Mensch & Maschine
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28 FORMSACHE<br />
Das Eis ist gebrochen. Er erzählt und<br />
erzählt.<br />
Dietel wird in Reinholdshain geboren;<br />
er ist, wie er betont, ein „in der<br />
Wolle gefärbter Sachse“. Weil sein Vater<br />
vor dem Zweiten Weltkrieg einen Wagenverleih<br />
betrieb, wird er als Unternehmer<br />
eingestuft. Der Sohn darf in der<br />
Folge das Gymnasium nicht besuchen.<br />
Der Traum vom Architekturstudium<br />
platzt. Dietel beginnt in der noch jungen<br />
DDR mit einer Ausbildung zum<br />
<strong>Maschine</strong>nschlosser und studiert im<br />
Anschluss an der Ingenieurschule für<br />
Kraftfahrzeugbau Zwickau. Kurz darauf<br />
tritt er sein Studium an der Kunsthochschule<br />
Berlin-Weißensee an.<br />
Von vornherein ist er Teil beider Welten:<br />
Ingenieur und Gestalter. Danach<br />
führt ihn seine erste Anstellung nach<br />
Chemnitz, ins Herz der sächsischen<br />
Industriekultur. Die Stadt wird ihm<br />
zum Schicksal. Rasch zieht es ihn in<br />
die Selbstständigkeit, die Angestelltentätigkeit<br />
ist ihm nichts.<br />
Bereits in seiner Diplomarbeit setzt er<br />
sich mit der Fahrzeugfertigung der DDR<br />
auseinander – und stellt ihr ein vernichtendes<br />
Urteil aus. Von Gestaltung könne<br />
keine Rede sein, meint er. Viel Chuzpe<br />
für einen jungen Mann. Er will es anders<br />
machen, besser. Dietel ist ein Denker-<br />
Ingenieur. Seine gestaltete Form<br />
ist produktgewordene Philosophie.<br />
Für Dietels Werk als Gestalter ist<br />
seither eine Sache besonders wichtig:<br />
das offene Prinzip, wie man es später<br />
wohl idealtypisch an seinem Entwurf<br />
der Simson S50, dem legendären<br />
Mokick, verwirklicht sieht. Das Prinzip<br />
ist so simpel wie genial und würde heute<br />
wohl unter dem Label „nachhaltig<br />
gedacht“ vermarktet. Die Form soll so<br />
gestaltet sein, dass die vom Verschleiß<br />
betroffenen oder dem technischen Fortschritt<br />
unterworfenen Teile vom Nutzer<br />
selbst ausgetauscht werden können.<br />
„Eine echte Emanzipation des Nutzers“,<br />
nennt Dietel das. Denn dieser Nutzer<br />
ist eben nicht nur Konsument, sondern<br />
gestaltet den Gegenstand quasi mit,<br />
passt ihn seinen Bedürfnissen im Wandel<br />
der Zeit an. Prompt muss ich an<br />
die Gegenstände meines Arbeitsalltages<br />
denken – das Smartphone in meiner<br />
Hand zum Beispiel, dessen technisches<br />
Skelett unter einer weich designten<br />
Hülle verschwindet. Dessen technische<br />
„Natur“ ist somit gar nicht greifbar, im<br />
Gegensatz zur Simson, deren Skelett<br />
Herz und Lunge – Motor und Vergaser<br />
– offenlegt.<br />
Zum offenen Prinzip gesellen sich<br />
noch die fünf großen L: Langlebig,<br />
Leicht, Lütt, Lebensfreundlich, Leise.<br />
Die drei ersten L garantieren minimalen<br />
Ressourceneinsatz. Lebensfreundlichkeit<br />
indes fällt nicht nur unter den Begriff<br />
der Nachhaltigkeit, sondern stellt auch<br />
den Nutzer als <strong>Mensch</strong>en in den Vordergrund,<br />
ebenso wie das Attribut<br />
„leise“.<br />
Gewappnet mit dieser Philosophie<br />
schickt Dietel sich in den folgenden<br />
Jahren an, sich dem Herzstück der deutschen<br />
Nachkriegslebenswirklichkeit zu<br />
Links: Blick in Dietels Atelier<br />
Unten: Modell für das<br />
von Dietel und Lutz Rudolph<br />
entwickelte Motorrad S50