FINDORFF GLEICH NEBENAN Nr. 17
FINDORFF GLEICH NEBENAN ist das Stadtteilmagazin für Findorff und Bremen für Handel, Dienstleistung, Kultur & Politik
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PROFILE<br />
q ÜBER DIE ARBEIT MIT STRAFFÄLLIGEN JUGENDLICHEN IN <strong>FINDORFF</strong> IN DER »JUS«<br />
» Ich kann nicht sagen, die Jugendlichen sind alle gleich. «<br />
NINA HANAU<br />
JACOB VON SPRECKELSEN<br />
JUGENDHILFE<br />
<strong>FINDORFF</strong> <strong>GLEICH</strong> <strong>NEBENAN</strong> | 14<br />
W<br />
ir sprechen heute mit Nina Hanau<br />
und Jacob von Spreckelsen über<br />
die JUS, die ihren Standort in der<br />
Plantage in Findorff hat. Was verbirgt<br />
sich hinter dieser Abkürzung<br />
mit den drei Buchstaben ?<br />
Nina Hanau: JUS bedeutet Jugendhilfe<br />
und Soziale Arbeit GmbH. Die<br />
hat sich 2005 gegründet. Die JUS<br />
ist aus dem Bremer Verein für Jugendhilfe & Soziale Arbeit e.V.<br />
hervorgegangen. Wir werden getragen vom Deutschen Roten<br />
Kreuz, der Stiftung St. Petri Waisenhaus und von Kriz e.V.. Die<br />
JUS ist ein Träger der Jugend- und Jugendstraffälligenhilfe. Wir<br />
bieten Soziale Trainingskurse, das Training für Aggressionskompetenz<br />
sowie Erziehungsbeistandschaften an. Zudem gibt<br />
es die Fachstelle für gemeinnützige Arbeit, die das Ableisten<br />
von Sozialstunden koordiniert. Außerdem haben wir hier noch<br />
die »Bremer Maulwürfe«, die mit zu Arbeitsauflagen verurteilten<br />
Jugendlichen 52 Spielplätze im Bremer Raum pflegen. Die<br />
Jugendhilfemaßnahmen der JUS umfassen schließlich noch die<br />
Abteilung der Mobilen Betreuung, des Betreuten Jugendwohnens<br />
und der Inobhutnahme.<br />
Das klingt riesig. Wie viele Leute arbeiten in der JUS ?<br />
Nina Hanau: Bei uns arbeiten ungefähr 60 Personen.<br />
Welche konkreten Angebote bietet die JUS als Jugendhilfe und<br />
Jugendstraffälligenhilfe ?<br />
Jacob von Spreckelsen: Neben der Abteilung zur Organisation<br />
und Durchführung gemeinnütziger Arbeit gibt es den Bereich<br />
der Sozialen Trainingskurse (STK), des Trainings für Aggressionskompetenz<br />
(TAK) und der Erziehungsbeistandschaften –<br />
das Team, zu dem wir gehören.<br />
Nina Hanau: Das Training für Aggressionskompetenz wird in<br />
Kooperation mit der Stadtteilschule e.V. durchgeführt. Neu ist<br />
ein Coronaschutzkurs für Jugendliche und Heranwachsende,<br />
die Bußgelder erhalten haben, weil sie gegen die Coronaschutzverordnungen<br />
verstoßen haben – und nicht bezahlen können.<br />
Jacob von Spreckelsen: Der Auftrag für den Coronaschutzkurs<br />
kam von der Senatorischen Behörde für Inneres. Die Idee dazu<br />
kam aus der Richterschaft und der Jugendhilfe im Strafverfahren,<br />
die sagten, dass es noch etwas anderes geben müsste, als<br />
Bußgelder in Höhe von 50,00 bis 150,00 € zu verhängen. Das<br />
ist für Jugendliche viel Geld – und da ist ein Kurs schon nachhaltiger.<br />
Es geht um die eigene Verantwortung. Was uns ganz<br />
besonders wichtig ist: Wie kann man Jugend noch ausleben<br />
trotz Pandemie, trotz Einschränkungen.<br />
Gibt es eigentlich den typischen jugendlichen Kriminellen ?<br />
Jacob von Spreckelsen: Ich finde, diese Frage kann man unterschiedlich<br />
beantworten. Gibt es den typischen Jugendlichen ?<br />
Ein bisschen gibt es den. Zum Aufwachsen und zum Identitätsfindungsprozess<br />
