20.12.2012 Aufrufe

Ein Arzt im Lager

Ein Arzt im Lager

Ein Arzt im Lager

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

nehmen, Erpressung dazugelernt. Am Ende des Torganges steht zufällig, breit und<br />

elegant, der Kommissar B., Leiter des Meldeamtes. “Ah! Wie ist der Name? Ja, natürlich,<br />

die ganze Stadt weiß ja, wer du bist, ein Agitator, ein gefährliches Individuum.” Er läßt<br />

es sich nicht nehmen, eine kleine Ansprache voll von Besch<strong>im</strong>pfungen und Drohungen<br />

loszuwerden. Ich sah ihn an. Er kennt wohl kaum meinen Namen, aber die Deutschen<br />

stehen vor Moskau, wir Rumänen müssen zeigen, daß wir den neuen Geist begreifen und<br />

es laut heraussagen. Der Weg führt durch einen langen Gang zum Z<strong>im</strong>mer des<br />

diensthabenden Kommissars <strong>im</strong> Vorraum des Gefängnisses. Ich kenne die<br />

Räumlichkeiten, die Prozeduren, nehme Krawatte und Hosenträger rasch ab, lege sie mit<br />

dem Inhalt aller Taschen in den Hut, verstecke Bleistift <strong>im</strong> Schuh und etwas Geld in der<br />

Uhrentasche, hebe die Hände zur Körpervisite und werde schließlich einem der Schließer<br />

übergeben, der mich in die Zelle bringt. Dieser Raum ist mir unbekannt. Er ist <strong>im</strong> Parterre<br />

gelegen. Bisher logierte ich <strong>im</strong> ersten Stockwerk. In der Zelle steht und liegt nichts als<br />

eine kurze Bank. Mit dem Gefühl —endlich allein— breite ich meinen Mantel auf dem<br />

etwas feuchten Steinboden aus und lege mich nicht einmal schlafen. Ich sitze auf der<br />

Bank und erwäge. Vielleicht haben sie mich doch aus anderer Ursache genommen, nicht<br />

zur Verschickung, denn sonst müßten ja auch andere da sein. Das Gehirn arbeitet, ersinnt<br />

andere Möglichkeiten. Nach einer halben Stunde erscheint mit verstörtem Blick der<br />

Berufskollege, Dr. E. Nun ist es klar. Er war auf der Liste Nr. 1 und verschwand durch<br />

Geld und gute Beziehungen, aber wohl erst, nachdem diese Liste schon an die Zentrale<br />

nach Bukarest abgegangen war. Noch ein dritter und vierter erscheint, und dann staut sich<br />

schon der Weg ins Gefängnis be<strong>im</strong> amtierenden Kommissar, denn dauernd erscheinen<br />

neue Leidensgenossen, aus dem Bette gerissen, jeder in seiner Art auf den psychischen<br />

Schock reagierend. Die meisten sind ruhig, der Abschiedsschmerz zittert in ihnen nach.<br />

Erst gegen 5 Uhr früh erscheint <strong>im</strong> Sportdress mit meisterhaft gepacktem Rucksack unser<br />

alter Freund Bronfisch (derselbe, der am 28. Juni den Offizieren seine<br />

Familiengeschichte als ein Muster der Gerechtigkeit zum besten gab). Nach einem<br />

freundlichen “guten Morgen” verteilt er verbotene Zigaretten und bringt mit lauter<br />

St<strong>im</strong>me eine der Örtlichkeit gar nicht angepaßte Unterhaltung in Gang. Er weiß natürlich<br />

alles, hat es vorher schon gewußt, und schließlich läßt sich jeder gerne aus seinem sturen<br />

Dahindösen und <strong>im</strong> Kreise Denken herausreißen, hört zu, lacht sogar. Die Gruppe<br />

4

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!