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Anwaltsblatt 2006/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Abhandlungen<br />

576<br />

<strong>2006</strong>, 576<br />

Strafrecht;<br />

Strafprozess;<br />

Nichtigkeitsbeschwerde;<br />

Zentrale<br />

Gesetzesstellen:<br />

§ 281 Abs 1 Z 5 StPO,<br />

§ 281 Abs 1 Z 9 a StPO,<br />

§ 288 Abs 2 Z 3 2. Satz<br />

StPO<br />

Aspekte der Abgrenzung von Mängelrüge und<br />

Rechtsrüge im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren<br />

Dr. Adrian Eugen Hollaender, Wien. Univ.-Doz. Mag. Dr. Adrian Eugen Hollaender ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher<br />

Publikationen zum österreichischen Straf- und Verfassungsrecht sowie Mitverfasser der Standardwerke „Strafprozessordnung“<br />

und „Strafgesetzbuch“ in der von Generalanwalt Prof. Dr. Mayerhofer herausgegebenen kommentierten<br />

Judikatursammlungsreihe „Das österreichische Strafrecht“. UnterAdrian Hollaenders diversen juristischen Publikationen<br />

sind Bücher zu Kernthemen wie der Nichtigkeitsbeschwerde im Strafverfahren, dem Auslieferungsrecht,<br />

der Bedeutung des Obersten Gerichtshofes in Strafsachen aus verfassungsrechtlicher Sicht sowie zu diversen menschenrechtlichen<br />

Themen und zu Aspekten des Grundrechtsschutzes erschienen. Er ist Universitätsdozent für Europarecht<br />

und Menschenrechte und ständiger Gastkommentator der renommierten Rechtsbeilage „Staatsbürger“ der<br />

Salzburger Nachrichten. Zuletzt ist er überdies als Initiator des ersten öffentlichen Rechtssymposiums im OGH in<br />

Erscheinung getreten.<br />

Klarheit bei der Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerden ist für die Rechtssicherheit und die Effizienz des<br />

Rechtsschutzes von essenzieller Bedeutung. Gerade für die Rechtsanwaltschaft ist dieses Thema aufgrund seiner<br />

Praxisrelevanz besonders wesentlich. Bei der Frage, mit welchem Nichtigkeitsgrund die auf der Feststellungsebene<br />

unterlaufenen Mängel eines Urteils im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde anzufechten sind –<br />

oder anders gesagt: Bei der Abgrenzung zwischen den Nichtigkeitsgründen der Z 5 und der Z 9 (und 10) des<br />

§ 281 Abs 1 StPO –, stehen einander nach wie vor völlig unterschiedliche Positionen gegenüber. Die folgende<br />

Abhandlung unternimmt den Versuch, einen klärenden Beitrag zum Thema zu leisten.<br />

