Leben mit - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter
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Die gedankliche Vorstellung des Körpers<br />
(zu der beispielsweise auch die Kleidung<br />
gehören kann) ist Teil des Körperschemas.<br />
Bei Kindern und Jugendlichen <strong>mit</strong><br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> ist besonders das Bild<br />
der Augen (und gegebenenfalls der Brille)<br />
von Bedeutung. Um jemanden zu erkennen,<br />
schauen wir <strong>mit</strong> den Augen auf<br />
seine Augen. Die Kinder und Jugendlichen<br />
können am Gesicht, genauer gesagt<br />
an den Augen (an der Brille), erkennen,<br />
ob jemand das <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />
hat oder nicht, oder es fällt ihnen zumindest<br />
etwas auf, auch wenn sie dies<br />
nicht genau präzisieren können. Hier<br />
einige Beispiele:<br />
Wenige Tage, nachdem Manuel zum<br />
ersten Mal an einer Psychotherapie-<br />
Gruppe teilgenommen hatte, sagte er:<br />
„Ah! Alle tragen eine Brille.“ Er hatte alle<br />
Jungen und Mädchen der Gruppe als<br />
Brillenträger identifiziert (und so war es<br />
auch, selbst wenn dies nicht unbedingt<br />
zum <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> gehört).<br />
Als Imma ihrerseits auf der Straße<br />
eine Frau <strong>mit</strong> Brille sah, sagte sie zu ihrer<br />
Mutter: „Schau, Mama, wie ich, sie<br />
hat <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>.“ „Was meinst du,<br />
Imma?“, antwortete die Mutter. „Doch,<br />
Mama, sie trägt eine Brille“, beharrte<br />
das Mädchen auf seiner Beobachtung,<br />
woraufhin die Mutter erklärte: „Imma,<br />
die Frau trägt zwar eine Brille, aber sie<br />
hat kein <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>.“ Offensichtlich<br />
dachte Imma, dass jeder Brillenträger<br />
das <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> hat.<br />
Auch wenn die geschilderten Episoden<br />
nur Einzelfälle sein mögen, so können<br />
sie doch zum Verständnis vieler Behauptungen<br />
und Verhaltensweisen dieser<br />
Kinder und Jugendlichen beitragen.<br />
So versteckten Imma oder Marta über<br />
lange Zeit hinweg immer wieder ihre<br />
Brille in allen möglichen Winkeln zu<br />
Hause oder in der Schule, ohne es jemandem<br />
zu verraten. Und sie weigerten<br />
sich, sie aufzusetzen. Diese Ablehnung<br />
scheint andere Gründe zu haben als die<br />
bloße Unannehmlichkeit, eine Brille tragen<br />
zu müssen. Die Gruppe bietet Gelegenheit,<br />
über vieles zu sprechen: über<br />
Augen und Brillen, über die Form der<br />
Augen und darüber, ob „<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />
haben“ und „Brille tragen“ das<br />
Gleiche ist.<br />
Es wird wesentlich an der Wahrnehmung<br />
von Gemeinsamkeiten gearbeitet<br />
sowie von Verschiedenheiten zwischen<br />
den einzelnen Jungen und Mädchen <strong>mit</strong><br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>, um ihnen immer weiter<br />
dabei zu helfen, sich selbst anzunehmen.<br />
Auch die Zunge spielt anscheinend<br />
eine Rolle. In einem der Räume des<br />
SSEE hängt ein großes Poster, auf dem<br />
zwei Kinder zu sehen sind: ein Junge<br />
ohne Behinderung und ein Mädchen <strong>mit</strong><br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>. Manchmal verwenden<br />
wir dieses Bild, um an der Identität zu<br />
arbeiten: Wem sehen sie ähnlich? Wer<br />
von beiden hat ein <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>? Wie<br />
sehen sie aus?, ...<br />
In einer der Gruppen zeigte uns Joan<br />
(ganz richtig), dass das Mädchen das<br />
<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> hat. Als wir fragten,<br />
warum, überraschte er uns <strong>mit</strong> der Antwort:<br />
„Schau, weil sie die Zunge herausstreckt.“<br />
Auf dem Poster streckt das<br />
Mädchen die Zunge nicht heraus. Man<br />
könnte meinen, es handelte sich hier um<br />
schlichte Verwechslungen. Es geht jedoch<br />
um das Selbstbild der Kinder und<br />
Jugendlichen <strong>mit</strong> <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>, um<br />
