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BLICKWECHSEL 2020

Mittendrin und anders. Deutschsprachige Minderheiten im östlichen Europa

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CREMIG, SCHOKOLADIG, HIMMLISCH!<br />

Die Dobosch-Torte begeistert seit 135 Jahren nicht nur Kaiser und Genies<br />

Die Chronisten der österreichisch-ungarischen Monarchie<br />

haben die Wojwodina wegen ihres fruchtbaren, »fetten«<br />

Ackerbodens als Speisekammer Europas bezeichnet. Die<br />

Menschen hier gelten als gastfreundlich und gesellig, schätzen<br />

gutes Essen und Trinken. Trotz häufiger politischer Auseinandersetzungen<br />

und damit verbundener, oft willkürlicher<br />

Grenzverschiebungen lebten hier schon immer verschiedene<br />

Nationalitäten friedlich nebeneinander und haben<br />

sich in ihrem Brauchtum, im Feiern ihrer Feste und auch<br />

in der Zubereitung ihrer Speisen gegenseitig beeinflusst.<br />

Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges bildeten die<br />

Ungarn, Serben und Deutschen die drei größten Bevölkerungsgruppen<br />

der heute in der Republik Serbien gelegenen<br />

Region. Ihre Küche vermischte sich mit der Zeit, es entstand<br />

die »Wojwodina-Küche«: würzig-scharf, saftig und üppig.<br />

Bei einem sonntäglichen Mittagessen durfte eine köstliche<br />

Hühnersuppe nicht fehlen, danach gab es gekochtes Fleisch<br />

mit Saucen, Braten mit Beilagen und zum Abschluss Kuchen<br />

als unverzichtbaren Bestandteil. Alle Kuchen und Torten<br />

werden heute noch nach Wiener oder Budapester Rezepten<br />

hergestellt: cremig, schokoladig, nussig, einfach himmlisch!<br />

Eine der beliebtesten Kreationen ist die Dobosch-Torte.<br />

Sie war auch die Lieblingstorte unseres Vaters. Diese Torte<br />

wurde auf der Budapester Landesausstellung 1885 von dem<br />

ungarischen Konditor József Dobos präsentiert. Der Name<br />

wird gesprochen wie »Dobosch«, aus dem Ungarischen übersetzt<br />

heißt das Trommler – und die Form der Torte erinnert<br />

auch an eine Trommel. Zu denen, die sie damals gekostet<br />

haben, gehörte das österreichische Kaiserpaar Franz<br />

Joseph I. und Elisabeth (»Sisi«), die zu jener Zeit auch König<br />

und Königin von Ungarn waren. Die Torte wurde außerordentlich<br />

beliebt und gerne zu Weihnachten, Silvester oder<br />

an Geburtstagen aufgetischt oder verschenkt. Sogar Albert<br />

Einstein war begeistert, als seine Braut Mileva Marić aus Neusatz/Novi<br />

Sad eine Dobosch-Torte zusammen mit anderen<br />

hausgemachten Köstlichkeiten in einem Weihnachtspaket<br />

nach Schaffhausen schickte. Am 28. Dezember 1901 schrieb<br />

Albert an seine Zukünftige: »Was hab ich für ein goldiges<br />

Schatzerl und was für ein feins Paketl hat mirs geschickt!<br />

Sogar ein großartig feines Dobogl [Diminutiv von Dobosch-<br />

Torte] hats drin verborgen & ein allerliebstes Brieferl …«<br />

Auch in unserer Familie ist die Dobosch-Torte zu Weihnachten<br />

ein besonderes Highlight. Zur Erinnerung an seine<br />

Kindheit führte unser Vater diese Tradition bei uns ein. Er<br />

wurde im Banat, in<br />

der Stadt Werschetz/<br />

Vršac als Kind einer<br />

donauschwäbischen<br />

Familie geboren, deren<br />

Ahnen 1789 aus dem<br />

Elsass in diese Region<br />

kamen. Die Großeltern<br />

meines Vaters wohnten<br />

im benachbarten<br />

Zichydorf/Plandište,<br />

wo mein Vater mit seinem<br />

Bruder die Winterferien<br />

verbrachte.<br />

Er erzählte gerne,<br />

dass die Großmutter<br />

die Reste der Dobosch-Torte stets in ihrer Küchenkredenz<br />

versteckt hielt, was natürlich ein besonderer Reiz für die<br />

Schleckermäuler war.<br />

Mein Neffe war als Kind ein schlechter Esser. Das Einzige,<br />

was er gerne mochte, war die Dobosch-Torte. So musste<br />

meine Schwester dafür sorgen, dass diese Köstlichkeit immer<br />

im Hause war. Als wir einmal ein Weihnachtsfest mit vielen<br />

Gästen feierten und die Kuchen und Torten zum Servieren<br />

bereitgestellt waren, steckte meine damals zweijährige Tochter<br />

jedes Mal, wenn sie daran vorbeiging, ihr Fingerchen in<br />

die Schokocremefüllung der Dobosch-Torte, so dass diese<br />

voller Löcher auf die Festtafel kam. Ich rätselte vergeblich,<br />

wie das passiert war, bis ich das verschmierte Gesichtchen<br />

meiner Tochter sah. Seitdem sind viele Jahre vergangen,<br />

meine Tochter hat geheiratet und wir erwarten ein Enkelkind.<br />

Aber die Feiertage sind nach wie vor ohne Dobosch-<br />

Torte nicht vorstellbar – und die Anekdoten, die damit verbunden<br />

sind, bleiben unserer Familie in Erinnerung.<br />

Éva Hübsch<br />

Die Regisseurin und Produzentin Éva<br />

Hübsch begann ihre journalistische<br />

Laufbahn im wojwodinischen Fernsehen.<br />

Seit 1992 arbeitet sie für verschiedene<br />

in- und ausländische TV-<br />

Produktionen und gründete 2008<br />

ihre eigene, im serbischen Neusatz/<br />

Novi Sad ansässige Produktionsfirma<br />

Media News.

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