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Ein Arzt im Lager

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emerken, dann schreien sie ein grobes Wort zu uns hinein oder werfen uns einen Stein<br />

ins Fenster. Wir sind vorsichtig, hängen meist 2 Decken übereinander und löschen aus,<br />

bevor wir sie zur Schlafenszeit abnehmen. Die Burschen lesen, sprechen leise, schlafen.<br />

Be<strong>im</strong> Lichte sitzt Bercu und löst mathematische Probleme. Er ist vor kurzem aus<br />

einem großen Saal zu uns gezogen, hat zwei Bretter bekommen, die er abends <strong>im</strong><br />

Mittelgang zwischen unseren Pritschen auflegt. Er ist mit den beiden anderen viel durch<br />

Leid und Freud gegangen, hat Jahre <strong>im</strong> Gefängnis verbracht, hat sich dort eine tiefe<br />

Bildung und Lebensphilosophie geholt und wurde auch uns bald lieb. Mir kommt ein<br />

Gedanke, ich will dem Briefe noch ewas hinzufügen. Ich bin gar nicht so sicher was, aber<br />

mir, mit meiner unleserlichen Schrift überließ man gewöhnlich den sogemannten<br />

allgemeinen Teil des Briefes, der alle betraf, gemeinsame Wünsche ausdrückte und<br />

Empfang einer best<strong>im</strong>mten Sendung bestätigte, damit nicht jeder in seinen paar Zeilen<br />

dasselbe schreiben müsse. Ich habe das unklare Gefühl, ich müsse den Brief unbedingt<br />

noch einmal sehen. Ich frage einen Z<strong>im</strong>mergenossen. Sie sagen mir, ich müsse nach<br />

oben, Deutsch hat den Brief übernommen und schon in seine Kleider eingenäht. Deutsch<br />

schläft schon. Ich wecke ihn, bitte ihn, mir für einen Augenblick den Brief zu zeigen. Er<br />

ist schlaftrunken, schleppt den Mantel heraus, auf dem er schläft, einen alten, jetzt schon<br />

schäbigen, zweireihigen schwarzen Mantel mit Samtkragen, trennt an einer Stelle hinter<br />

den Knöpfen das schwarze Unterfutter ab und gibt mir ein mit Zwirn gebundenes<br />

Päckchen. Ich sehe unseren Gruppenbrief, klein, zusammengefaltet, und die Quittung,<br />

doch was ist das, auf anderem Papier und, jetzt schon neugierig, mit anderen Zahlen? Ich<br />

habe nach Abzug 3,400 bekommen, hier sind 6,000, Muniu hat 3,000 bekommen, hier<br />

sind 8,000. Der Deutsch ist verschlafen, merkt nichts. Ich wechsle mit ihm ein paar<br />

belanglose Worte und präge mir inzwischen genau die Zahlen der Quittung ein. Dann<br />

sehe ich die Unterschriften. Sie sind von unserem Original aus mit Bleistift<br />

nachgezeichnet oder kopiert. Das Ganze ist auf der Rückseite eines Zugfahrplans<br />

geschrieben, begreiflich, wenn der Überbringer ein Eisenbahmbeamter war. Also, man<br />

hat uns falsche Beträge, kleinere Beträge, ausgezahlt. Man hat unsere Unterschriften auf<br />

einer Kopie abverlangt und auf die richtige Quittung übertragen. <strong>Ein</strong>e komplizierte<br />

Arbeit, fachmännische Arbeit, weit über dem Rahmen der geistigen Potenz des<br />

epileptischen Deutsch aus Kolosvar. Von dem Rest ließ man uns die freiwilligen 10%<br />

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