die Art, wie sie sich wahrnehmen. Hier<br />
muss eingegriffen werden.<br />
Schließlich gibt es noch einen recht<br />
charakteristischen Aspekt, nämlich,<br />
sich hübsch oder, besser gesagt, sich<br />
hässlich vorzukommen. Wir sprechen<br />
nicht davon, ob jemand tatsächlich<br />
hübsch oder hässlich ist, sondern davon,<br />
wie er sich selbst wahrnimmt. Dies<br />
hängt nicht nur <strong>mit</strong> dem physischen<br />
Aussehen zusammen, sondern auch <strong>mit</strong><br />
der Art, in der die Teile des eigenen Körpers<br />
ins Selbstbild eingefügt werden.<br />
Es ist klar, dass die Kinder und Jugendlichen<br />
sich nicht für die Hübschesten<br />
der Welt halten. Und es ist auch klar,<br />
dass sie darüber nicht reden können.<br />
Die unangenehmen Eigenschaften an<br />
sich selbst anzunehmen, schafft erst das<br />
notwendige Gleichgewicht, um sich <strong>mit</strong><br />
anderen über diese Gefühle austauschen<br />
zu können. Das bringt Erleichterung,<br />
ein besseres Verständnis füreinander<br />
und das Gefühl, nicht alleine zu<br />
sein.<br />
Die zeitliche Verarbeitung<br />
Die zeitliche Verarbeitung bezieht sich<br />
nach L. und R. Grinberg auf den Zusammenhang<br />
zwischen den unterschiedlichen<br />
Selbstbildern im Laufe der<br />
Zeit. Ihre Kontinuität bietet die Grundlage<br />
der Selbstheit, d.h. man selbst zu<br />
sein. Wir sprechen vom Erkennen der<br />
eigenen Identität im Lauf der Zeit und<br />
von der Fähigkeit, sich an sich selbst in<br />
PSYCHOLOGIE<br />
der Vergangenheit zu erinnern und sich<br />
in der Zukunft vorzustellen. Es geht darum,<br />
die aus verschiedenen Momenten<br />
der Erfahrung stammenden Bilder zu<br />
einem Ganzen zu vereinen.<br />
Der Autor behauptet, dass zu den<br />
Krisen der Entwicklung – Entwöhnung,<br />
Ödipus-Situation, Adoleszenz – die ganz<br />
persönlichen <strong>Leben</strong>skrisen eines Individuums<br />
hinzukommen, bedingt durch<br />
seine eigene, einzigartige <strong>Leben</strong>sgeschichte.<br />
Was geschieht bei Kindern<br />
und Jugendlichen <strong>mit</strong> <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong>?<br />
Es werden zwei Gegebenheiten beobachtet.<br />
Einerseits stellen wir fest, dass<br />
das Selbstbild sehr einseitig bleibt. Zu<br />
der Schwierigkeit, unterschiedliche Erfahrungen<br />
zu einer Einheit zusammenzufügen,<br />
kommen die kognitiven Schwierigkeiten<br />
hinzu. In bestimmten Momenten<br />
kommt es zu dem, was man eine<br />
Konzentration auf die negativen Aspekte<br />
der Behinderung nennen könnte: „Ich<br />
weiß nicht, ich habe es vergessen, ich<br />
bin dumm.“ Die – häufigen – Äußerungen<br />
dieser Art können Auswirkungen<br />
haben wie z.B. die Hemmung gegenüber<br />
Papier und Bleistift (das Kind vermeidet<br />
etwas zu tun, weil es nur denkt, es habe<br />
Schwierigkeiten). Es überwiegt in solchen<br />
Momenten der Glaube an das, was<br />
es nicht tun kann.<br />
Zum anderen passiert es, dass<br />
Wachstum verleugnet wird. Zu einer<br />
langsamen Entwicklung, bei der es<br />
selbst für Fachleute manchmal schwierig<br />
ist, Fortschritte zu erkennen, kommt<br />
die bereits erwähnte Vorstellung des<br />
ewigen Kindes. Die Kinder und Jugendlichen<br />
haben echte Schwierigkeiten, ihre<br />
eigene Entwicklung einzuschätzen<br />
(was sie früher taten bzw. gegenwärtig<br />
tun, worin sie Fortschritte erzielt haben,<br />
was ihnen schwer fällt). Auch können<br />
sie sich schlecht in die Zukunft hineinprojizieren,<br />
sie fühlen sich klein.<br />
Durch Austausch und Kommunikation<br />
ver<strong>mit</strong>telt die Gruppe in diesem Sinne<br />
den Kindern:<br />
Was man doch weiß, wozu man doch<br />
imstande ist.<br />
Als Elena sich weigerte zu schreiben,<br />
sagte Pilar zu ihr: „Versuche es, du<br />
bist nicht dumm“, während sie ihr zeigte,<br />
wie sie es selber tat („Schau!“).<br />
Manchmal sind Worte überflüssig. Die<br />
Kinder beobachten und vergleichen<br />
sich. Das Tun der anderen ist Anreiz,<br />
das zu probieren, was sie selbst nicht<br />
<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> Nr. 50, Sept. 2005 25