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hinnerk Juni/Juli 2020

Seit 1993 ist hinnerk DAS (erst schwule) und heute queere Magazin für Hamburg und Norddeutschland.

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MUSIK<br />

NACHGEFRAGT<br />

RUFUS<br />

WAINWRIGHT:<br />

Wieder im Spiel<br />

Ist Rufus Wainwright der<br />

letzte Mensch, dem wir<br />

für lange Zeit die Hand gegeben<br />

haben? Die Pandemie wirft ihre<br />

Schatten nicht nur voraus, sondern<br />

bereits in alle Winkel des Lebens,<br />

als wir den 46-Jährigen – im weit<br />

aufgeknöpften weißen Leinenhemd,<br />

blauer Stoffhose und mit<br />

braun gebranntem Gesicht – am<br />

Ende der ersten Märzwoche in<br />

Berlin treffen.<br />

Wenige Tage später steigt Corona<br />

zum größten Menschheitsdrama seit<br />

dem Zweiten Weltkrieg auf, doch hier<br />

und jetzt in einem Büro am Berliner<br />

Gendarmenmarkt lässt sich noch unverfänglich<br />

und bei vorzüglichem Cappuccino<br />

plaudern, etwa über Wainwrights jüngsten<br />

Australienaufenthalt (daher die Farbe),<br />

die neunjährige Tochter Viva, deren<br />

Sorgerecht sich Rufus und sein aus<br />

Hamburg stammender Kunsthändler-<br />

Ehemann Jörn Weisbrodt mit Leonard<br />

Cohens Tochter Lorca teilen, aber auch<br />

natürlich über „Unfollow The Rules“. So<br />

heißt Wainwrights erstes Pop-Album seit<br />

„Out Of The Game“, das 2012 erschien. In<br />

der Zwischenzeit hat der umtriebige und<br />

vielseitige Sohn der 2010 verstorbenen<br />

kanadischen Folksängerin Kate McGarrigle<br />

und des US-amerikanischen Singe-<br />

Songwriters Loudon Wainwright unter<br />

anderem Shakespeare-Sonette vertont<br />

und seine zweite Oper „Hadrian“ vollendet.<br />

„Die Popmusik ist aber immer noch mein<br />

Hauptberuf“, betont Rufus, „und ich hatte<br />

nach all den Jahren den Drang, dorthin<br />

zurückzukehren, wo alles für mich anfing.“<br />

Auch in ganz konkretem Sinne: „Unfollow<br />

The Rules“ entstand zusammen mit dem<br />

Produzenten Mitchell Froom überwiegend<br />

in jenen legendären Sound City Studios<br />

in Los Angeles, in denen er einst 1998<br />

sein nach ihm betiteltes Debütalbum<br />

aufnahm. „Auch wenn ich nie die größte<br />

lebende Popsensation war, der die Leute<br />

scharenweise hinterherrannten, so habe<br />

ich doch immer eine Menge Wohlwollen<br />

und Respekt bekommen.“ Zudem, so<br />

Wainwright, sei das Popgeschehen heute<br />

näher an ihn herangerückt als in den Jahren<br />

zuvor. „Aktuell werden vermeintliche<br />

oder tatsächliche Außenseiter wie Billie<br />

Eilish oder Lizzo gefeiert. Der Pop hat<br />

sich definitiv geöffnet.“ Und da kommt<br />

„Unfollow The Rules“ gerade recht. In<br />

typischer Rufus-Manier sind die Songs<br />

wirklich üppig arrangiert und instrumentiert,<br />

über großen, teils hymnischen<br />

Harmonien schwelgt er mit seiner sonoren<br />

Stimme. Ein zeitloses und inhaltlich<br />

auffallend optimistisches Werk hat Rufus<br />

da geschaffen. „Das Leben als solches<br />

hat für mich etwas sehr Magisches und<br />

Zauberhaftes“, sagt Wainwright. „Es ist ein<br />

Gemälde, eine Sinfonie, ein großartiges<br />

Gedicht.“ Und so heißen die Lieder etwa<br />

„Peaceful Afternoon“, „Only The People<br />

That I Love“ oder „Romantical Man“, das<br />

von Wainwrights Wanderungen in London<br />

handelt. „Mein Vater lebte in den 80ern<br />

dort, ich besuchte ihn jeden Sommer.<br />

Damals war London noch eine andere,<br />

nicht mit dem heutigen London vergleichbare<br />

Welt. Mein Dad hatte immer zu tun,<br />

und ich war dieser kleine, verlorene Junge,<br />

der viel alleine war und auf ausgedehnte<br />

Streifzüge ging, vor allem durch den<br />

Hampstead Heath oder den Regent’s Park,<br />

es gab für mich immer irgendwas zu entdecken<br />

und zu erleben.“ Die grundlegende<br />

Zuversicht, die sich durch „Unfollow The<br />

Rules“ zieht, nimmt er nicht zuletzt aus<br />

der Gegenüberstellung von damals und<br />

heute. „Es ist doch eine tolle Zeit, um am<br />

Leben zu sein. Trotz Trump. Trotz allem.<br />

Auf einer persönlichen Ebene bin ich<br />

überrascht und positiv geschockt, dass ich<br />

schon seit fünfzehn Jahren mit meinem<br />

Mann glücklich bin. Allgemeiner gefasst<br />

denke ich zurück an die Zeit, als ich in die<br />

Pubertät kam und überzeugt war, dass<br />

ich einmal an Aids sterben müsste. Die<br />

Homosexuellen-Ehe war illegal damals,<br />

überhaupt war das Schwulsein als solches<br />

weit weniger akzeptiert und selbstverständlich<br />

als heute. Jetzt habe ich eine<br />

Tochter, einen Mann, bin gesund. Wenn ich<br />

auf 5.000 Jahre Zivilisation zurückblicke,<br />

dann leben wir doch jetzt in der besten<br />

Zeit, die wir Menschen je gesehen haben.“<br />

*Steffen Rüth

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