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Mensch & Maschine

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FORMSACHE<br />

27<br />

Fotos: © Stephan Floss (vorherige Doppelseite). bpk/Jochen Moll. © Stephan Floss. Karl Clauss Dietel. Hannelore Zschocke/Industriemuseum Chemnitz. © Karl Clauss Dietel VG Bild-Kunst, Bonn 2020. © Lutz Rudoplh VG Bild-Kunst, Bonn 2020<br />

TEXT Marlen Hobrack<br />

FOTOS Stephan Floss<br />

Wie sich das wohl anfühlt,<br />

wenn der eigene Name mit<br />

Alltagsikonen wie der Simson,<br />

dem Wartburg oder der legendären<br />

Schreibmaschine Erika verknüpft ist?<br />

Diese Frage geht mir nicht mehr aus<br />

dem Kopf, als ich mich auf den Weg<br />

nach Chemnitz mache, um den Gestalter<br />

Karl Clauss Dietel in seinem Atelier<br />

zu besuchen. Sein Gesamtwerk, für<br />

das er als erster DDR-Gestalter mit dem<br />

Bundesdesignpreis ausgezeichnet wurde,<br />

wirkte weit über die Grenzen der einstigen<br />

DDR hinaus ikonisch. Ich selbst<br />

etwa wurde als Kind auf die Sitzfläche<br />

zwischen Vater und Mutter geklemmt,<br />

ohne Helm natürlich – es waren andere<br />

Zeiten –, und auf der Simson S50 zum<br />

Kindergarten gebracht. Ohne Dietel<br />

wäre ich vielleicht sicherer, aber bestimmt<br />

nicht abenteuerlicher befördert<br />

worden.<br />

An einem kleinen Weg an der Stadtgrenze<br />

liegen Haus und Atelier des<br />

Formgestalters. Formgestalter – eigentlich<br />

ist der Begriff ein Pleonasmus,<br />

beinhaltet Gestalt doch stets auch Form.<br />

Und vice versa.<br />

Dietel begrüßt seinen Besuch<br />

höflich und beginnt sogleich mit der<br />

Zu berei tung eines Tees. Genug Zeit, um<br />

sich im Atelier umzuschauen, wo man<br />

auf Ikonen der Formgestaltung blicken<br />

kann: hier ein Thonet-Stuhl, dort<br />

Marianne Brandts legendäre Bauhaus-<br />

Teekanne. Mit Brandt übrigens verband<br />

Dietel eine enge Freundschaft. Er entwarf<br />

später sogar die Gedenkstele für<br />

das Grab einer der wichtigsten Töchter<br />

von Chemnitz.<br />

Dietel bittet mich, an einem<br />

langen Tisch Platz zu nehmen. Er serviert<br />

köstlichen Tee und stellt mir ein<br />

großes Keksglas direkt vor die Nase<br />

– Süßkram in verschiedensten Formen<br />

und Farben. Während unseres<br />

Gesprächs wird er mich mehrmals<br />

zum Zugreifen „nötigen“. Aber man<br />

kann sich natürlich schlimmeren<br />

Verlockungen fügen.<br />

Man merkt Dietel an, dass er sich<br />

nicht zum ersten Mal in der Position<br />

des Befragten befindet. Der Tisch in seinem<br />

Atelier ist für das Gespräch bestens<br />

vorbereitet. Stapel mit Dokumenten liegen<br />

links und rechts verteilt. Auf ihnen<br />

ruhen Steine in Faustkeilgröße, wie natürliche<br />

Werkzeuge, von den Gezeiten<br />

auf <strong>Mensch</strong>enhandmaß gebracht. Später,<br />

während Dietel sich kurze Notizen<br />

macht, werden die abgerundeten Steine<br />

auf der Tischplatte in Schwingung<br />

geraten und seinen Worten einen Hintergrundsound<br />

beimischen.<br />

Mechanische<br />

Schreibmaschine<br />

Erika, Modell 50<br />

Den Begriff Design<br />

lehnt Dietel ab.<br />

Er versteht sich als<br />

Gestalter<br />

Unter der niedrig hängenden Edelstahllampe<br />

hindurch schaue ich zu ihm.<br />

Ein wenig erinnert die Situation an ein<br />

Verhör, nur komme ich mir wie die Verdächtige<br />

vor; etwas Skepsis merkt man<br />

ihm an. Vielleicht liegt es daran, dass<br />

mir bereits in unserem ersten Telefonat<br />

ein Fauxpas unterlief, als ich Dietel als<br />

„Designer“ bezeichnete. Dabei lehnt er<br />

wohl keinen Begriff stärker ab. Er versteht<br />

sich als Gestalter, in einer langen,<br />

sehr deutsch geprägten Tradition, die<br />

vom Werkbund bis zum Bauhaus reicht.<br />

Das Design-Konzept ist ihm zu<br />

beschränkt, obendrein impliziert es<br />

„Styling“, einen Fokus auf die Erscheinung.<br />

Viel Glanz, wenig dahinter.<br />

Er mag das nicht.<br />

Zur Erklärung deutet er auf die<br />

kleine Dose, aus der er eben noch Zucker<br />

in seinen Tee gelöffelt hat. Die<br />

Grundform des Kruges oder der Vase<br />

existiert seit Jahrtausenden. Aber diese<br />

hier besitzt einen kleinen Rand, eine<br />

Kehle, die nichts mit der Funktionalität<br />

des Gegenstandes zu tun hat, wohl aber<br />

mit seiner Gestalt. Seine Finger, die<br />

leicht zittern, folgen der sanften Einbuchtung.<br />

Wenn er von der „Poesie des<br />

Funktionalen“ spricht, dann meint er<br />

genau diese Einbuchtung.<br />

Dietel spricht mit großem Ernst.<br />

Nicht nur inhaltlich, auch was die Sprache<br />

anbelangt. Er formt Sätze, die er<br />

noch während des Sprechens korrigiert.<br />

Beinahe lyrisch mutet das an. Seine<br />

Blicke fahren über das Bücherregal zu<br />

seiner Rechten, in dem an prominenter<br />

Stelle Peter Handke von einem Bild<br />

sinnierend in den Raum hineinschaut.<br />

Kein Zufall, sagt Dietel. Kaum ein<br />

deutschsprachiger Autor gehe schließlich<br />

so präzise mit der Sprache um.<br />

Vielleicht also gibt es da Parallelen.<br />

MENSCH & MASCHINE

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