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Ein Arzt im Lager

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gehen. Doch nun kommt Frau Adele zu ihrer großen Szene. Ihre Tochter, die an einem<br />

der nächsten Tage auf einer abenteuerlichen Bootfahrt ins Ausland gehen soll, ist<br />

erschienen. Sie will ihr Kind noch einmal umarmen, und als ihr das durch die Gendarmen<br />

verwehrt wird, beginnt sie mit Weinen, es folgt Zittern, Heulen, Zähneklappern, der<br />

große Bogen nach rückwärts, und schließlich Kniefall mit pathetischem Anruf von Gott<br />

und allen Heiligen, dazwischen <strong>im</strong>mer wieder Versuche, durch die Kette der Gendarmen<br />

zu ihrer Tochter durchzudringen. Der Unteroffizier, der keine psychologischen<br />

Kenntnisse hatte und auch keinen guten Willen, denn er hatte noch keine Bestechung<br />

erhalten, ließ sich mit seinem Kommando verbinden und forderte Ketten an, da<br />

Ausbruchsgefahr bestand. Die Ketten wurden nach einer halben Stunde gebracht, und bei<br />

Drohung der Anlegung wurde alles still, auch Frau Adele. Er war also doch ein<br />

Psychologe auf seine Art. Außerdem wußte er wohl aus Erfahrung, daß große anfängliche<br />

Strenge die späteren Bestechungssummen vervielfacht. <strong>Ein</strong> Freund des alten Moritz, der<br />

Polizeikommandant des Sektors, in dem er jahrzehntelang Bezirksarzt war, hatte sich<br />

eingefunden, bewegte sich unauffällig in unserer Nähe und trug wohl dazu bei, die ganz<br />

unnütze Fesselung abzuwehren. Der Unteroffizier hat unsere Begleitpapiere aus der Hand<br />

der gehe<strong>im</strong>en Staatspolizei übernommen. Jetzt is er der Herr. Es heißt nun: Hände hoch!<br />

Höchstpersönlich tastet er uns ab, kontrolliert den Tascheninhalt, konfisziert<br />

Taschenmesser, Scheren und andere Waffen. Dann läßt er jeden zu seinem Gepäck treten<br />

und befiehlt den Abmarsch.<br />

Es geht durch den langen Gang, dann die Treppe hinunter und den Gang zum<br />

Haupttor. Neugierige Beamten der Polizei beobachten das Schauspiel, Polizisten machen<br />

ihre Bemerkungen, Emanuels Koffer machen von Anfang an Schwierigkeiten, die<br />

anderen tragen schwere Rucksäcke, Brotsäcke, Flaschen. Vor dem Tor wartet ein<br />

Polizeiauto, eine Art Lastwagen, bei dem die Karosserie statt der Seitenwände einige<br />

Reihen von Bänken mit Lehnen trägt. Wir sind 18, und es ist ziemlich eng. Die<br />

Wachmannschaften klammern sich an den Wagenrand. Wir sind sehr still, helfen uns<br />

gegenseitig in den Wagen und be<strong>im</strong> Verstauen der Gepäckstücke, streiten nicht um Platz.<br />

Der Wagen fährt durch eine kurze Straße, biegt um die Ecke und erreicht nach einigen<br />

Minuten die Hauptwache der Gendarmerie <strong>im</strong> Stadtzentrum. Hier erhält unser<br />

Unteroffizier die genauen Instruktionen. <strong>Ein</strong> junger, dicker Leutnant mit rundem<br />

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