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HR Today 3 2020

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Praxis Arbeit und Recht<br />

Illustration: Jonas Raeber<br />

Krankentaggeldversicherung:<br />

Vertragsklauseln mit<br />

Glücksspielcharakter?<br />

Die Rechtslage zu Krankentaggeldversicherungen ist komplex. Einer der<br />

Knackpunkte: Soll man den Inhalt der Versicherungspolice detailliert zum<br />

Inhalt des Arbeitsvertrags machen oder nicht? Oder setzt man sich damit<br />

unnötiger Haftung aus, wenn arbeitsvertraglich – und sei es wegen ungeschickter<br />

Formulierung – mehr versprochen wird, als versichert ist?<br />

Text: Heinz Heller<br />

Rechtsanwalt<br />

Dr. Heinz Heller ist<br />

Fachanwalt SAV<br />

Arbeitsrecht.<br />

Für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eines Arbeitnehmers<br />

lassen sich folgende drei Ansätze formulieren:<br />

Erstens, das Gesetzesmodell<br />

Die gesetzliche Lösung ist die Minimallösung: Nach Art. 324a<br />

OR ist der Lohn bei Krankheit zu 100 Prozent und – in Abhängigkeit<br />

von der Anzahl Dienstjahre – angemessen lange weiter<br />

zu bezahlen. Zur Konkretisierung der Vorgabe «angemessen<br />

lange» haben die Gerichte die bekannten Berner, Basler und<br />

Zürcher Skalen entwickelt. Selbst nach 40 Dienstjahren hätte<br />

ein Arbeitnehmer nach Zürcher Skala im Krankheitsfall lediglich<br />

Anspruch auf Lohnfortzahlung in Höhe von 322 Kalendertagen.<br />

Nach Gesetz besteht zudem kein Lohnfortzahlungsanspruch<br />

über das Ende der Kündigungsfrist hinaus.<br />

Zweitens, das Komplementärmodell<br />

Die Arbeitgeberin kann eine Versicherungslösung vorsehen,<br />

die über das Gesetzesmodell hinausgeht. Beispiel: Bezahlung<br />

des vollen Lohns über das Ende der Kündigungsfrist hinaus.<br />

Solche Versicherungsmodelle sind zwar untypisch, aber zulässig.<br />

Komplementärmodelle müssen nicht schriftlich vereinbart<br />

werden. Zieht die Arbeitgeberin die hälftige Versicherungsprämie<br />

unwidersprochen vom Lohn des Arbeitnehmers<br />

ab, gelten sie als vereinbart.<br />

Drittens, das Alternativmodell<br />

Gemäss Art. 324a Abs. 4 OR können die Parteien schliesslich<br />

von der gesetzlichen Lösung durch unterzeichnete schriftliche<br />

Vereinbarung abweichen, sofern mindestens gleichwertige<br />

Leistungen einer Krankentaggeldversicherung (KTG-Versicherung)<br />

vereinbart werden. Manche Gesamtarbeitsverträge<br />

schreiben Mindestinhalte für Versicherungslösungen vor. Ansonsten<br />

sind Arbeitgebende aber frei und der Versicherungsmarkt<br />

offeriert eine breite Vielfalt von Versicherungsansätzen.<br />

Die wohl bekannteste, geradezu typische Klausel sieht als Versicherungsleistung<br />

80 Prozent des Lohns während maximal<br />

720 Tagen vor. Diese Lösung gilt gemäss Bundesgericht als<br />

mindestens gleichwertig im Sinne des erwähnten Art. 324a<br />

Abs. 4 OR. Bei den meisten KTG-Versicherungspolicen werden<br />

zudem Wartefristen für die Versicherungsleistungen vereinbart,<br />

sogenannte Karenzfristen. Oft sind es die ersten 30<br />

Krankheitstage. Es ist umstritten, ob Arbeitgebende während<br />

der Karenzfrist den Krankheitslohn auf eigene Rechnung bezahlen<br />

müssen, und in welcher Höhe: in gleicher (reduzierter)<br />

Höhe, wie die Versicherungsleistungen ausfallen würden oder<br />

zu 100 Prozent des Lohns? Wohl die meisten Arbeitgebenden<br />

zahlen Löhne während der Karenzfrist. Damit leisten Arbeitgebende<br />

ungefähr 93,5 Prozent aller Krankheitslöhne trotz<br />

KTG-Versicherung aus eigener Tasche, da rund 93,5 Prozent<br />

36 <strong>HR</strong> <strong>Today</strong> 3 | <strong>2020</strong>

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