Mensch & Maschine
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36 ARCHITEKTUR<br />
Entwurf für ein Spaßbad verworfen,<br />
und so war das Wohnhaus im Berliner<br />
Hansaviertel von 1957 zu diesem Zeitpunkt<br />
der einzige Bau aus seinem Büro.<br />
Hat er Ihnen dann in typischer<br />
Niemeyer-Manier einen Entwurf mit<br />
Filzstift auf eine Papierserviette<br />
gezeichnet?<br />
LK: Nein, der Entwurf kam später per<br />
Mail: Skizzen, Seitenansichten und<br />
Schnitte. Alles war da: der Turm als<br />
tragender Schaft, die Kugel mit zwei<br />
Ebenen. Genauso, wie wir es später umgesetzt<br />
haben. Zuerst war ich geschockt.<br />
Die Kugel war bauphysikalisch ein<br />
Unding: zwei Drittel Glas mit entsprechender<br />
Aufheizung. Auch statisch war<br />
der Bau ambitioniert: ein zwei Meter<br />
breiter Turm, der von einer Kugel<br />
gekrönt werden sollte. Wie soll man so<br />
etwas bauen? Ich hatte einen Pavillon<br />
erwartet, und dann das. Es dauerte<br />
zwei Jahre, um die richtigen Bauexperten<br />
zu finden.<br />
Oscar Niemeyer starb dann 2012. War<br />
das ein Schlag für Sie?<br />
LK: Ja, absolut. Jedoch hatten wir das<br />
Glück, dass Niemeyers engster Mitarbeiter<br />
Jair Valera das Projekt zu Ende<br />
führen wollte. Unser Ziel war somit<br />
die posthume Umsetzung. Hätten wir<br />
Jair nicht gehabt, um jedes Detail zu<br />
bestimmen, es wäre aus den Entwürfen<br />
nichts geworden. Doch Jair hatte seit<br />
1974 mit Niemeyer zusammengearbeitet.<br />
Er konnte daher alle Fragen beantworten<br />
– in einem Prozess, der bis heute<br />
anhält: Die Bar, jeder Tisch, jeder Stuhl,<br />
jeder Teppich wurde von ihm im Sinne<br />
Niemeyers festgelegt. Man muss so<br />
einen Entwurf ja komplett durchziehen,<br />
sonst taugt er nichts.<br />
Oscar Niemeyer zählte zu den<br />
bedeutendsten Architekten der<br />
Moderne. Zahlreiche öffentliche<br />
Gebäude, die der Brasilianer für die<br />
Hauptstadt Brasilia baute, wurden<br />
1987 zum Weltkulturerbe erklärt<br />
„Ein Turm, der von<br />
einer Kugel gekrönt<br />
werden soll, ist<br />
statisch ambitioniert“<br />
Herr Kern, Sie sind der ausführende<br />
Architekt. Wie lief das Projekt ohne<br />
den Meister?<br />
Harald Kern: Ich habe in Leipzig immer<br />
wieder Pläne vorbereitet, aber die geistige<br />
Führung lag in Rio. Wir waren<br />
2013 erstmals bei Jair, um Details mit<br />
ihm festzulegen: die Raumproportionen,<br />
der endgültige Durchmesser der Kugel,<br />
die Kurvenführung. Meine Pläne<br />
beruhten ausschließlich auf Niemeyers<br />
Entwurf und auf den Workshops mit<br />
Jair. So haben wir beispielsweise lange<br />
über das Verhalten von Beton und<br />
Glas in der Kuppel gesprochen. Jair<br />
sprach in diesem Zusammenhang<br />
von einer Orange, von der man die<br />
Außenhaut abgenommen hätte, um<br />
das Fleisch sichtbar zu machen.<br />
Wann waren Sie sich sicher,<br />
dass es mit dem Bau klappen<br />
würde?<br />
HK: Eigentlich erst 2016, als<br />
die Baufirma ein Erprobungsbauteil<br />
erfolgreich umgesetzt<br />
hatte. Es war eine Herausforderung,<br />
eine so einfache<br />
und leichte Form auch einfach<br />
und leicht wirken zu lassen.<br />
Beton ist das tragende Element<br />
der Kugel und musste<br />
von daher so weiß und glatt<br />
aussehen wie möglich.<br />
Wie passt die Niemeyer<br />
Sphere in das<br />
Niemeyer-Œuvre?<br />
LK: Niemeyer mochte Solitäre,<br />
er baute gern auf der grünen<br />
Wiese oder am Wasser.<br />
In Leipzig musste sich das<br />
Gebäude in eine<br />
Fabriklandschaft einfügen. Er hat das<br />
Problem auf sehr niemeyersche Weise<br />
gelöst: durch maximalen Kontrast.<br />
Die Kugel reiht sich nahtlos ein<br />
in Niemeyers Œuvre: So ist das 2002<br />
fertiggestellte Niemeyer-Museum<br />
im brasilianischen Curitiba ein schmaler<br />
Turm mit einem augenförmigen<br />
Aufbau, der einen Niemeyer-Bau aus<br />
den 60er-Jahren ergänzt. In Curitiba<br />
hat sich Niemeyer selbst ergänzt, in<br />
Leipzig einen fremden Bau. Niemeyer<br />
hat viele Kuppeln gebaut, aber so eine<br />
Kugel nur ein einziges Mal.<br />
Herr Koehne, Sie haben mal gesagt,<br />
dass Architektur für ein Unternehmen<br />
die beste Werbung sei. Geht es bei<br />
der Kugel also mehr um die Ausstrahlung,<br />
als um die Architektur?<br />
LK: Es kommen da viele Dinge zusammen,<br />
die sich nicht ausschließen – dazu<br />
zählen natürlich auch Werbung und<br />
Kunst. Wir bauen langlebige Wirtschaftsgüter<br />
und wollen unseren Kunden<br />
das Vertrauen geben, dass wir noch<br />
lange als Unternehmen existieren: Eine<br />
Firma, die ein Gebäude für die Ewigkeit<br />
schafft, die plant auch langfristig. •