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Das Magazin für Vergabe und Beschaffung
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RECHT I 0121
von MICHAEL WERNER
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte
Instandsetzungsarbeiten an einem Marineversorgungsschiff
europaweit ausgeschrieben. Vor
Zuschlagserteilung hob er die Ausschreibung auf
– mit der Begründung der „Wahrung wesentlicher
nationaler Sicherheitsinteressen und Sicherstellung
des Erhalts nationaler Marineinstandsetzungskapazitäten
aus Gründen der Versorgungssicherheit“. Die
konkreten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf
die wirtschaftliche Lage der nationalen Werften seien
im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Vergabeverfahrens
für niemanden vorhersehbar gewesen. Nur
ca. 10 deutsche Werften seien in der Lage, Instandsetzungsleistungen
für Marineschiffe durchzuführen.
Der Erhalt dieser Werften sei im Hinblick auf die
Versorgungssicherheit ein wesentliches nationales
Sicherheitsinteresse, da die Werften zur Sicherung
der Einsatzbereitschaft der Marine im Krisenfall
benötigt würden. Diese Werften seien aufgrund
unvorhersehbarer Umstände (Corona-Pandemie)
in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Eine
europaweite Vergabe könne nicht stattfinden, wenn
die nationalen Sicherheitsinteressen gewahrt werden
sollten. Aus diesem Grund sollten die Leistungen
nach der Ausnahmevorschrift des § 107 Abs. 2 Nr.
2 GWB national ausgeschrieben werden. Bieter A
wehrte sich gegen die Aufhebung mit Antrag
zur VK.
Die VK Bund gibt Bieter A Recht. Die Aufhebung des
Vergabeverfahrens sei nicht durch § 37 Abs. 1 Nr. 2
VSVgV gedeckt, denn die Grundlagen des Vergabeverfahrens
hätten sich nicht wesentlich geändert. Da
die Beschaffungsabsicht der AG inhaltlich unverändert
fortbestehe, sei das aufgehobene Vergabeverfahren
fortzuführen. Ob hier der Ausnahmetatbestand
des § 107 Abs. 2 Nr. 2 GWB vorliege, sei nur
für die Frage relevant, ob eine rein nationale Vergabe
trotz eindeutigen Überschreitens des Schwellenwertes
für eine europaweite Ausschreibung zulässig
wäre. Streitgegenstand sei hier vielmehr die Aufhebung
des Verfahrens, deren Rechtmäßigkeit an den
Voraussetzungen des Aufhebungstatbestands zu
messen sei. Der hier seitens des AG geltend gemachte
§ 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV spreche von „wesentlichen
Änderungen“. Bezugspunkt der wesentlichen
Änderungen im Aufhebungstatbestand seien nach
ständiger Rechtsprechung jedoch nicht sämtliche
ggf. vergaberechtlich relevante Änderungen, sondern
ausdrücklich nur die „Grundlagen des Vergabeverfahrens“,
so dass es für eine Aufhebung erforderlich
sei, dass sich der Beschaffungsbedarf entweder
geändert habe, die Vergabeunterlagen diesem geänderten
Bedarf mithin anzupassen seien oder aber
dass der Beschaffungsbedarf gänzlich entfallen sei.
Gemeinsamkeit dieser von der Rechtsprechung entschiedenen
Fallgruppen zur wesentlichen Änderung
des Vergabeverfahrens sei damit, dass das Interesse
des Auftraggebers an der konkret ausgeschriebenen
Leistung selbst nicht mehr bestehe. Auswirkungen
der Corona-Pandemie seien zwar durchaus geeignet,
eine Aufhebungsentscheidung zu legitimieren, aber
eben unter der Voraussetzung, dass sich Änderungen
am Beschaffungsbedarf ergäben. Dies sei hier aber
gerade nicht der Fall, das Versorgungsschiff solle
nach wie vor und inhaltlich unverändert instandgesetzt
werden. Es gebe keine Änderungen an den
Grundlagen des Vergabeverfahrens, so dass die
Voraussetzungen des Aufhebungstatbestands nicht
greifen würden. Vorliegend sei die Stützung der
deutschen Werften nur ein Nebenzweck.
Bei dieser Sachlage sei der AG ausnahmsweise zu
verpflichten, das aufgehobene Vergabeverfahren
weiter zu führen. Grundsätzlich könne ein Auftraggeber
zwar aus Gründen der Privatautonomie
und wegen fehlenden Kontrahierungszwangs
nicht gezwungen werden, ein einmal begonnenes
Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden, und
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