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Roth Journal_2021_06_01-28.red

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„ROTH IST BUNT“<br />

„Verbrannte Dichter“ – Online-Lesung<br />

„<strong>Roth</strong> ist bunt“ im „Bunten Landkreis <strong>Roth</strong>“<br />

Am 10. Mai jährte sich die „Bücherverbrennung“<br />

von 1933 zum 88. Mal.<br />

Da die von Sven Ehrhardt initiierte Lesung<br />

in 2020 der Pandemie zum Opfer<br />

fiel, wählten die Organisatoren „<strong>Roth</strong> ist<br />

bunt“, Stadtbücherei und die vhs im Landkreis<br />

<strong>Roth</strong> dieses Jahr für die Lesung das<br />

Online-Format mit „Gotomeeting“ und<br />

damit als Lesestätte die verschiedenen<br />

Wohn- oder Arbeitszimmern anstelle von<br />

Ratsstuben oder Stadtbücherei.<br />

18 interessierte Zuhörer verfolgten gebannt<br />

die unterschiedlichsten interessanten<br />

und bewegenden Beiträge. Da bei<br />

dieser Lesung vier Vertreter der „Bunten<br />

Initiativen“ im Landkreis vertreten waren,<br />

setzte das lose Bündnis ein starkes Zeichen<br />

für den „Bunten Landkreis <strong>Roth</strong>“.<br />

Nach einer Begrüßung durch den Schirmherrn,<br />

Herrn Ersten Bürgermeister Ralph<br />

Edelhäußer und der Koordinatorin von<br />

„<strong>Roth</strong> ist bunt“, eröffnete Herr Erster<br />

Bürgermeister Robert Pfann aus Schwanstetten<br />

die Lesung mit einem Auszug aus<br />

einem Buch des <strong>Journal</strong>isten Jürgen Serke<br />

„Die verbrannten Dichter“. In diesem<br />

Buch werden die Biographien von jüdischen<br />

Schriftstellern erzählt, deren Werke<br />

als „entartete Kunst“ bei der Bücherverbrennung<br />

durch die Nazis vernichtet<br />

wurden. Hier wählte er die Lebens- und<br />

Leidensgeschichte von Erich Mühsam mit<br />

dem Titel „Der Anarchist, der die Gewalt<br />

hasste“. Die Qual und die sinnlose Gewalt,<br />

die Erich Mühsams Sterben begleitete,<br />

machte die Zuhörer betroffen und der<br />

Sinn der Lesung, dass so etwas nie wieder<br />

geschehen dürfe, rückte bei diesem Beitrag<br />

besonders in den Fokus. Aber auch<br />

Mühsams starker Wille, sich nie feige zu<br />

ergeben, hallte noch nach.<br />

Herr Erster Bürgermeister Ralph Edelhäußer<br />

las danach Auszüge aus der Milieustudie<br />

„Berlin Alexanderplatz“, von Alfred<br />

Döblin, wo es um das Scheitern des einfachen<br />

Arbeiters Franz Bieberkopf ging, dem<br />

übel mitgespielt wurde und dessen Leben<br />

nicht recht gelingen wollte. Auch hier ging<br />

der Autor auf die menschlichen Abgründe<br />

und Schwächen ein, welche das Publikum<br />

mitfühlend zurückließen. Das Werk gilt<br />

nicht umsonst als einer der wichtigsten<br />

Romane der deutschsprachigen Literatur.<br />

„Tyho Brahes Weg zu Gott“ von Max Brod<br />

war der Lesebeitrag des Ersten Bürgermeisters<br />

Wolfram Göll aus Kammerstein.<br />

Max Brod ist nicht so sehr als Autor bekannt,<br />

sondern als Literatur-Nachlassverwalter<br />

seines Freundes Franz Kafka. Mit<br />

ihm und Franz Werfel verband Brod eine<br />

enge Freundschaft. Sein Protagonist Tycho<br />

Brahe war einer der bedeutendsten Astronomen<br />

seines Zeitalters. Er bewohnte eine<br />

eigene Insel mit Schloss und Sternwarte.<br />

Dort entwickelte er sein Weltsystem, mit<br />

dem er Kopernikus widersprach und die<br />

Erde im Zentrum des Universums behielt.<br />

Heute trägt die von Brahe entdeckte Supernova<br />

die Bezeichnung SN 1572.<br />

Auch für die Erklärung der einst so rätselhaften<br />

Erscheinungen der Kometen schuf<br />

Tycho Brahe eine wesentliche Voraussetzung.<br />

Er fand heraus, dass es sich um<br />

