Der Augustdorfer: Brauerei Strate
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<strong>Augustdorfer</strong> Lebensgeschichten<br />
Im Hinterkopf schwebte bei Marija aber immer noch der<br />
Traum von einer Nähmaschine. Sie wollte kreativ sein,<br />
selbst entwerfen und das Entworfene umsetzen. Da fand<br />
sie eine Arbeit als Maschinennäherin in einer Schuhfabrik.<br />
Aber leider galt ihr Visum nur für eine Arbeit als<br />
Haushaltshilfe. Also zurück zum Schweizer Konsulat nach<br />
Zagreb. Wenn man meint, dass die deutschen Behörden<br />
langsam und kompliziert arbeiten – die Schweizer können<br />
das auch. Drei Monate sollte die Umschreibung von einem<br />
Arbeitsbereich auf einen anderen dauern. Für diese Zeit<br />
hatte sie nicht genügend Erspartes. Die Ehe der Tante war<br />
auseinander und Marija allein in Zagreb. Ein Anruf bei der<br />
Kusine in Frankfurt brachte die Lösung. Das restliche Geld<br />
reichte noch so eben für eine Fahrt mit der Bahn dorthin.<br />
Eine Metzgerei suchte vorübergehend eine Aushilfe. Marija<br />
konnte alles. Aber sie brauchte dringend eine Anstellung<br />
auf Dauer. Die fand sie in der Nähe ihres mittleren Bruders<br />
in Geißlingen an der Steige. Im Restaurant „Stern“ wurde<br />
jemand für die Küche gesucht. Sie fühlte sich wohl an dieser<br />
Arbeitsstelle, doch leider war das auch hier nicht von<br />
langer Dauer. Ihr Bruder, in dessen Nähe sie wohnte, war<br />
aus beruflichen Gründen nach Karlsruhe gezogen. Marija<br />
folgte dem Ruf der Familie und fand ohne Probleme wieder<br />
eine Anstellung als Kellnerin in der Nähe des Bruders in<br />
Karlsruhe-Durlach.<br />
Und hier kreuzen sich die Wege von Marija und Husso. <strong>Der</strong><br />
kommt aus der wunderschönen Stadt Gorazde in Bosnien.<br />
Auch dieses Land gehörte zum sozialistischen Jugoslawien<br />
unter Tito. Die Stadt liegt malerisch von Bergen umgeben<br />
am Fluss Drina. In der Altstadt betrieben seine Eltern<br />
ein Café. Hussos Mutter war bekannt für ihre Großherzigkeit.<br />
Das Gasthaus war daher sehr beliebt und immer gut<br />
besucht.<br />
Nach der Schulzeit erlernte Husso den Beruf des Klempners.<br />
Er war sehr geschickt als Handwerker. Die wirtschaftliche<br />
Situation in Jugoslawien war aber auch für das Leben<br />
in Gorazde nicht sehr erfolgversprechend. Husso beschloss<br />
daher, seinen Militärdienst freiwillig vorzuziehen, auch in<br />
der Hoffnung, auf diese Weise berufliche Vorteile zu erlangen.<br />
Das stellte sich als Illusion heraus. Mit 19 Jahren<br />
entschloss er sich daher, sein geliebtes Gorazde zu verlassen,<br />
ein Stellenangebot des Arbeitsamts von Karlsruhe in<br />
der Tasche.<br />
Dort wartete als Arbeitgeber die Bundesbahn. Husso arbeitete<br />
zusammen mit anderen Männern aus Jugoslawien<br />
in einer Waggonfabrik. Obwohl hier Menschen aus allen<br />
Regionen zusammengewürfelt waren, herrschte untereinander<br />
eine ausgezeichnete Kameradschaft. Moslems und<br />
Christen, Serben, Kroaten oder Bosnier hatten keine Probleme<br />
im Umgang miteinander.<br />
20 Jahre später schafften es ein paar Rassisten und Nationalisten,<br />
ganz Jugoslawien in einen Todesstrudel zu<br />
treiben. Menschen, die viele Jahre miteinander gelebt<br />
hatten, fielen plötzlich übereinander her. Davon muss in<br />
dieser Lebensgeschichte später noch berichtet werden.<br />
