Tagungsband 2005 - Gesunder Babyschlaf - SIDSachsen.de
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Hinkel<br />
Geschichte <strong>de</strong>r Wiegen in verschie<strong>de</strong>nen Jahrhun<strong>de</strong>rten und Kulturen<br />
Ausgesprochene Wiegengegner sind:<br />
• <strong>de</strong>r hessische Pfarrer Friedrich Heinrich<br />
Schwarz 1804: „Wiege ist ein Angriff<br />
auf das Gehirn und die ganze Natur“,<br />
• <strong>de</strong>r französische Geburtshelfer und Kin<strong>de</strong>rarzt<br />
Leroy 1805: „Durch das Schütteln<br />
kann vorzüglich die unsichtbare Organisation<br />
<strong>de</strong>s Gehirns und <strong>de</strong>r Gefühle<br />
nachteilig verän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n … woraus<br />
große Unordnung in <strong>de</strong>n Eingewei<strong>de</strong>n<br />
mancher Kin<strong>de</strong>r entsteht.“<br />
In <strong>de</strong>r Folge entkräfteten viele Mediziner<br />
die Argumente <strong>de</strong>r Wiegengegner.<br />
1810 schreibt Adolf Christian Henke<br />
(1775–1843) in seinem Taschenbuch für<br />
Mütter: „Ausgezeichnete Ärzte haben<br />
die Verteidigung <strong>de</strong>s uralten Brauches<br />
<strong>de</strong>r Wiegen, die schon die Römer kannten,<br />
übernommen. Die unangenehme<br />
Empfindung, die Erwachsene von einer<br />
schaukeln<strong>de</strong>n Bewegung in Horizontallage<br />
bekommen, fin<strong>de</strong>t beim Kind nicht<br />
statt … im Gegenteil scheint sie <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>,<br />
das vor seiner Geburt einer ähnlich<br />
schaukeln<strong>de</strong>n Bewegung ausgesetzt war,<br />
ganz behaglich zu sein .“<br />
Der Leipziger Arzt Hermann Klenke<br />
schreibt 1895, dass die Anschuldigungen<br />
gegen die Wiege übertrieben seien, weil<br />
„viele geistreiche Leute selbst in <strong>de</strong>r<br />
Wiege gelegen haben“. Einer <strong>de</strong>r letzten<br />
Kin<strong>de</strong>rärzte, die in die Debatte um die<br />
Wiege eingriffen, war <strong>de</strong>r Leipziger Kin<strong>de</strong>rarzt<br />
Albrecht Peiper (1889–1968).<br />
Der Autor betont, dass es überhaupt<br />
kein besseres Beruhigungsmittel gäbe.<br />
„Ein zum Schreien aufgelegter Säugling<br />
beruhigt sich in <strong>de</strong>r Wiege sofort … Die<br />
Wiege ist nichts an<strong>de</strong>res als ein Ersatz für<br />
das natürliche Tragbett <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s auf<br />
<strong>de</strong>m Schoß, im Arm o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Rü-<br />
cken <strong>de</strong>r Mutter. So dient die Wiege letztendlich<br />
als Attrappe, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>m Kind<br />
die Gegenwart <strong>de</strong>r Mutter vortäuscht.<br />
Sein Lage- und Bewegungssinn sind bereits<br />
gut ausgebil<strong>de</strong>t. Für <strong>de</strong>n Erfolg <strong>de</strong>s<br />
Wiegens ist es gleich, ob unter natürlichen<br />
Bedingungen auf <strong>de</strong>m Leib seiner<br />
Mutter, in seiner Wiege o<strong>de</strong>r sonst wie<br />
gewiegt wird. Der junge Säugling empfin<strong>de</strong>t<br />
<strong>de</strong>n Unterschied nicht, son<strong>de</strong>rn<br />
wird durch das Wiegen beruhigt, als ob es<br />
seine Mutter wäre“. Ganz abgesehen von<br />
Peiper stehen heute viele Kin<strong>de</strong>rärzte auf<br />
<strong>de</strong>m Standpunkt, dass die Kin<strong>de</strong>rwiege<br />
zu Unrecht aus <strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>rzimmer verbannt<br />
wur<strong>de</strong>.<br />
Zur Lagerung <strong>de</strong>s Säuglings<br />
In allen bekannten Wiegen-Illustrationen<br />
ist <strong>de</strong>r Säugling – falls er überhaupt<br />
dargestellt wird – in Rückenlage<br />
zu sehen. In Bauchlage bzw. Unterarmstütz<br />
wird das Kind immer nur im<br />
direkten Kontakt zur Mutter und <strong>de</strong>r<br />
Amme gezeigt. Eine Umlagerung <strong>de</strong>s<br />
schlafen<strong>de</strong>n Säuglings aus <strong>de</strong>r Wiege<br />
ins mütterliche Bett ist in bildlichen<br />
Darstellungen nicht bekannt.<br />
Im 18. und 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt bestand<br />
eine Unsitte die Kin<strong>de</strong>r zum Schlafen<br />
mit ins mütterliche Bett zu nehmen. In<br />
<strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rärztlichen Literatur wur<strong>de</strong><br />
bereits damals auf die erhöhte Kin<strong>de</strong>rsterblichkeit<br />
durch Über<strong>de</strong>cken und<br />
Überrollen hingewiesen. Zur Verhütung<br />
eines <strong>de</strong>rartigen Ereignisses hat<br />
sich in Italien eine Art Schutzgehäuse,<br />
eine sogenannte Arcuccio verbreitet,<br />
unter die Säuglinge im Bett <strong>de</strong>r Mutter<br />
gelegt wer<strong>de</strong>n sollten. Der bekannte<br />
Arzt und Gesundheitserzieher B. Ch.<br />
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