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Die lustigen Nibelungen - Volksoper Wien

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Ernst Krenek, am Beginn einer großen Karriere von den Nazis als „entarteter Künstler“ vertrieben, gelang mit „Kehraus<br />

um St. Stephan“ eine Schreckensvision, die nicht nur den Zweiten Weltkrieg und die Scheußlichkeiten der Nazis<br />

vorweggenommen hat, sondern die abgebrühte und sarkastische Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die heute jeden<br />

moralischen Wert für den persönlichen Karrieregebrauch des einzelnen Giermenschen prostituiert.<br />

Gedanken zum „Kehraus um St. Stephan“<br />

von Michael Scheidl<br />

Ja, wir haben Frieden in Österreich, in Mitteleuropa.<br />

Aber es tobt ein Kampf jenseits der<br />

sichtbaren Waffen, der gegen Mitmenschlichkeit<br />

und unsere Lebensgrundlagen gerichtet<br />

ist. Es gibt eine Postkarte, auf der steht, dass,<br />

sollte die Welt untergehen, man nach <strong>Wien</strong><br />

gehen solle, denn dort passiere alles zwanzig<br />

Jahre später. <strong>Die</strong> Welt ist allerdings heute klein<br />

geworden: Anlässlich der Tschernobyl-Katastrophe<br />

konnte man – wenn man über die nötigen<br />

Mittel verfügte – noch ausweichen. Bei der<br />

bevorstehenden Klimakatastrophe wird das<br />

schon schwieriger. Ob da wohl in <strong>Wien</strong> noch<br />

die zwanzig Jahre drin sind, bis der letzte Musiker<br />

sagen wird: „Gentlemen, es war mir eine<br />

Ehre, mit Ihnen spielen zu dürfen.“?<br />

Es ist eine schwarzhumorige, apokalyptische Geisterbahn,<br />

durch die uns Ernst Krenek schickt, schlaglichtartig,<br />

wie das ja in den Gondeln der Geisterbahn auch<br />

passiert, meist kurze Szenen – verzerrt, erschreckend, lustig,<br />

gruselig und immer nur angerissen, manchmal auch<br />

holprig mit überraschenden Kurven, Aufstiegen und Talfahrten<br />

– und ich habe, wie sich das für eine echte <strong>Wien</strong>er<br />

Geisterbahn gehört, auch noch den Gevatter Tod ab und<br />

zu auf die Gondel aufspringen lassen, zum Mitfahren und<br />

Mittrinken, beim Ringelspiel und beim <strong>Wien</strong>er Heurigen.<br />

Tod und Religion, Hölle und Himmel, Heilige und Huren<br />

sind wohl nirgendwo so nahe beisammen wie in <strong>Wien</strong>.<br />

Vielleicht wird in dieser Oper deshalb so viel Gegenwärtiges<br />

sichtbar, weil – entgegen dem, was weltweit vor sich<br />

geht – in <strong>Wien</strong> die Gegenwart des Todes nicht wirklich<br />

wegzuschließen und auszuklammern ist, wie sehr das<br />

auch in unserer Gesellschaft sonst üblich ist.<br />

<strong>Die</strong> Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg in <strong>Wien</strong><br />

wird zum Spiegel jener größeren „Zwischenkriegszeit“<br />

zwischen dem Tag, da der Mensch der Natur den Krieg<br />

erklärt hat und dem Beginn jener bevorstehenden Apokalypse,<br />

da die geschundene Natur genug haben wird.<br />

Während die einen die Gesellschaft nach einem Krieg als<br />

„Nachkriegsgesellschaft“ bezeichnen, ziehen es andere<br />

vor, sie „Vorkriegsgesellschaft“ zu nennen, mit dem pes-<br />

10_11<br />

simistischen Blick in die Zukunft, den sie die Geschichte<br />

gelehrt hat. Tatsächlich spricht ja Einiges dafür, dass die<br />

Menschen aus der Geschichte nichts lernen. Unbestreitbar<br />

ist aber auch, dass einige Länder Europas seit 194<br />

eine Friedensperiode erleben, die hinsichtlich ihrer Dauer<br />

historisch betrachtet unglaublich lang ist. Aber ist das<br />

wirklich Frieden, der da herrscht?<br />

Per definitionem, wenn man nach waffengewaltlichen Ereignissen<br />

Ausschau hält, ist dort tatsächlich kein Krieg.<br />

Ja, man kann sagen, dass steigender Wohlstand, flächendeckende<br />

Sozialsysteme, große Bildungschancen und<br />

hohe demokratische Standards in der Politik und allen anderen<br />

Bereichen des Zusammenlebens diese Länder über<br />

Jahrzehnte geprägt haben. Aber hier muss ich anmerken,<br />

dass all diese Entwicklungen mittlerweile stagnieren<br />

oder sogar rückläufig geworden sind. Längst werden sie<br />

ausgehöhlt von einer Art Globalisierung, die außer Materialismus<br />

und Macht keine „Ideale“ mehr kennt und Menschenrechte<br />

und Demokratie nicht gebrauchen kann, weil<br />

sie dem schrankenlosen, deregulierten Moloch des entmenschten<br />

Kapitalismus im Weg stehen, und so müssen<br />

wir nun alle selbst in unserer großartigen Wohlstandsgesellschaft<br />

täglich darum kämpfen, nicht auf die einzige<br />

Bestimmung reduziert zu werden, die uns von daher<br />

zugedacht ist: Konsument zu sein, oder um es deutlicher<br />

auszudrücken: ein Leben lang nichts zu tun und nichts zu<br />

wollen außer reinzufressen und rauszuscheißen, und zwar<br />

möglichst kostengünstig, damit einer ständig steigenden<br />

Warenproduktion auch ein entsprechender Absatz dieser<br />

Waren, die zum Gutteil keiner braucht, gewährleistet ist.<br />

Doch die herannahende Klimakatastrophe scheint wirklich<br />

eine Katastrophe zu werden, und sie scheint auch<br />

tatsächlich auf diese materialistische Produktions- und<br />

Konsumationswut zurückführbar zu sein, denn sonst<br />

würde wohl ein George W. Bush als Sprachrohr der materialistischen<br />

Machtbesessenen nicht plötzlich den Klimaschutz<br />

thematisieren. Es muss also wirklich schlimm<br />

sein. So schlimm, dass Bücher wie zum Beispiel „ 0 Vorschläge<br />

für eine gerechtere Welt – Gegen Konzernmacht<br />

und Kapitalismus“ von Christian Felber, die bis vor<br />

Kurzem noch als idealistische, romantisch-linke Faselei<br />

eines hoffnungslosen Fantasten abgetan worden wären,<br />

reißenden Absatz nicht zuletzt bei eben diesen bedeutendsten<br />

Repräsentanten von Konzernmacht und Kapitalismus<br />

finden.

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