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Leben mit - Deutsches Down-Syndrom InfoCenter

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Die Coole Hühnersisterbande<br />

Eine Gesprächsgruppe für junge Frauen<br />

<strong>mit</strong> <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />

Marit Hamer<br />

Sind Sie schon einmal einer Einladung<br />

in feiner Garderobe gefolgt und<br />

haben dann feststellen müssen, dass es<br />

eine Gartenparty ist, auf der alle anderen<br />

<strong>mit</strong> Jeans und T-Shirt erschienen<br />

sind? Wie peinlich! Das Gefühl, fehl am<br />

Platz zu sein und nicht dazu zu gehören,<br />

beschleicht einen in diesem Moment.<br />

Behinderte, integriert lebende Jugendliche<br />

und junge Erwachsene stehen<br />

in einer ähnlichen Situation jeden Tag,<br />

jede Minute, ohne ihr entrinnen zu können.<br />

So lange Integration bedeutet, dass<br />

behinderten Menschen die Teilhabe an<br />

unserer Gesellschaft nicht mehr verweigert<br />

wird, aber ihre Akzeptanz lediglich<br />

durch die Anpassung an bestehende<br />

Normen bejaht wird, werden sich Behinderte<br />

Nischen schaffen müssen, in<br />

denen sie sich frei und ohne Druck bewegen<br />

können. Freiräume, in denen sie<br />

sich, ihrem eigenen Lern- und <strong>Leben</strong>stempo<br />

entsprechend, den Themen und<br />

Interessen widmen können, die ihnen<br />

wichtig sind. Freiräume, in denen<br />

Äußerlichkeiten Nebensache und das<br />

Anderssein normal ist.<br />

Eine Gruppe für junge Frauen <strong>mit</strong><br />

<strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />

Daher wurde vom Deutschen <strong>Down</strong>-<br />

<strong>Syndrom</strong> <strong>InfoCenter</strong> <strong>mit</strong> der „Coolen<br />

Hühnersisterbande“ für junge Frauen<br />

<strong>mit</strong> <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> einer dieser Freiräume<br />

