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BLICKWECHSEL 2020

Mittendrin und anders. Deutschsprachige Minderheiten im östlichen Europa

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MITTENDRIN UND ANDERS<br />

VERLASSENES LAND<br />

Die ehemalige deutsche Sprachinsel in der Gottschee<br />

Auf dem Gebiet des heutigen Slowenien lebten vor dem<br />

Zweiten Weltkrieg (um 1931) rund 29 000 Personen mit<br />

Deutsch als Muttersprache, vor allem in Laibach/Ljubljana,<br />

in der Gottschee/Kočevska, in diversen untersteirischen<br />

Städten und Märkten, im Abstaller Feld und in vier Dörfern<br />

des Übermurgebiets. Die deutsche Sprachinsel in der Gottschee<br />

war etwa 800 Quadratkilometer groß.<br />

Während des Krieges wurde das slowenische Gebiet<br />

zwischen Deutschland, Italien, Ungarn und Kroatien aufgeteilt.<br />

Dies führte im Jahr 1941 zur Umsiedlung von etwa<br />

12 000 Gottscheer Deutschen und zirka 1 600 Laibacher<br />

Deutschen aus dem italienischen Besatzungsgebiet. Die<br />

Nationalsozialisten, die deutschsprachige Bürgerinnen und<br />

Bürger aus allen europäischen Ländern ins Deutsche Reich<br />

holten, regten auch die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen<br />

an. Man wies ihnen ein von den Deutschen okkupiertes<br />

Gebiet an der Grenze zum Königreich Italien und zum<br />

Unabhängigen Staat Kroatien zu, aus dem die Mehrheit der<br />

slowenischen Bevölkerung vorher vertrieben worden war.<br />

Die rigide Besatzungspolitik der Nationalsozialisten und<br />

deren Unterstützung durch einen Teil der deutschsprachigen<br />

Minderheit hatten später die Forderung nach kollektiver<br />

Reproduktion zweier Ansichtskarten von Unterwarmberg/<br />

Dolnja Topla Reber aus dem Jahr 1913, © Pokrajinski muzej<br />

Kočevje<br />

Verantwortung der Deutschen in Slowenien zur Folge. Die<br />

Abrechnung mit der deutschsprachigen Minderheit nach<br />

dem Ende des Krieges war radikal. Diejenigen, die nicht<br />

gemeinsam mit der deutschen Armee das Land verlassen<br />

hatten, wurden von der neuen jugoslawischen Regierung in<br />

Lager gesperrt oder ausgewiesen, ihnen wurde die Staatsangehörigkeit<br />

aberkannt und ihr Vermögen wurde konfisziert.<br />

Insgesamt registrierte der Staatssicherheitsdienst 9 474<br />

ausgesiedelte Personen. Aufgrund dieser Maßnahmen gab<br />

es schließlich nur noch wenige Deutschsprachige in Slowenien.<br />

Die letzte Volkszählung im Jahr 2002 verzeichnete<br />

1 628 Personen mit deutscher Muttersprache, 680 darunter<br />

bezeichneten sich als »Deutsche« (davon 181 österreichische<br />

und 499 deutsche Staatsbürger). Sie lebten über das<br />

gesamte slowenische Gebiet verteilt.<br />

Die Entvölkerung der Gottschee<br />

Nachdem die Deutschen ihre Häuser in der Gottschee verlassen<br />

hatten, blieben ihre Dörfer und Siedlungen meist<br />

unbewohnt. Ein Teil wurde niedergebrannt, vieles nicht wiederaufgebaut<br />

oder renoviert. Die nach dem Krieg konfiszierten<br />

deutschen Grundstücke wurden zu sozialistischen<br />

staatlichen Landwirtschaftsgütern umfunktioniert. Die ambitionierten<br />

Pläne trugen jedoch keine Früchte. Aufgrund<br />

schlechter Besiedlungs- und Personalentscheidungen, aber<br />

auch wegen der Wirtschafts- und Kulturpolitik blieben weite<br />

Landstriche unbesiedelt. Ein Großteil des Gebietes im Gottscheer<br />

Land wurde zur militärischen Sperrzone erklärt.<br />

Zudem hatte man aus ideologischen und nationalen Gründen<br />

alles beseitigt, was kirchliche oder deutsche Züge trug.<br />

Das Schicksal der deutschsprachigen Minderheit kann mit<br />

einigen Zahlen dargestellt werden: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

lebten in der Gottschee rund 20 000 Deutsche,<br />

heute sind es nur noch ein paar wenige. Mehr als neunzig<br />

Prozent des Gebietes sind von Wald bedeckt, die einstige<br />

Siedlungskultur ist fast vollständig verschwunden. Die Dörfer<br />

sind größtenteils verfallen oder wurden abgerissen, über<br />

100 von insgesamt 176 wurden zerstört. Von 123 Kirchen<br />

sind nur noch 28 erhalten. Ein ähnliches Schicksal ereilte<br />

Kapellen und Bildstöcke: Von etwa 400 ist heute nur noch<br />

ein Zehntel vorhanden. Auch die Mehrheit der 38 Friedhöfe,<br />

der bedeutendsten materiellen Zeugen der 600-jährigen<br />

Anwesenheit der Gottscheer Deutschen auf slowenischem<br />

Gebiet, wurde vernichtet. Grabsteine mit deutschen Namen<br />

sind inzwischen sehr selten.<br />

Neue Entwicklungen – Grund zur Hoffnung?<br />

Noch vor dreißig Jahren war das Gottscheer Land ein vergessenes<br />

Land. Doch nach den demokratischen Veränderungen<br />

in Slowenien im Jahr 1990 wurde das Gebiet auch<br />

für Forscherinnen und Forscher interessant, die sich mit

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