des typischen Jugendlichen gehört auch ein<br />
ganz natürlich stattfindendes regelbrechendes Verhalten. Das<br />
heißt, zum Erwachsenwerden und Ablösen vom Elternhaus<br />
gehört es, gegen Konventionen zu verstoßen. Bei den meisten<br />
reicht es, dass sie beispielsweise mal bei Rot über die Straße gehen.<br />
Andere gehen vielleicht noch einen Schritt weiter und begehen<br />
Straftaten. Viele werden einfach gar nicht erwischt, andere<br />
schon. Das ist ein Teil der Antwort. Der andere ist ein bisschen<br />
komplizierter, denn es gibt nicht den typischen Jugendlichen,<br />
aber es gibt bestimmte Rahmenbedingungen und Gegebenheiten<br />
bei Jugendlichen, die man immer wieder findet: Das sind<br />
oftmals Schwierigkeiten im Elternhaus, in der Beziehung zu den<br />
Eltern und zur Familie, ökonomische Benachteiligungen oder<br />
Suchtproblematiken. Insgesamt also prekäre Lebensverhältnisse.<br />
Nina Hanau: Es gibt oft negative Faktoren beim Aufwachsen.<br />
Dennoch kann ich nicht sagen, die Jugendlichen bei uns seien<br />
alle gleich. Sie sind in ihrem allgemeinen Verhalten und auch<br />
in ihren Straftaten sehr unterschiedlich.<br />
Viele besorgte BürgerInnen finden: Junge Kriminelle gehören<br />
härter bestraft – und man würde viel zu nachsichtig mit ihnen<br />
umgehen. Der Jugendrichter Stephan Kuperion hingegen sagt,<br />
das dringendste Problem sei die Erwartungshaltung der Politik<br />
und der Gesellschaft. Es werde erwartet, dass am Jugendgericht<br />
das verkorkste Leben eines Jugendlichen mit ein, zwei<br />
oder drei Prozessen wieder in die entsprechenden Bahnen zu<br />
lenken sei. Seiner Meinung nach müsste Problemerkennung<br />
viel früher einsetzen, noch weit vor den Straftaten, die sich oft<br />
ankündigen. Zudem könne man im Jugendstrafvollzug nicht<br />
das tun, was man tun könnte und müsste. Es würde an den<br />
entsprechenden Ressourcen fehlen. Wie ist das in Bremen ?<br />
Nina Hanau: In Bremen ist die Jugendstrafhilfe gut ausgebaut<br />
und vernetzt. Ich glaube, dass wir in vielen Bereichen deutschlandweit<br />
ziemlich weit vorne liegen und Vorbildcharakter haben.<br />
Wer sagt »Kriminelle gehören härter bestraft«, dem entgegne ich,<br />
dass die pädagogische und präventive Arbeit mit möglichen TäterInnen<br />
dazu führt, dass die Anzahl an Straftaten geringer wird.<br />
Gute TäterInnenarbeit bedeutet auch gute Arbeit für die Opfer.<br />
Jacob von Spreckelsen: In der Phase der Identitätsfindung von<br />
Jugendlichen können beispielsweise aus Gruppendruck oder<br />
finanzieller Benachteiligung resultierende Straftaten auftreten.<br />
Unser Jugendstrafrecht setzt darauf, dass dann pädagogische<br />
Arbeit an erster Stelle steht.<br />
Nina Hanau: Selbstverständlich sollen Straftaten, nur weil sie<br />
jugendtypisch sind, nicht verherrlicht werden. Unsere Jugendlichen<br />
müssen sich bei uns intensiv damit auseinandersetzen, was<br />
sie getan haben. Es ist besser, Alternativen für das eigene Leben<br />
zu finden, anstatt einfach irgendwo eine Strafe abzusitzen. Im<br />
Jugendalter geht man davon aus, dass man noch etwas lenken<br />
kann. Genau das versuchen wir, weil dieser Weg sinnvoller ist,<br />
als Jugendliche zu verwahren und zu warten. u<br />
<strong>FINDORFF</strong> <strong>GLEICH</strong> <strong>NEBENAN</strong> | 15