geschaffen. Denn durch die weite<br />

räumliche Distanz der Wohnorte, den<br />

integrierten <strong>Leben</strong>sstil der meisten und<br />

ihre berufliche Eingliederung fand ein<br />

natürliches Zusammentreffen <strong>mit</strong> Frauen,<br />

die sich <strong>mit</strong> der selben Problematik<br />

auseinander setzen müssen, wenig<br />

statt. Bei den monatlichen Treffen befinden<br />

sich die sieben jungen Frauen in<br />

einer Gruppe, die als gemeinsames<br />

Merkmal die Altersgruppe (16 bis 27<br />

Jahre) und die Behinderung hat.<br />

An erster Stelle steht für sie die Mög-<br />

lichkeit, sich <strong>mit</strong> jungen Erwachsenen,<br />

die sich in einer ähnlichen Situation befinden,<br />

auszutauschen. Wichtig hierfür<br />

ist die entspannte Atmosphäre, in der<br />

sie sich wohl fühlen können, um einen<br />

Raum für sich und ihre Themen zu finden.<br />

Es handelt sich um Themen rund um<br />

das Erwachsenwerden, die sie auf ihre<br />

eigene Weise besprechen. Zugleich können<br />

sie so in einem Tempo lernen und<br />

Neues erfahren, das ihnen entspricht.<br />

Dabei geht es um das Selbständigwerden,<br />

es geht um ihre <strong>Leben</strong>ssituation<br />

<strong>mit</strong> dem alltäglichen Freud und Leid,<br />

um ihre Beziehungen zu Freundinnen<br />

und Freunden, aber es geht auch um ihre<br />

Stellung in der Gesellschaft, ihren Arbeitsplatz<br />

und ihre zukünftige <strong>Leben</strong>splanung.<br />

Ein Selbstbild entwickeln: Wie bin<br />

ich eigentlich?<br />

Das Selbstbild einer jeden Einzelnen ist<br />

ein grundlegendes Thema, das den Ausgangspunkt<br />

für die Gruppenarbeit bildet.<br />

Es ist die Grundlage für eine differenziertere<br />

Körperwahrnehmung, <strong>mit</strong><br />

der den jungen Frauen eine Möglichkeit<br />

an die Hand gegeben wird, aus ihren eigenen<br />

Empfindungen heraus Entscheidungen<br />

zu treffen und zu vertreten.<br />

Beginnend <strong>mit</strong> einer Betrachtung<br />

der Äußerlichkeiten wie etwa Kleidung<br />

und Frisur, wird das Selbstbild näher<br />

ergründet. Dann wird das Augenmerk<br />

auf die unterschiedlichen Charaktereigenschaften<br />

und Interessen der Einzelnen<br />

gelenkt. Es zeigen sich Gemeinsamkeiten<br />

ebenso wie Unterschiede, was<br />

den Frauen das Gefühl gibt, dazu zu<br />

gehören und doch individuell zu sein.<br />

Daraus kann innerhalb der Gruppe eine<br />

Reflexion über sich selbst stattfinden,<br />

die von einem liebevollen und <strong>mit</strong>fühlenden<br />

Feedback der anderen Gruppen<strong>mit</strong>glieder<br />

begleitet wird.<br />

Bei der Vorstellung, wie sie sich<br />

PSYCHOLOGIE<br />

selbst in ihrer Familie, ihrem beruflichen<br />

Umfeld und <strong>mit</strong> ihren Freunden<br />

sehen, wird sichtbar, in welchem Spannungsfeld<br />

manche von ihnen leben. Einerseits<br />

streben sie nach Normalität<br />

und messen sich an den vorgelebten<br />

Wertvorstellungen, andererseits wird<br />

ihnen ihre Besonderheit immer und immer<br />

wieder unangenehm vor Augen geführt.<br />

Das Anderssein an sich stört nicht ...<br />

Am Beispiel einer sehr kontrovers geführten<br />

Diskussion, in der es darum<br />

ging, ob sie nun behindert sind oder<br />

nicht, wurde nicht nur ihr Selbstbild<br />

deutlich, sondern auch ein Teil der Integrationsproblematik.<br />

Ein paar der jungen<br />

Frauen zeigten sich dem Thema gegenüber<br />

eher gleichgültig, was da<strong>mit</strong><br />

zusammenhängen könnte, dass ihnen<br />

die Betrachtung ihrer selbst aus einer<br />

übergeordneten Perspektive noch nicht<br />

möglich war oder sie schlichtweg <strong>mit</strong><br />

diesen Gedanken noch nicht konfrontiert<br />

wurden.<br />

Andere hingegen verneinten vehement,<br />

zu den Behinderten gerechnet zu<br />

werden. Sie störten sich sehr an dem<br />

Begriff „behindert“, den sie als negative<br />

Beschreibung empfanden, obwohl sie<br />

erkannten, dass sie alle die gemeinsame<br />

Besonderheit <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> <strong>mit</strong>bringen<br />

und dadurch anders sind als andere<br />

junge Frauen. Im weiteren Gespräch<br />

wurde deutlich, dass einige durchaus eine<br />

realistische Vorstellung hatten, wo<br />

diese Unterschiede liegen. Es war beruhigend<br />

zu erleben, dass sie das Anderssein<br />

an sich nicht störte, solange sie in<br />

ihrem Umfeld nicht <strong>mit</strong> Widerständen<br />

und negativen Äußerungen konfrontiert<br />

werden. Berichteten sie jedoch von negativen<br />

Rückmeldungen bezüglich ihres<br />

Aussehens, ihres Lern- und <strong>Leben</strong>stempos,<br />

empfanden sie das Anderssein als<br />

negativ, denn dann fühlten sie sich abgelehnt<br />

und ausgegrenzt – eben behindert.<br />

Nähe und Distanz<br />

Darüber hinaus geht es auch darum,<br />

herauszufinden, was der eigene Geschmack,<br />

die eigene Meinung und der<br />

persönliche Wille ist. Eine schwierige<br />

Aufgabe, denn dazu gehört eine differenzierte<br />

Wahrnehmung seiner selbst,<br />

unter anderem eine differenzierte Körperwahrnehmung.<br />

Diese zu schulen ist<br />

ein fester Bestandteil der Treffen. Es<br />

<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> <strong>Down</strong>-<strong>Syndrom</strong> Nr. 50, Sept. 2005 27

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