Anwaltsblatt 2006/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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Abhandlungen<br />
578<br />
ein Ausdiskutieren der Standpunkte zwischen Lehre<br />
und Judikatur im Interesse der Gewinnung insofern<br />
einheitlichen Konsenses äußerst wünschenswert, da<br />
der gerade puncto Abgrenzung insofern einige Klarheit<br />
vermissen lassende Gesetzeswortlaut und die unterschiedlichen<br />
dazu publizierten und judizierten Meinungen<br />
einer klaren Orientierung des Rechtsmittelwerbers<br />
große Probleme bereiten –, dem Standpunkt<br />
der überwiegenden Lehrmeinungen im Sinne eines generell<br />
weiten Verständnisses der Z 5 in Bezug auf Begründungs-<br />
und Feststellungsebene zu folgen und die<br />
Z 9 a bis c und 10 (wiederum deren Wortlaut gemäß)<br />
lediglich für die unrichtige Lösung der Rechtsfrage,<br />
solcherart also eng und ohne Berücksichtigung des sich<br />
aus § 288 Abs 2 Z 3 StPO ergebenden weiteren Anwendungsbereiches<br />
der materiellen Nichtigkeitsgründe<br />
in Bezug auf Feststellungsmängel (dazu sogleich),<br />
heranzuziehen. Dies wäre zumindest klar und<br />
einheitlich.<br />
Ein solches Verständnis befriedigt jedoch aus systematischen<br />
Gründen nicht gänzlich, weil es den Anwendungsbereich<br />
der materiellen Nichtigkeitsgründe<br />
verdünnt und demgegenüber die Z5 ja unbestritten<br />
nur einen formellen Nichtigkeitsgrund verkörpert.<br />
Daher hat die (heutige) Judikatur ein anderes Verständnis<br />
für die Abgrenzung entwickelt.<br />
IV. Der Standpunkt der aktuellen<br />
Judikatur<br />
1. Grundsätzliches<br />
Der Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO<br />
hat die Überprüfung der tatrichterlichen Auseinandersetzung<br />
mit dem durchgeführten Beweisverfahren,<br />
das Aufzeigen formeller Begründungsmängel<br />
des in den Entscheidungsgründen enthaltenen Ausspruchs<br />
über entscheidende Tatsachen und somit die<br />
(nach Kriterien der Logik, der Denkmöglichkeit und<br />
der allgemeinen Lebenserfahrung10) erfolgende) Innenkontrolle<br />
des Urteils zum Gegenstand. Mit dem<br />
formellen Nichtigkeitsgrund der Z 5 können Mängel<br />
der Begründung tatsächlicher Feststellungen angefochten<br />
werden, nicht aber Mängel der Rechtsfrage<br />
geltend gemacht werden. Ist die rechtliche Beurteilung<br />
des Sachverhaltes mangelhaft, so sind die Z9<br />
und 10 geltend zu machen. Sinngemäßes gilt, wenn<br />
im Urteil die Feststellung von Tatsachen fehlt, die<br />
zur (allenfalls abweichenden) Subsumtion benötigt<br />
werden, wenn also Tatbestandsmerkmale (wie zum<br />
Beispiel beim Diebstahl „fremde Sache“ oder „wegnehmen“)<br />
nicht festgestellt wurden. Fehlt hingegen<br />
die Begründung dafür, warum sie als erwiesen oder<br />
nicht erwiesen angenommen werden, so ist dies mit<br />
Z5geltend zu machen.<br />
Aspekte der Abgrenzung von Mängelrüge und Rechtsrüge im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren<br />
Autor: Dr. Adrian Eugen Hollaender, Wien<br />
2. Der Feststellungsmangel<br />
Mit der Rechtsrüge nach § 281 Abs 1 Z 9 a, 9 b, 9 c und<br />
10 StPO <strong>11</strong>) kann nach der Judikatur bekanntlich nicht<br />
nur das Vorliegen von Rechtsirrtümern, die zu einem<br />
insofern rechtsirrigen Urteil geführt haben, bekämpft<br />
werden, sondern das Urteil kann aus den jeweils gleichen<br />
Nichtigkeitsgründen auch wegen des Vorliegens<br />
von Feststellungsmängeln angefochten werden. Wenn<br />
demnach ein Umstand, der für die rechtliche Beurteilung<br />
der Tat wesentlich ist, nicht festgestellt<br />
wurde, obwohl die Ergebnisse des Beweisverfahrens<br />
(also die in der HV vorgekommenen Umstände) auf<br />
sein Vorliegen hinweisen (somit also ihre Feststellung<br />
indizieren), ist der jeweils betroffene materielle Nichtigkeitsgrund<br />
als Feststellungsmangel geltend zu machen.<br />
Liegt ein solcher vor, muss der OGH das Urteil<br />
aufheben und die Sache an die erste Instanz zur neuerlichen<br />
Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.<br />
Feststellungsmängel können etwa vorliegen, wenn<br />
die Urteilsannahmen nicht ausreichen, um eine umfassende<br />
und verlässliche rechtliche Beurteilung vornehmen<br />
zu können (dies nennt der OGH in seiner jüngeren<br />
Judikatur einen Rechtsfehler mangels Feststellungen),<br />
oder wenn Verfahrensergebnisse auf bestimmte<br />
für diese Subsumtion rechtlich erhebliche<br />
Umstände hingewiesen haben und dessen ungeachtet<br />
eine entsprechende klärende Feststellung im Urteil unterlassen<br />
wurde (dies nennt der OGH einen Feststellungsmangel<br />
im engeren Sinne). 12)<br />
3. Der Begründungsmangel<br />
Der nach Z 9 oder 10 geltendzumachende Feststellungsmangel<br />
ist nach dem (heutigen) Standpunkt<br />
der Judikatur vom nach Z 5 geltendzumachenden Begründungsmangel<br />
zu unterscheiden. Die Aspekte der<br />
Mängelrüge nach Z 5 betreffen nämlich nach dem<br />
heutigen Verständnis des OGH in erster Linie die Begründungsebene.<br />
Das Fehlen subsumtionsrelevanter<br />
Feststellungen oder Mängel bei deren Feststellung<br />
sind nach der (aktuellen) Judikatur des OGH demgegenüber<br />
mit den materiellrechtlichen Nichtigkeitsgründen<br />
(also in der Regel Z 9 a, 9 b, 9 c und Z 10;<br />
einschließlich der entsprechenden Feststellungsmängel<br />
in Bezug auf durch – in der HV vorgekommene – Be-<br />
10) Letzteres Kriterium kann bereits – je nach Fallkonstellation – in den<br />
(hier nicht näher interessierenden) Anwendungsbereich der Z 5 a hineinreichen.<br />
<strong>11</strong>) Zur – hier außer Betracht bleibenden – eingeschränkten Möglichkeit<br />
im Frage kommender Feststellungsmängel bei Z <strong>11</strong> vgl Ratz, WK-<br />
StPO, Rz 696 und 705 zu § 281; aM Moos, ÖJZ 1989, 136; differenzierend<br />
Pallin, ÖJZ 1988, 136.<br />
12) Traditionell wurden vom OGH zwar meist beide Aspekte unter dem<br />
Oberbegriff des Feststellungsmangels zusammengefasst, wobei sich<br />
aber die begriffliche Unterscheidung vereinzelt auch schon in der<br />
früheren Judikatur findet.<br />
Österreichisches <strong>Anwaltsblatt</strong> <strong>2006</strong>/<strong>11</strong>