flip-Joker_2021-05
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
THEATER KULTUR JOKER 3
Rebecca Mary Narum
Foto: Jürgen Gocke
Eine Assoziationsreise durch die Jahrhunderte
Rebecca Mary Narums erste abendfüllende Soloperformance „The Doll in her Pocket“ feierte im E-Werk in Freiburg Premiere
Stereo- und Archetypen,
Klischees und Rollenzuschreibungen
– Frausein war schon
immer Projektionsfläche für
komplexe, sich ständig wandelnde
Gesellschaftssysteme.
Aber was ist eigentlich weiblich
und wer definiert das? Wie
fühlt es sich an, eine starke Frau
zu sein? – Inmitten lebhafter
Gender-Debatten und befreiender
Geschlechtervielfalt hat
sich die in Freiburg lebende
US-amerikanische Choreografin
und Tänzerin Rebecca Mary
Narum (Tanztheaterkollektiv
Quizzical Körper) auf eine sehr
persönliche Spurensuche nach
der eigenen Geschlechtsidentität
gemacht. Parallel forschte sie
in Literatur und Film, transportierte
sie in ihrem Studio Körper-
und Bewegungsstudien in
Choreografien. Begleitet wurde
ihre monatelange Recherche
von Mitbewohnerin Antonia
Bischof. Jetzt feierte Rebecca
Mary Narums erste abendfüllende,
von Stadt und Land geförderte
Soloperformance. „The
Doll in her Pocket“ im Freiburger
Südufer Premiere und ist per
Livestream in der Mediathek
von infreiburgzuhause.de zu
sehen.
Nur zwei Live-Zuschauerinnen
sind an diesem Abend
zugelassen. Also sitzt man wie
beim Filmset neben konzentrierter
Technik-Geschäftigkeit
zwischen Kabeln, Kameras und
Mikros rund um Monitor und
Schaltpult. Letzte Checks, der
Countdown wird ein gezählt,
dann ist die minimalistische
Bühne live auf Sendung: Weißer
Tanzboden, weiße Rückwand,
weißer Tisch, von der
Decke schwebt ein imposantes
Ballkleid in Purpur. Wie eine
vierbeinige Königin thront Narum
auf dem Tisch, dessen Platte
unter ihrem ausladendem Rock
ganz verschwindet. Mit warmem
Lächeln und großzügigen, grazilen
Gesten hält sie Hof: Kopf,
Arme und Oberkörper deklinieren
minutenlang in großer Anmut
bedeutungsschwere Gesten.
Die werden zu Posen, dann zu
mechanischem Spielfiguren-
Ruckeln. Erst als Narums Blick
sich vom fiktiven Gegenüber
löst, schwingt sie sich mit einem
beherzten Schritt vom Podest.
Es ist diese betörende Arie
„Che si puó fare, Op. 8“ von Barbara
Strozzi, die bei goldenem
Bühnenlicht (Jenny Herman) in
ferne Zeiten entführt und damit
in eine 45-minütige Assoziationsreise
durch die Jahrhunderte.
Immer wieder wird sich
die 29-jährige Kulturanthropologin
und TIP-Absolventin
(2017) dabei neue Räume und
Bewegungssprachen erobern
und dabei ganz unterschiedliche
Gefühle und Energien erzählen.
Die ausgewählten Musikstücke
sind stark und wirken als
Soundtrack stellenweise zu illustrierend,
auch gibt es choreografische
Längen. Intensiv ist dieses
Solo aber unbedingt, ist Narums
Tanz doch fein ziseliert, wandelbar
und sehr ästhetisch, triggert
mühelos eigene Fantasien
und Bilder: Ob im wirbelnden
Kleid oder in schwarzer Hose,
ob als Zehenspitzen-Ballerina,
neckische Verführerin, aufgedrehte
Barbie-Parodie oder
Kriegerin – Narums geschmeidige
Bewegungslust ist spürbar,
ihre Choreografien erwecken
ausdrucksstark Klischees und
Geschlechterrollen zum Leben.
Dabei verschiebt sich der
Körperfokus im Laufe der Performance
entlang romantischer
Klaviermusik, indianischem
Trommeln, melodiösem Wolfsgeheul
und viel Spanischem:
Beweglichkeit und Ausdruck
wandern vom Oberkörper in
die Hüften und von dort in Becken
und Beine, bis nackte Füße
kraftvolle Rhythmen in den
Boden stampfen. Immer wieder
gibt es Brüche und damit Momente
von Selbstermächtigung
und Befreiung. – Inspirierend!
Da hätte es das nachfolgende
Künstlergespräch auf Englisch,
bei dem Narum über Konzeptund
Probenprozess erzählt, so
ausführlich nicht gebraucht,
zumal Zuschauerfragen zu kurz
kommen. Am lebendigen Publikumsgespräch
per Live-Chat
lässt sich auf dieser tollen Plattform
noch tüfteln.
„The Doll in her Pocket“, live
aus dem Südufer unter infreiburgzuhause.de
Marion Klötzer
10. BILDRAUSCH
FILMFEST BASEL
16. — 20.06.21
WWW.BILDRAUSCH-BASEL.CH