Himmelskörper handelt, die weiter als der<br />

Planet Saturn von der Erde entfernt sein<br />

können.<br />

Brahe verbrachte sein Leben damit, den<br />

Sternenhimmel möglichst exakt zu vermessen<br />

und erfand zu diesem Zweck sogar<br />

riesige neue Messinstrumente. Anhand<br />

seiner über viele Jahrzehnte hinweg<br />

gesammelten Himmelsdaten konnte Johannes<br />

Kepler, ein Assistent bei ihm, später<br />

die elliptische Bahn des Mars nachweisen.<br />

Bis dahin galt, dass sich die Planeten<br />

auf perfekten Kreisbahnen bewegen. Ein<br />

besonderes (körperliches) Merkmal Tycho<br />

Brahes war seine goldene Nase. Als Student<br />

hatte er einmal eine handfeste Auseinandersetzung<br />

mit einem Kommilitonen,<br />

der ihm einen Teil seiner Nase abschlug.<br />

Fortan trug Tycho eine Nasen-Prothese<br />

aus Gold und Silber.<br />

Als Vierter im Bunde las der Hilpoltsteiner<br />

CSU-Stadt- und Kreisrat Christoph Raithel<br />

aus dem Roman „Jud Süß“ von Lion<br />

Feuchtwanger. Abseits des eigentlichen<br />

Handlungskerns zeichnet Feuchtwanger<br />

ein facettenreiches, in Teilen dennoch<br />

klischeebehaftetes Bild des deutschen<br />

Judentums zur Zeit der Aufklärung. Die<br />

jüdischen Romanfiguren stehen im Spannungsfeld<br />

zwischen Armut und wirtschaftlichem<br />

Aufstieg, zwischen kollektiver Ohnmacht<br />

und individueller wirtschaftlicher<br />

Macht, zwischen der bewussten Abgrenzung<br />

gegenüber den Gojim (im weitesten<br />

Sinne alle Nichtjuden) und der Assimilation<br />

bis hin zur Annahme der christlichen<br />

Religion. Der durch seinen Geschäftssinn<br />

zu Geld und Macht gelangte Süß strebt<br />

danach, von den Christen als ebenbürtig<br />

anerkannt zu werden, will im Gegensatz<br />

zu seinem Bruder, dem Baron Tauffenberger,<br />

den jüdischen Glauben jedoch nicht<br />

ablegen. Der ebenfalls reiche und einflussreiche<br />

kurpfälzische Hoffaktor Landauer<br />

unterstreicht geradezu provokativ seine<br />

jüdische Identität durch Kleidung und Auftreten.<br />

Er strebt nach Macht, nicht nach<br />

ihren äußeren Zeichen und der Anerkennung<br />

durch die christliche Gesellschaft.<br />

Der Kabbalist Rabbi Gabriel, Onkel des<br />

Süß, wählt sogar den Weg der radikalen<br />

Weltabkehr.<br />

Jud Süß hieß eigentlich Joseph Süß Oppenheimer<br />

- im 18. Jahrhundert Finanzrat am<br />

württembergischen Hof von Herzog Karl<br />

Alexander - wird vom Volk bewundert, gefürchtet<br />

und zugleich verachtet. Um seine<br />

eigene Tochter vor dem Treiben am Stuttgarter<br />

Hof zu schützen, schickt Oppenheimer<br />

sie zu seinem Onkel, einem Rabbiner<br />

- der Herzog stellt ihr jedoch nach. Diesen<br />

Nachstellungen entzieht sie sich und begeht<br />

Selbstmord, was den Menschen Oppenheimer<br />

bricht.<br />

Später besinnt er sich aber und bietet sich<br />

- ganz auf seine rabbinischen Vorfahren<br />

besonnen - selbst als Sündenbock an und<br />

wird für sämtliche Machenschaften des<br />

intriganten und ausschweifenden Herzogs<br />

verantwortlich gemacht.<br />

Der Volkszorn richtet sich nun voll gegen<br />

ihn, er wird zum Tode verurteilt. Ein Urteil,<br />

das er abwenden hätte können, wenn er<br />

sich zum christliche Glauben bekannt hätte,<br />

was er nicht tat.<br />

Nun zum Autor: Lion Feuchtwanger, 1884<br />

in München, als Sohn eines Margarinefabrikanten,<br />

geboren, zählte in der Weimarer<br />

Republik zu den einflussreichen Persönlichkeiten<br />

im Literaturbetrieb. Er gilt heute<br />

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<strong>06</strong> | <strong>2021</strong><br />

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