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BLICKWECHSEL 2020

Mittendrin und anders. Deutschsprachige Minderheiten im östlichen Europa

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JUNG UND PLURIKULTURELL<br />

Seit über 25 Jahren bereichert »Canzonetta« das Musikleben im siebenbürgischen Kronstadt/Brașov<br />

23<br />

In Siebenbürgen/Transsylvanien hat<br />

fast jeder Ort mehrere Namen – so<br />

wie Kronstadt (deutsch) auch Brașov<br />

(rumänisch) und Brassó (ungarisch)<br />

heißt. Die Gesellschaft ist multiethnisch<br />

und multikonfessionell. Neben<br />

Rumänen, Ungarn, Juden und Roma<br />

leben seit dem 12. Jahrhundert auch<br />

Deutsche hier – die Siebenbürger Sachsen.<br />

Obwohl ihre Zahl inzwischen stark<br />

geschrumpft ist, sind ihre Kultureinflüsse<br />

noch sehr präsent.<br />

In großen Städten existiert ein<br />

intaktes deutsches Schulwesen<br />

und ein kirchliches Gemeindeleben.<br />

Zudem gibt es eine<br />

lange Musiktradition. Jeden Sommer<br />

werden in den mittelalterlichen Wehrkirchen<br />

in der Umgebung Kronstadts<br />

Konzerte organisiert, in der Schwarzen<br />

Kirche, dem größten gotischen Bauwerk<br />

Südosteuropas, finden Orgelkonzerte<br />

statt, der Bach-Chor der evangelischen<br />

Honterus-Gemeinde ist über die<br />

Grenzen Rumäniens hinaus bekannt.<br />

Seit über 25 Jahren gibt es auch<br />

»Canzonetta«, das Vokal- und Instrumental-Ensemble<br />

der Evangelischen<br />

Kirchengemeinde A. B. Kronstadt – 25<br />

bis dreißig Personen zwischen 9 und<br />

18 Jahren, die gemeinsam musizieren.<br />

Ihr Repertoire reicht von Instrumental-<br />

und Chormusik aus Renaissance,<br />

Barock oder Klassik über internationale<br />

Evergreens des 20. Jahrhunderts<br />

bis hin zu Volksmusik aus der rumänischen,<br />

ungarischen, deutschen, jüdischen<br />

Tradition Siebenbürgens. Das<br />

bewirkt bei den jungen Menschen<br />

noch mehr Toleranz anderen Nationalitäten<br />

gegenüber. Plurikulturalität<br />

gilt auch für die Zusammensetzung der<br />

Gruppe: Unterschiedliche Ethnien sind<br />

vertreten, bei Proben und Konzerten<br />

wird aber Deutsch gesprochen.<br />

1994 gründete Ingeborg Acker<br />

zunächst eine Blockflötengruppe<br />

mit Schülern des deutschsprachigen<br />

Johannes-Honterus-Lyzeums. Immer<br />

häufiger wurde Chorgesang instrumental<br />

begleitet, vornehmlich vom<br />

MITTENDRIN UND ANDERS<br />

Blockflötenquartett und von Rhythmus-Instrumenten.<br />

Später kamen<br />

Metallophone, Xylophone, Glockenspiele<br />

hinzu. Seit 1999 heißt das Ensemble<br />

»Canzonetta«. Mehrere ehemalige<br />

Mitglieder sind heute erfolgreiche<br />

Musiker. Doch das Hauptziel ist nicht<br />

die Vorbereitung auf eine musikalische<br />

Karriere, sondern die Förderung von<br />

Teamgeist, Kollegialität und Gemeinschaftssinn<br />

mit Hilfe der Musik.<br />

»Auf menschlicher Ebene<br />

bringt das gemeinsame Musizieren<br />

den Kindern eine Stärkung<br />

des Selbstbewusstseins,<br />

der Kommunikationsfähigkeit,<br />

mehr Freude an den Klängen<br />

und Rhythmen ohne Jagd nach guten<br />

Noten und schließlich auch ohne iPhones,<br />

Computerspiele und Facebook.<br />

Außerdem vermittelt man der jungen<br />

Generation ein Stück Kultur, das sich<br />

die Kinder zu eigen machen und nicht<br />

nur passiv zur Kenntnis nehmen. Deshalb<br />

versuche ich das Repertoire so zu<br />

gestalten, dass die ›Canzonettisten‹<br />

in alle musikgeschichtlichen Stilrichtungen<br />

›hineinschnuppern‹ können<br />

und sich begeistern lassen. Allein mit<br />

Klassik wäre diese Resonanz schwer<br />

zu erreichen«, meint Ingeborg Acker.<br />

Seit der Gründung von »Canzonetta«<br />

entdeckten Hunderte<br />

von Kindern und<br />

Jugendlichen ihre<br />

Liebe zur Musik.<br />

Das Ensemble<br />

erfindet sich immer wieder neu –<br />

Zusammensetzung und Repertoire<br />

ändern sich ständig. Doch eines ist<br />

nach über 25 Jahren gleichgeblieben:<br />

die Freude am Musizieren.<br />

Elise Wilk<br />

Die rumäniendeutsche Journalistin und Theaterautorin<br />

Elise Wilk leitet die Lokalredaktion der<br />

Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien<br />

(ADZ) in Kronstadt/Braşov und erhielt 2019 die<br />

Auszeichnung »Auslandsdeutsche des Jahres«.<br />

Ingeborg Acker, geboren 1957 als Ingeborg<br />

Gagesch in Rosenau/Râşnov, Siebenbürgen,<br />

Rumänien, ist seit 1980 Organistin<br />

der Evangelischen Kirche A. B. (Honterus-Gemeinde)<br />

in Kronstadt/Brașov. 1994<br />

gründete sie das Vokal- und Instrumental-<br />

Ensemble »Canzonetta«, in dem Kinder und<br />

Jugendliche unterschiedlichen Alters und<br />

verschiedener Ethnien gemeinsam musizieren.<br />

Das schon mehrfach preisgekrönte<br />

Ensemble gab Konzerte in Rumänien,<br />

Österreich, Deutschland und der Schweiz,<br />

war im TV zu sehen und nahm CDs auf. Im<br />

September 2019 wurden Ingeborg Acker<br />

und »Canzonetta« mit dem Förderpreis des<br />

Georg Dehio-Kulturpreises ausgezeichnet.<br />

»Canzonetta«-Konzert am 27. September 2019 in der Heilige-Geist-Kirche Berlin,<br />

Foto: Helge Theil/DKF<br />

Kulturpreis<br />

2019<br />

GEORG<br />

DEHIO

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