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28 REISE BERLINER KURIER, Sonntag, 2. Februar 2020<br />
Die Fohlen der später strahlend weißen Camargue-Pferde kommen<br />
dunkel zur Welt und hellen erst als Ausgewachsene auf.<br />
Wilde Stars ganz in Weiß<br />
Foto: imago/McPHOTO<br />
Weiß, wild und widerstandsfähig: Die Pferde in der Carmargue sind echte Legenden<br />
Der Pferdezüchter und professionelle<br />
Gardian Daniel<br />
Guillamon steigt auf sein<br />
weißes Camargue-Pferd,<br />
krempelt die Ärmel seines<br />
Hemdes hoch, zupft die Velourslederweste<br />
und den<br />
breitkrempigen Hut zurecht.<br />
Dann greift er den Trident,<br />
den Dreizack, mit der<br />
rechten und die Zügel mit<br />
der linken Hand. „Wir Stierhirten<br />
treiben die wilden<br />
Bullen in der Camargue zusammen.<br />
Dafür brauchen<br />
wir die mutigsten Pferde der<br />
Welt“, sagt der 59-Jährige<br />
lachend und reitet auf das<br />
platte Marschland rund um<br />
das Städtchen Arles hinaus.<br />
Die Schwemmlandebene im<br />
Süden Frankreichs misst fast<br />
2000 Quadratkilometer, umrahmt<br />
von den Orten Arles,<br />
Port St-Louis-du-Rhône und<br />
Aigues-Mortes – ein Unesco<br />
Biosphärenreservat. Hier, wo<br />
sich die kleine und die große<br />
Rhône ins Mittelmeer ergießen,<br />
leben rund 1000 Schimmel<br />
das ganze Jahr über halbwild<br />
in freier Natur. Baumhohe<br />
Schilfgürtel wechseln sich<br />
mit Salzsteppen, Sümpfen,<br />
Reis- und Weinfeldern ab. Libellen<br />
flattern durch die Luft.<br />
Graureiher hocken am Wasser.<br />
Rosaflamingos staksen in den<br />
Etangs, den seichten Seen. In<br />
den Sommermonaten tummeln<br />
sich Touristen an den gewaltigen<br />
Dünen, spazieren<br />
durch Salinen und reiten an<br />
weiten Stränden entlang –ein<br />
Urlaubsparadies.<br />
Dennoch würde es hier keine<br />
andere Pferderasse aushalten.<br />
Zu unwirtlich sind die<br />
herausfordernden Bedingungen:<br />
heiße Sommer mit bis zu<br />
30 Grad Celsius, bitterkalte<br />
Winter, heftige Fallwinde wie<br />
der Mistral und Mückenscharen.<br />
Doch das Camargue-<br />
Pferd hat sich im Laufe der<br />
Geschichte angepasst. Seine<br />
Hufe sind hart, der Haut machen<br />
Mückenstiche nichts<br />
aus, das Winterfellwächstauf<br />
bis zu fünf Zentimeter an. Zudem<br />
kann esunter Wasser die<br />
Sprossen von Schilf und Seggen<br />
grasen.<br />
Als die Camargue noch nicht<br />
landwirtschaftlich erschlossen<br />
war, streiften die Schimmelfrei<br />
durch das Delta.Heute leben sie<br />
weitgehend unbehelligt auf riesigen,<br />
von Wasserkanälen und<br />
Holz umzäunten Pferdefarmen,<br />
den sogenannten Manaden. Mit<br />
klaren Eigentümern und gewissen<br />
Regeln. Jeder der fast hundert<br />
Manade-Pferdezüchter<br />
muss mindestens vier Zuchtstuten<br />
besitzen, um ein eigenes<br />
Brandzeichen zu erhalten. Dazu<br />
braucht er wenigstens 20 Hektar<br />
Freiland, ein Stück so groß<br />
wie 20 Fußballfelder, auf dem<br />
die Tiere verweilen. Der Nachwuchs,<br />
dessen Fell sich oft erst<br />
im Alter von sechs Jahren weiß<br />
färbt, muss hier zur Welt kommen,<br />
ganz ohne die Hilfe und<br />
das Zutun des Menschen. So hat<br />
es die ZüchtervereinigungAssociation<br />
desEleveursdeChevaux<br />
de Race Camargue schon 1967<br />
festgelegt.<br />
Zwar können heute auch<br />
Züchter, die weniger als vier<br />
Stuten besitzen oder die erforderliche<br />
Weidegröße nicht erfüllen,<br />
ein Brandzeichen erhalten,<br />
doch das hat Auswirkungen<br />
auf den Kaufpreis. „4 000<br />
Euro bekomme ich für ein erwachsenes<br />
Camargue-Pferd“,<br />
erzählt Manade-Züchter Daniel<br />
später. Vor 25 Jahren hängte<br />
der gelernte Zahntechniker seinen<br />
Job an den Nagel und widmete<br />
sich der hauptberuflichen<br />
Zucht. Doch bei durchschnittlich<br />
zwei Fohlen Nachwuchs<br />
pro Jahr ist ein Zubrot nötig.<br />
Daniel und seine Familie veranstalten<br />
deshalb regelmäßig<br />
Pferdeshows für die Touristen<br />
und bieten Reitausflüge an.<br />
In Aigues-Mortes, am westlichen<br />
Zipfel der Camargue,<br />
kippt Léa Garnier Wasser aus<br />
einem Tank auf ihrer Pickup-<br />
Ladefläche in eine Tränke auf<br />
ihrer Manade. „Seit Jahren ist<br />
es das erste Mal, dass es fünf<br />
Monate nicht geregnethat. Sogar<br />
das Marschland ist trocken.<br />
Ich muss meinen Pferden<br />
jetzt Wasser bringen“,sagt<br />
die 31-jährige Züchterin. Eigentlich<br />
versorgen sich die genügsamen<br />
Camargue-Pferde<br />
auf ihren Feldern selbst.<br />
In diesem Jahr ist das anders.<br />
Da hilft es vielleicht ein bisschen,<br />
dass Léa und ihr Mann<br />
James Freunde der Pferdepsychologie<br />
sind, sich sowieso<br />
Zeit für die Tiere nehmen und<br />
den Zuchtstuten ein Jahr Pause<br />
gönnen. „Wenn wir die zehn<br />
Monate alten Fohlen vom Freiland<br />
zur Brandmarkung auf<br />
unsere Ranch holen, bekommen<br />
sie vorher eine Spritze.<br />
Das ist zwar nicht traditionell,<br />
aber den Tieren geht esbesser“,<br />
sagt Léa und streicht einer<br />
Stute über den Kopf als<br />
plötzlich ein Kanonenschuss<br />
die Ruhe durchbricht.<br />
Es ist der Startschuss für das<br />
neuntägige Opferfest in der<br />
Altstadt von Aigues-Mortes –<br />
das Ende der Wein- und Salzernte.<br />
Abends wird gegessen<br />
und getanzt. Ein schöner Abschied<br />
von der Camargue, in<br />
der noch heute die weißen<br />
Pferde die großen Stars sind.<br />
Martina Katz