Mit knapp 20 Jahren hat man an das Leben noch nicht die<br />
allerhöchsten Ansprüche. Husso verdiente genug zum Leben.<br />
Aber da ereignete sich das, was man seit dem Anfang<br />
dieser Geschichte erwartet. Und das war aus Marijas Sicht<br />
folgendermaßen:<br />
Wie überall hatten die Gaststätten nach Feierabend den<br />
größten Betrieb. Marijas Restaurant hatte im Stil der damaligen<br />
Cowboyfilme einen Eingang wie ein Western-Saloon:<br />
eine Pendeltür, also zwei Flügeltüren, die man anstößt und<br />
die sich hinter dem Durchgehenden wieder schließen. An<br />
diesem Abend stand Marija an der Theke und wartete auf<br />
die Bestellung aus der Küche dahinter. Im Auge hatte sie<br />
natürlich die Eingangstür. Wie im Film trat plötzlich ein<br />
junger Mann durch die Pendeltür. Nach ihm kamen noch<br />
andere Männer, aber die waren uninteressant. <strong>Der</strong> erste, der<br />
war bei ihr eingeschlagen. Und das war Husso.<br />
Die jungen Männer waren Arbeiter aus der Waggonfabrik.<br />
Und sie kamen von nun an öfter. Besonders regelmäßig<br />
aber Husso, und das war ihr sehr recht. Und wie<br />
das so geht, Husso lud sie ins Kino ein. Aber Marija kam<br />
nicht. Auch im Restaurant war sie nicht anzutreffen. Hartnäckig<br />
erkundigte sich Husso bei der Wirtin. Die steckte<br />
ihm vertraulich die Adresse eines Krankenhauses zu. Marija<br />
war plötzlich so krank geworden, dass sie dort für<br />
ein paar Tage behandelt werden musste. Husso machte<br />
mit einem Kollegen einen Besuch im Krankenhaus. <strong>Der</strong><br />
Kollege merkte schnell, dass er eigentlich überflüssig<br />
war. Und so übernahm Husso später den Heimtransport in<br />
Marijas Zimmer ganz selbstverständlich alleine. Von dem<br />
Krankenrücktransport an waren die beiden ein Paar. Und<br />
Marija entwickelte sehr schnell Aktivitäten, die manche<br />
an Frauen so lieben. Sie stellte fest, dass Husso in seiner<br />
Unterkunft zwar eine Küche zur Verfügung hatte, aber die<br />
Fähigkeit zum Kochen bei ihm nicht vorhanden war. Ein<br />
Spiegelei war schon fast der Gipfel seiner Kochkunst. Sie<br />
hatte Angst um seine gesunde Ernährung und übernahm<br />
diese Aufgabe.<br />
Anfangs hatte Marija Hussos Lederschuhe bewundert, stilvoll<br />
und elegant. Als sie eines Tages hinter ihm die Treppe<br />
zu ihrem Zimmer hochging, stellte sie fest, dass er Löcher<br />
in den Schuhsohlen hatte. Da musste etwas passieren:<br />
„Ich habe ihn erstmal angezogen!“<br />
Husso war bald auf der Suche nach einer Arbeit, die<br />
ihm mehr Lohn einbrachte. Die fand er. Er stellte jedoch<br />
schnell fest, dass der Weg dorthin zu aufwändig war, und<br />
der etwas höhere Lohn das nicht ausgleichen konnte. Bei<br />
inzwischen veränderten wirtschaftlichen Bedingungen<br />
fand er keine neue Arbeit. Für die Arbeitslosigkeit war<br />
er nicht nach Deutschland gezogen. Husso kehrte zurück<br />
nach Gorazde und Marija kam mit.<br />
Hussos Vater war zu der Zeit an einem Magengeschwür<br />
erkrankt und hatte große gesundheitliche Probleme. Deswegen<br />
war es der Familie gerade recht, wenn der Sohn im<br />
Café die Aufgaben des Vaters übernahm. Seinem Bruder<br />
kam es auch sehr gelegen, dass Husso als Handwerker in<br />
dessen Glasergeschäft arbeitete.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Augustdorfer</strong>/ Oktober-November '20<br />
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