I. Einleitung<br />

Es gibt einige Probleme im Strafrecht, bei denen sich<br />

mit der Zeit ein allgemeiner Meinungskonsens gebildet<br />

hat. Und es gibt einige Probleme, die seit jeher<br />

kontrovers gewesen und es bis heute geblieben sind.<br />

Zu letzteren zählt zum Beispiel im materiellrechtlichen<br />

Bereich die Frage der Stellung des Vorsatzes im Deliktsaufbau<br />

1) und im prozessualen Bereich die Frage,<br />

mit welchem Nichtigkeitsgrund Mängel eines schöffengerichtlichen<br />

Urteils auf Feststellungsebene geltend<br />

zu machen sind. Letzteres Thema wird im vorliegenden<br />

Beitrag behandelt. Es ist nicht nur von großem<br />

rechtsdogmatischem Interesse, sondern auch von essenzieller<br />

praktischer Relevanz, denn der richtigen<br />

Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerden kommt in<br />

der Rechtspraxis größte Bedeutung zu. Doch selbst Experten<br />

unter sich sind diesbezüglich nach wie vor uneinig.<br />

Judikatur und Lehre stehen einander mit kontroversen<br />

Standpunkten gegenüber. Wie soll dies dem<br />

Rechtsanwender eine verlässliche Orientierung sein?<br />

Bisher stehen einander nach wie vor beharrlich völlig<br />

unterschiedliche Positionen gegenüber. Dies ist<br />

wissenschaftlich legitim, aber für die Rechtspraxis<br />

und insb für den Rechtsschutzsuchenden höchst problematisch.<br />

Anzeichen für einen einheitlichen Standpunkt<br />

sind bisher nicht ersichtlich. Indes erscheinen<br />

sie notwendig. Denn wenn lediglich Positionen wiederholt<br />

werden, ohne dass das Problem fachliterarisch<br />

so ausdiskutiert wird, dass sich ein allgemeiner Akzeptanz<br />

fähiger Konsens findet, dann wäre letztlich statt<br />

einer Entsprechung des bekannten Gebots des Konfu-<br />

Aspekte der Abgrenzung von Mängelrüge und Rechtsrüge im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren<br />

Autor: Dr. Adrian Eugen Hollaender, Wien<br />

zius, zur Verständnisermöglichung zunächst einmal<br />

die Begriffe zu ordnen, vielmehr eine in diesem Punkt<br />

fortbestehende babylonische Sprachverwirrung bewirkt.<br />

Und um dies hinzunehmen, ist die praktische<br />

Relevanz des Themas zu groß, zumal Klarheit im<br />

Rechtsmittelverfahren von fundamentaler rechtsstaatlicher<br />

Bedeutung ist (und insb auch für die Rechtsanwaltschaft<br />

ein Thema von zentraler Signifikanz darstellt).<br />

Vielleicht können daher die gegenständlichen<br />

Ausführungen etwas mehr Klarheit schaffen und einen<br />

Anstoß zur allgemeinen Konsensbildung geben.<br />

1) Nach der früher allgemein vertretenen klassischen objektiven Unrechtslehre<br />

gehört alles Subjektive zur Schuld, sodass der Vorsatz<br />

eine Schuldform ist (vgl zB Beling, Liszt und Rittler). Schon Nowakowski,<br />

der dies ursprünglich auch voll Überzeugung so sah und gegen<br />

Einwände verteidigte, schwankte letztlich zur (von der deutschen<br />

Lehre beeinflussten) Einordnung des Vorsatzes in den Tatbestand<br />

(als subjektives Tatbestandsmerkmal) über, die heute von einem<br />

Großteil der Lehre (zB Burgstaller, Fuchs, Schmoller, Triffterer)<br />

vertreten wird, während dementgegen etwa Kienapfel den neoklassischen<br />

Verbrechensbegriff (mit der Einordnung des Tatvorsatzes in<br />

die Schuld, aber unter Einordnung des erweiterten Vorsatzes als subjektives<br />

Tatbestandselement) vertritt. Auch Mayerhofer meint, das<br />

StGB gehe davon aus, dass der Vorsatz zur Schuld gehört (vgl StGB 5 ,<br />

Anm 1 zu § 4 StGB unter Hinweis auf § 13 StGB, den wiederum<br />

Fuchs in seinem Lehrbuch anders deutet). Die Haltung der österreichischen<br />

Judikatur in dieser Frage ist uneinheitlich: teils folgt sie der<br />

„modernen“ Ansicht, teils bezeichnet sie – ebenso wie der deutsche<br />

Bundesgerichtshof, der unverändert am Tatvorsatz als reiner Schuldform<br />

festhält – den Vorsatz als Schuldform. Ein herausfordernder<br />

Reigen von offenen Widersprüchen und Gegensätzen, dessen Aufarbeitung<br />

aber einer künftigen Gelegenheit vorbehalten bleiben muss.<br />

Österreichisches <strong>Anwaltsblatt</strong> <strong>2006</strong>/<strong>11</strong>

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