gefühlt.<br />
Und dieses Gefühl habe<br />
ich nach wie vor, wenn<br />
ich auf dem Breitscheidplatz<br />
einen der schönsten<br />
Weihnachtsmärkte der<br />
Stadt besuche.“<br />
Auch von Markthändlern<br />
gab es Lob für den Einsatz<br />
der Polizei. „Auch wenn jeder<br />
gleich an das schreckliche<br />
Attentat vor drei Jahren<br />
dachte: Es war schon richtig,<br />
dass die Polizei kam,<br />
auch wenn sich der Terrorverdacht<br />
am Wochenende<br />
sich als Fehlalarm herausstellte“,<br />
sagt Mandel-Verkäufer<br />
Philip Sauter (23).<br />
„Es zeigt, dass die Beamten<br />
nach dem Anschlag viel sensibler<br />
auf Verdachtsmomente<br />
reagieren. Lieber einmal<br />
zu viel als zu wenig kontrollieren.<br />
So bleibt der<br />
Weihnachtsmarkt sicher.“<br />
Das wissen auch viele Besucher<br />
wie Dado Nesic (38),<br />
der mit Vanessa Naumann<br />
am Tag nach dem Einsatz<br />
den markt zum Glühweintrinken<br />
besuchte. „Ich habe<br />
mir ehrlich gesagt keine großen<br />
Gedanken darüber gemacht,<br />
als ich morgens von<br />
dem Terrorverdacht gelesen<br />
hatte“, sagt er. „Von so<br />
etwas lassen wir uns nicht<br />
Bange machen.“