29.01.2021 Aufrufe

rik Februar/März 2021

Raus in Köln!

Raus in Köln!

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

WIE OFT MACHT SCHWULER<br />

MANN* ES?<br />

Über die Verbreitung von Promiskuität<br />

unter schwulen Männern gibt es nach<br />

Ansicht von Dannecker mehrere und in<br />

ihren Ergebnissen vergleichbare Studien.<br />

Seine mit Richard Lemke 2010 durchgeführte<br />

Onlinebefragung ergab:<br />

■<br />

■<br />

■<br />

Fast 30 Prozent hatten in den sechs<br />

Monaten vor der Befragung nur einen<br />

oder keinen Sexualpartner<br />

41 Prozent gaben zwischen zwei bis<br />

fünf Sexualpartner an<br />

15 Prozent zwischen sechs und zehn<br />

Sexualpartner<br />

Der Anteil mit mehr als zehn verschiedenen<br />

Partnern, was etwa zwei pro<br />

Monat ergibt, lag bei 15 Prozent. Die<br />

überwiegende Mehrheit der schwulen<br />

Männer scheint, so Dannecker, also<br />

„weit entfernt von einem promisken<br />

Verhalten zu sein.“ Diese ungefähre<br />

Verteilung habe sich in den vorhandenen<br />

Querschnittsstudien über die Jahre<br />

nicht signifikant geändert. Trotz mehr<br />

Möglichkeiten des Partnerwechsels<br />

durch Saunen und Darkroom-Bars. Im<br />

Gegenteil geht Dannecker sogar davon<br />

aus, dass die Befragungen wegen der<br />

über Datingseiten und Chatportale<br />

erreichten Teilnehmer, eher einen<br />

überhöhten Anteil aufweisen.<br />

Es könne aber auch sein, dass die<br />

digitalen Kontaktanbahnungen, das<br />

Austauschen von sexuellen Vorlieben<br />

und Beschreiben von Wünschen in Chats<br />

und Foren bereits eine Erfüllung des psychischen<br />

Wunsches nach Promiskuität<br />

bedeutet. Die Zahl der tatsächlichen,<br />

also realen Sexualkontakte, könnten<br />

dann zurückgegangen sein. Dies müsse<br />

weiter erforscht werden.<br />

ANYTHING GOES? AB 30 WIRD ES<br />

SPEZIELL!<br />

Seit 1987 wird in Deutschland im Abstand<br />

von rund drei Jahren eine große Befragung<br />

von MSM durchgeführt. Der schwule<br />

Soziologe und Aktivist Michael Bochow<br />

hatte sie bis 2013 geleitet, 2012 machte<br />

vor allem eine Erkenntnis Professor<br />

Dannecker stutzig:<br />

Zwar steigt der Anteil der Männer, die<br />

mit mehr als zehn anderen Sex hatten,<br />

bis zum Alter von 30 Jahren an, bleibt<br />

dann aber relativ konstant. Dannecker<br />

mutmaßt – und hier beigebt er sich dann<br />

doch auf ähnlich dünnes Eis, wie die<br />

von ihm Eingangs zitierte Psychologin<br />

–, dass es mit zunehmendem Alter zur<br />

Entwicklung von Mustern, also sexuellen<br />

Vorlieben kommt. Diese Muster seien<br />

so fest, dass sie selbst nach einer in der<br />

Verliebtheitsphase durchbrechenden Flexibilität<br />

häufig dominant bleiben und einer<br />

der möglichen Antriebe für den Wunsch<br />

nach Partnerwechsel sein könnten. Dieser<br />

wiederum würde aber weniger wahllos<br />

als selektiv und den sexuellen Vorlieben<br />

entsprechend organisiert.<br />

„Die reale Nähe zu jenen<br />

Bezirken der Szene, die<br />

durch promiskes Treiben<br />

gekennzeichnet sind, scheint<br />

jedenfalls sehr viel geringer zu<br />

sein, als es mir meine eigene<br />

Lebenserfahrung vorgaukelt.“<br />

GESUNDHEIT 29<br />

In einer 2013 durchgeführten Studie<br />

im Auftrag der DAH wurde die Nutzung<br />

queerer Infrastruktur untersucht. Das<br />

für Dannecker erstaunlichste Ergebnis<br />

hinsichtlich der Fragestellung, ob der<br />

schwule Mann per se promiskuitiv sei,<br />

war: 70 Prozent der Befragten haben<br />

in den zwölf Monaten vor Studienteilnahme<br />

weder einen Ort queerer<br />

Geselligkeit (Bars, Cafés) noch schwule<br />

Sexorte (Saunen, Parks) aufgesucht.<br />

Der Anteil derer, die eindeutig nur oder<br />

fast immer Sexorte aufsuchten und<br />

somit einer promisken Lebensführung<br />

nachgehen könnten, lag bei nur rund<br />

fünf bis sieben Prozent.<br />

Dannecker wollte diese Zahlen kaum<br />

glauben. Er meinte, seine eigene<br />

Erfahrung spreche eine so deutlich<br />

andere Sprache, dass etwas an den<br />

Zahlen nicht stimmen könne. Nach<br />

eingängiger Selbstprüfung musste er<br />

sich mit einer Erkenntnis anfreunden,<br />

die vielen bekannt sein dürfte: Das<br />

Beziehungsnetzwerk wird stark durch die<br />

Fokussierung auf Vorlieben geprägt. Die<br />

digitalen Werkzeuge der Selektion verstärken<br />

diesen ganz natürlichen Vorgang<br />

so stark, dass die eigene Empfindung der<br />

Realität die tatsächliche überstrahlt.<br />

Zusammenfassend gibt es laut Dannecker<br />

also nur eine kleine Gruppe unter<br />

Schwulen, die über lange Zeit mit vielen<br />

wechselnden Partnern Sex hat und die<br />

diesbezügliche Angebote der Szene so<br />

nutzt, dass Promiskuität angenommen<br />

werden kann. Aber was heißt das<br />

eigentlich?<br />

Fortsetzung auf männer.media!<br />

INFO<br />

Martin Dannecker<br />

Der „Oswalt Kolle“ der schwulen Sexualität wird Martin Dannecker auch<br />

genannt. Der 1942 in Oberndorf am Neckar geborene außerplanmäßige<br />

Professor am Institut für Sexualwissenschaft in Frankfurt, verhalf dem<br />

Thema Homosexualität durch die Veröffentlichung der großen Studie „Der<br />

gewöhnliche Homosexuelle“ 1974 erstmals seit der Zerschlagung von Magnus<br />

Hirschfelds „Institut für Sexualwissenschaften“ durch die Nationalsozialisten<br />

wieder zu einem festen Platz in Wissenschaft und Lehre. Schon 1971 war<br />

als Co-Autor bei Rosa von Praunheims erstem Filmerfolg „Nicht der Homosexuelle<br />

ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ maßgeblich daran<br />

beteiligt, auch die öffentliche Wahrnehmung der Themen Homosexualität<br />

und Geschlechtsidenditäten maßgeblich zu verbessern. Besonders in Zeiten<br />

der AIDS-Kriese in den 1980er und 1990er Jahren war er gefragter Fachmann.<br />

Inzwischen genießt er seinen Ruhestand in Berlin. Außer er wird gerufen! Sein<br />

aktuelles Buch ist ein dringender Lesetipp!<br />

Fortwährende Eingriffe“ von Martin Dannecker, Buch / Broschur, 232 Seiten,<br />

ISBN 9783863002718, www.maennerschwarm.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!