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BLICKWECHSEL 2020

Mittendrin und anders. Deutschsprachige Minderheiten im östlichen Europa

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Böhmisch-sächsische<br />

Grenzwanderung<br />

Bilder vom Existenzkampf des armen<br />

Erzgebirgsvolkes<br />

Ein rauhes Berg- und Sumpfland, den größten Teil<br />

des Jahres von Nebel und Dunkelheit bedeckt, mit<br />

reißenden Raubtieren bevölkert und nur von wenigen<br />

Pfaden durchschnitten – so sah vor einem Jahrtausend<br />

noch nach den Schilderungen der Geschichtsschreiber<br />

das heutige Erzgebirge aus. Erst im zwölften<br />

Jahrhundert brachte der Bergbau reges menschliches<br />

Leben und Schaffen auf die unwirtlichen Höhen. Auf<br />

die Kunde von reichen Silbererzfunden ergoß sich ein<br />

Strom hauptsächlich deutscher Einwanderer in das<br />

rauhe Grenzgebirge. Im harten Felsgestein begann<br />

emsiges Bohren und Hämmern, Schmelzöfen und Kohlenmeiler<br />

durchbrachen mit ihrem Rauch die feuchte<br />

Nebeldecke, und fraßen mit ihrer Glut tiefe Einschnitte<br />

in das Urwaldgestrüpp. Auf den Waldblößen entstanden<br />

alsbald volkreiche Siedlungen, neue Wege und<br />

Pfade eröffneten sich dem Verkehr. Freie Bergstädte<br />

blühten auf, Handel und Wandel stellten die Verbindungen<br />

mit den Kulturzentren des damaligen Mitteleuropa<br />

her und trugen die reichen Früchte des<br />

»Bergsegens« in die fernsten Länder. Im fünfzehnten<br />

Jahrhundert erreichte der Erzbergbau den Höhepunkt<br />

seiner Blüte, dann brausten die Stürme der Religionskämpfe<br />

und des Dreißigjährigen Krieges über ihn<br />

hinweg und ließen auch dieses werkfleißige Grenzland<br />

veröden. Es hat später nicht an Versuchen gefehlt,<br />

den »Bergsegen« wieder so reich wie früher in leere<br />

Staatssäckel und in die Taschen des Adels fließen zu<br />

lassen, aber die alte Blütezeit kam nimmer zurück. Im<br />

Laufe der letzten Jahrhunderte sind dann die Zechen<br />

vollends ausgestorben, die Schmelzöfen erloschen,<br />

die Eisenhämmer verfallen und nur noch der Name<br />

der Landschaft erinnert an die große Vergangenheit.<br />

*<br />

Bewohnern des Flachlandes immer wieder nützlich zu<br />

machen, damit diese ihnen zum Lohn dafür den dürftigsten<br />

Lebensbedarf stillen, den ihnen der karge Heimatboden<br />

verweigert. Hundertfältige Versuche hat das<br />

arme Erzgebirgsvolk bereits unternommen, sich neue<br />

Daseinsgrundlagen zu zimmern, seitdem die alte Existenzbasis<br />

zerbrochen ist. Alle Arten von Heimarbeiten<br />

wurden bereits eingeführt und vielfach wieder aufgegeben,<br />

Industrialisierungsversuche mit wechselndem<br />

Erfolg begonnen, während die Bewohner ganzer Ortschaften<br />

ihr Glück als Musikanten, Händler und Hausierer<br />

in der engeren Heimat und auch weit in der Welt<br />

draußen erprobten. Die unermüdliche Ausdauer, mit<br />

der die Nachfahren der alten Bergmannsgeschlechter<br />

um ihr kümmerliches Dasein ringen, die Zähigkeit, mit<br />

der sie sich an den geizigen Gebirgsboden klammern,<br />

ihr freundliches Wesen, ihr heiteres Lebenskünstlertum<br />

sind wohl einer näheren Beschreibung wert.<br />

*<br />

Heinrichsdorf-Natschung. Dieser freundliche<br />

Grenzort erleidet das traurige Schicksal wirtschaftlichen<br />

Niederganges. Das alte Nagelschmiedegewerbe,<br />

einstmals der Hauptberuf der männlichen Ortsbevölkerung,<br />

rentiert sich nicht mehr. Die Nagelschmiederei<br />

kam aus Sachsen herüber und bürgerte sich<br />

bei den Heinrichsdorfern fest ein. Sie betrieben das<br />

Handwerk in kleinen und größeren Werkstätten mit<br />

primitiven Feueressen und Blasbälgen und lieferten<br />

zentnerweise Schienennägel, Schiffsnägel, Mauerhaken,<br />

Hufeisennägel und so weiter in die Welt hinaus.<br />

In den ersten Nachkriegsjahren zählte die Gilde der<br />

Nagelschmiede noch 250 Mann, seither ist sie in stetem<br />

Rückgang und umfaßt heute noch 20 bis 25 Ausübende.<br />

An dem rapiden Aussterben ist der technische<br />

Fortschritt schuld und nicht zuletzt eine kleine chauvinistische<br />

Quertreiberei. Eine Komotauer Eisenwaren-<br />

Eine alte Schmelzhütte – heute Zuflucht der Waldbäume<br />

Bis auf spärliche Überreste ist der alte Erzbergbau<br />

erstorben, der einstens die einzige Lebensquelle des<br />

schaffenden Erzgebirgsvolkes war. Aber die Bergstädte,<br />

die vielen Dörfer mit ihren auf weitem Plan zerstreuten<br />

Fachwerk-Hütten und ihre Bewohner leben noch.<br />

Sie stehen und leben weiter auf einem Boden, der viel<br />

zu arm ist, Menschen in größerer Zahl zu ernähren,<br />

und der nur durch einen geschichtlichen Zufall so eng<br />

und so dicht besiedelt worden ist. Und so ist es seit<br />

Jahrhunderten das Lebensproblem der Erzgebirgler,<br />

sich durch Fleiß und Geschick und Kunstfertigkeit den

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