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Ein Arzt im Lager

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Leute. Von meinem Vater habe ich viel gelernt. Er hat mir gesagt: ‘wenn du einen Roten<br />

siehst, schreib ihn dir auf, denn später wird er weiß, und du weißt nicht, daß er ein Roter<br />

ist und kannst dich nicht vor ihm hüten.’”<br />

Es hat sich ein <strong>Lager</strong>leben eingerichtet, von selbst oder dirigiert, von außen oder<br />

von innen? Das ist mir nicht klar, aber eine Ordnung besteht. <strong>Ein</strong>e best<strong>im</strong>mte Gruppe holt<br />

täglich die Erbsen aus dem Militärmagazin, 400g pro Kopf, 8 schwere Säcke. Das Wasser<br />

für die Küche wird <strong>im</strong>mer vorbereitet. Ertönt der Ruf “Wasser”, dann hat die Küche<br />

Vorrecht, und in den Tagen, wo es kein Wasser gibt, zieht eine Kolonne mit Kübeln zur<br />

Quelle des nächsten Ortes und bringt welches, nur für die Küche. Man geht gerne mit<br />

zum Wasserholen. Am Weg trifft man Bauern, kann einen mit gelben Kürbisschnitten<br />

oder gar mit Karotten gefüllten, flachen Kuchen einhandeln oder gar Eier und Butter. Nur<br />

das Wasser ist heilig. Der Tierdoktor versuchte einmal, als der Zug mit vollen Kübeln an<br />

unserem Fenster vorbeiging, einen Kübel Wasser in unser Z<strong>im</strong>mer zu lotsen. Der Träger<br />

tat es gerne. Doch er wurde bemerkt, ein kurzes Handgemenge, das Wasser wird vor<br />

unserem Fenster ausgeschüttet, der Kampf geht um den leeren Kübel. Lieber niemandem<br />

als einem einzelnen. Woher dieser Geist und diese Schulung? Der Tierdoktor schreit,<br />

sch<strong>im</strong>pft “Kommunistenpack”, komisch, wo er doch unter dieser Anschuldigung hier<br />

sitzt. Es hilft nichts. Nur daß eine Bestrafung für sein Verhalten nachher unterbleibt, weil<br />

er inzwischen nützlich wurde. Brot kommt einigermaßen regelmäßig. der Soldat, der den<br />

Wagen bringt, stiehlt einige Brote, verkauft sie an Ukrainer und die dann an uns. Das<br />

zählt nicht viel. Die Hundertschaften erhalten ihren Teil, die Zehnergruppen den ihrigen.<br />

Wir legen unsere Teile zusammen, unsere Nachbarn verlosen sie. Das alles geschieht<br />

reibungslos, wie selbstverständlich. Das Essen geht <strong>im</strong> Kampf um die Erhaltung vor,<br />

dann kommt die Behausung. Die Fenster sind mit Erlaubnis der Behörden ersetzt worden.<br />

Die vielen verlassenen Kasernen in der Militärstadt bieten das Material. Die Scheiben<br />

sind bizarr geflickt. Holzleisten und gebogene Blechstücke halten große und kleine<br />

Glasreste zusammen. Das Resultat ist ein durchsichtiges, ganzes Fenster. Es geht der<br />

Reihe nach, zuerst die großen Schlafsäle mit über 100 Insassen, die noch fast leere<br />

Infirmerie, die Frauenräume und dann auch wir in dem kleinen Z<strong>im</strong>mer. Das Schlafen am<br />

Boden ist nicht nur hart, sondern auch schmutzig. Der Sinn des Bettes ist ein vielfacher.<br />

Es ist weich, warm, aber auch hoch. Die schmutzigen Schuhe lagern ihren Mist am<br />

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