rik Februar/März 2021
Raus in Köln!
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WIE OFT MACHT SCHWULER<br />
MANN* ES?<br />
Über die Verbreitung von Promiskuität<br />
unter schwulen Männern gibt es nach<br />
Ansicht von Dannecker mehrere und in<br />
ihren Ergebnissen vergleichbare Studien.<br />
Seine mit Richard Lemke 2010 durchgeführte<br />
Onlinebefragung ergab:<br />
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Fast 30 Prozent hatten in den sechs<br />
Monaten vor der Befragung nur einen<br />
oder keinen Sexualpartner<br />
41 Prozent gaben zwischen zwei bis<br />
fünf Sexualpartner an<br />
15 Prozent zwischen sechs und zehn<br />
Sexualpartner<br />
Der Anteil mit mehr als zehn verschiedenen<br />
Partnern, was etwa zwei pro<br />
Monat ergibt, lag bei 15 Prozent. Die<br />
überwiegende Mehrheit der schwulen<br />
Männer scheint, so Dannecker, also<br />
„weit entfernt von einem promisken<br />
Verhalten zu sein.“ Diese ungefähre<br />
Verteilung habe sich in den vorhandenen<br />
Querschnittsstudien über die Jahre<br />
nicht signifikant geändert. Trotz mehr<br />
Möglichkeiten des Partnerwechsels<br />
durch Saunen und Darkroom-Bars. Im<br />
Gegenteil geht Dannecker sogar davon<br />
aus, dass die Befragungen wegen der<br />
über Datingseiten und Chatportale<br />
erreichten Teilnehmer, eher einen<br />
überhöhten Anteil aufweisen.<br />
Es könne aber auch sein, dass die<br />
digitalen Kontaktanbahnungen, das<br />
Austauschen von sexuellen Vorlieben<br />
und Beschreiben von Wünschen in Chats<br />
und Foren bereits eine Erfüllung des psychischen<br />
Wunsches nach Promiskuität<br />
bedeutet. Die Zahl der tatsächlichen,<br />
also realen Sexualkontakte, könnten<br />
dann zurückgegangen sein. Dies müsse<br />
weiter erforscht werden.<br />
ANYTHING GOES? AB 30 WIRD ES<br />
SPEZIELL!<br />
Seit 1987 wird in Deutschland im Abstand<br />
von rund drei Jahren eine große Befragung<br />
von MSM durchgeführt. Der schwule<br />
Soziologe und Aktivist Michael Bochow<br />
hatte sie bis 2013 geleitet, 2012 machte<br />
vor allem eine Erkenntnis Professor<br />
Dannecker stutzig:<br />
Zwar steigt der Anteil der Männer, die<br />
mit mehr als zehn anderen Sex hatten,<br />
bis zum Alter von 30 Jahren an, bleibt<br />
dann aber relativ konstant. Dannecker<br />
mutmaßt – und hier beigebt er sich dann<br />
doch auf ähnlich dünnes Eis, wie die<br />
von ihm Eingangs zitierte Psychologin<br />
–, dass es mit zunehmendem Alter zur<br />
Entwicklung von Mustern, also sexuellen<br />
Vorlieben kommt. Diese Muster seien<br />
so fest, dass sie selbst nach einer in der<br />
Verliebtheitsphase durchbrechenden Flexibilität<br />
häufig dominant bleiben und einer<br />
der möglichen Antriebe für den Wunsch<br />
nach Partnerwechsel sein könnten. Dieser<br />
wiederum würde aber weniger wahllos<br />
als selektiv und den sexuellen Vorlieben<br />
entsprechend organisiert.<br />
„Die reale Nähe zu jenen<br />
Bezirken der Szene, die<br />
durch promiskes Treiben<br />
gekennzeichnet sind, scheint<br />
jedenfalls sehr viel geringer zu<br />
sein, als es mir meine eigene<br />
Lebenserfahrung vorgaukelt.“<br />
GESUNDHEIT 29<br />
In einer 2013 durchgeführten Studie<br />
im Auftrag der DAH wurde die Nutzung<br />
queerer Infrastruktur untersucht. Das<br />
für Dannecker erstaunlichste Ergebnis<br />
hinsichtlich der Fragestellung, ob der<br />
schwule Mann per se promiskuitiv sei,<br />
war: 70 Prozent der Befragten haben<br />
in den zwölf Monaten vor Studienteilnahme<br />
weder einen Ort queerer<br />
Geselligkeit (Bars, Cafés) noch schwule<br />
Sexorte (Saunen, Parks) aufgesucht.<br />
Der Anteil derer, die eindeutig nur oder<br />
fast immer Sexorte aufsuchten und<br />
somit einer promisken Lebensführung<br />
nachgehen könnten, lag bei nur rund<br />
fünf bis sieben Prozent.<br />
Dannecker wollte diese Zahlen kaum<br />
glauben. Er meinte, seine eigene<br />
Erfahrung spreche eine so deutlich<br />
andere Sprache, dass etwas an den<br />
Zahlen nicht stimmen könne. Nach<br />
eingängiger Selbstprüfung musste er<br />
sich mit einer Erkenntnis anfreunden,<br />
die vielen bekannt sein dürfte: Das<br />
Beziehungsnetzwerk wird stark durch die<br />
Fokussierung auf Vorlieben geprägt. Die<br />
digitalen Werkzeuge der Selektion verstärken<br />
diesen ganz natürlichen Vorgang<br />
so stark, dass die eigene Empfindung der<br />
Realität die tatsächliche überstrahlt.<br />
Zusammenfassend gibt es laut Dannecker<br />
also nur eine kleine Gruppe unter<br />
Schwulen, die über lange Zeit mit vielen<br />
wechselnden Partnern Sex hat und die<br />
diesbezügliche Angebote der Szene so<br />
nutzt, dass Promiskuität angenommen<br />
werden kann. Aber was heißt das<br />
eigentlich?<br />
Fortsetzung auf männer.media!<br />
INFO<br />
Martin Dannecker<br />
Der „Oswalt Kolle“ der schwulen Sexualität wird Martin Dannecker auch<br />
genannt. Der 1942 in Oberndorf am Neckar geborene außerplanmäßige<br />
Professor am Institut für Sexualwissenschaft in Frankfurt, verhalf dem<br />
Thema Homosexualität durch die Veröffentlichung der großen Studie „Der<br />
gewöhnliche Homosexuelle“ 1974 erstmals seit der Zerschlagung von Magnus<br />
Hirschfelds „Institut für Sexualwissenschaften“ durch die Nationalsozialisten<br />
wieder zu einem festen Platz in Wissenschaft und Lehre. Schon 1971 war<br />
als Co-Autor bei Rosa von Praunheims erstem Filmerfolg „Nicht der Homosexuelle<br />
ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ maßgeblich daran<br />
beteiligt, auch die öffentliche Wahrnehmung der Themen Homosexualität<br />
und Geschlechtsidenditäten maßgeblich zu verbessern. Besonders in Zeiten<br />
der AIDS-Kriese in den 1980er und 1990er Jahren war er gefragter Fachmann.<br />
Inzwischen genießt er seinen Ruhestand in Berlin. Außer er wird gerufen! Sein<br />
aktuelles Buch ist ein dringender Lesetipp!<br />
Fortwährende Eingriffe“ von Martin Dannecker, Buch / Broschur, 232 Seiten,<br />
ISBN 9783863002718, www.maennerschwarm.de