Anwaltsblatt 2006/11 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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Abhandlungen<br />
586<br />
<strong>2006</strong>, 586<br />
§ 9 ZustG;<br />
§ 7 ZustG;<br />
Zustellung;<br />
Zustellungsvollmacht;<br />
Heilung eines<br />
Zustellungsmangels<br />
Fälschliche Zustellung an die anwaltlich vertretene<br />
Partei – keine Heilung des Zustellmangels (mehr)<br />
Univ.-Prof. DDr. Bernd Wieser, Graz. Bernd Wieser ist Professor am Institut für Österreichisches, Europäisches und<br />
Vergleichendes Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre der Karl-Franzens-Universität Graz,<br />
1. Institutsvorstandsstellvertreter und 2. Vizestudiendekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Zahlreiche Publikationen<br />
insb zum Staatsorganisationsrecht sowie zum Vergleichenden Verfassungs- und Verwaltungsrecht.<br />
Wird gem § 9 ZustG eine Zustellungsvollmacht erteilt, sind Schriftstücke dem Zustellungsbevollmächtigten<br />
(etwa einem Rechtsanwalt) zuzustellen. Wird irrtümlicherweise ein Schriftstück an den Vollmachtgeber adressiert<br />
und zugestellt, ist die Zustellung rechtsunwirksam. Seit der ZustG-Novelle BGBl I 2004/10 ist eine Heilung<br />
dieses Mangels dadurch, dass das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten (dem Rechtsanwalt) „tatsächlich<br />
zukommt“, nicht mehr möglich.<br />
I. Einleitung<br />
Durch die Novelle BGBl I 2004/10 wurde das Bundesgesetz<br />
über die Zustellung behördlicher Dokumente<br />
(Zustellgesetz – ZustG) 1) umfangreich geändert. Kern<br />
der Änderungen war der Einbau von Vorschriften über<br />
das elektronische Zustellwesen. 2) Daneben wurden<br />
aber auch die Bestimmungen über die konventionelle<br />
„Papierzustellung“ adaptiert. Hierbei ist es offenkundig<br />
– ob aus einem Versehen, soll hier dahinstehen –<br />
zu einer materiellen Änderung gekommen, die für<br />
die anwaltliche Praxis nicht unerheblich ist. Diese<br />
Neuerung – konkret die Neufassung des § 9 ZustG betreffend<br />
den Zustellungsbevollmächtigten – ist Gegenstand<br />
des vorliegenden Beitrags.<br />
II. Die alte Rechtslage<br />
Das Rechtsinstitut des Zustellungsbevollmächtigten<br />
war vor der Novelle BGBl I 2004/10 in drei Vorschriften<br />
– §§ 8 a, 9 und 10 ZustG 3) – geregelt. Erstere Norm<br />
umschrieb den Kreis von Personen bzw Gebilden, welche<br />
gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von<br />
Schriftstücken bevollmächtigt werden können (Zustellungsvollmacht).<br />
§ 9 Abs 1 Satz 1 ZustG aF enthielt sodann<br />
die Anordnung, dass in dem Fall, dass ein Zustellungsbevollmächtigter<br />
bestellt ist, die Behörde, soweit<br />
gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger<br />
zu bezeichnen hat. Dies war derart zu verstehen,<br />
dass der Zustellungsbevollmächtigte (etwa ein Rechtsanwalt)<br />
4) – und nicht der Vollmachtgeber bzw Vertretene<br />
– in der Zustellverfügung als Empfänger (sog formeller<br />
Empfänger) 5) zu bezeichnen 6) und eine Zustellung<br />
nur an ihn zulässig war; eine Zustellung an den<br />
Vollmachtgeber bzw Vertretenen war rechtsunwirksam.<br />
7)<br />
Allerdings sah § 9 Abs 1 Satz 2 ZustG aF eine – spezifische<br />
– Heilungsmöglichkeit vor: Wurde das<br />
Schriftstück nicht dem Zustellungsbevollmächtigten,<br />
Fälschliche Zustellung an die anwaltlich vertretene Partei – keine Heilung des Zustellmangels (mehr)<br />
Autor: Univ.-Prof. DDr. Bernd Wieser, Graz<br />
sondern dem Vollmachtgeber zugestellt (dh war die<br />
Zustellung derart rechtsunwirksam), so galt die Zustellung<br />
als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Schriftstück<br />
dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen<br />
war. Dies galt auch für den Fall, dass in der<br />
Zustellverfügung fälschlicherweise der Vollmachtgeber<br />
anstelle des Zustellungsbevollmächtigten angeführt<br />
war. 8) Letztere Rechtsfolge konnte aus Wortlaut und<br />
Gesetzessystematik des § 9 Abs 1 ZustG aF abgeleitet<br />
werden. Satz 1 sprach davon, dass im Falle der Bestellung<br />
eines Zustellungsbevollmächtigten die Behörde<br />
1) So der neue Titel; hinfort nur mehr mit dem Kurztitel ZustG zitiert.<br />
2) Siehe insb den neuen Abschnitt III (§§ 28 ff ZustG).<br />
3) Wenn im Folgenden Vorschriften des ZustG idF vor der Novelle<br />
BGBl I 2004/10 zitiert werden, wird dies hinfort durch den Zusatz<br />
aF gekennzeichnet.<br />
4) Neben der „gewillkürten“ Zustellungsvollmacht konnte und kann<br />
eine solche auch gleichsam zwangsweise begründet werden: Nach<br />
§ 10 ZustG kann die Behörde einer sich nicht nur vorübergehend<br />
im Ausland aufhaltenden Partei oder einem solchen Beteiligten auftragen,<br />
für ein bestimmtes oder für alle bei dieser Behörde anhängig<br />
werdenden, sie betreffenden Verfahren einen Zustellungsbevollmächtigten<br />
namhaft zu machen. Besonders hervorzuheben ist ferner,<br />
dass nach der Judikatur (zB VwGH 29. 5. 1990, 89/04/0<strong>11</strong>1;<br />
14. 1. 1993, 92/09/0293; 22. 9. 1998, 98/05/0123) eine allgemeine<br />
Bevollmächtigung zur Vertretung iSd § 10 AVG auch eine Zustellungsbevollmächtigung<br />
beinhaltet, sofern dies in der Vollmacht<br />
nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist.<br />
5) Vgl Hengstschläger, Verwaltungsverfahrensrecht 1 (2002) Rz 193;<br />
Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts<br />
8 (2003) Rz 202.<br />
6) Vgl VwGH 14. 1. 1993, 92/09/0293.<br />
7) Vgl VwGH 29. 5. 1990, 89/04/0<strong>11</strong>1; 14. 1. 1993, 92/09/0293;<br />
2. 12. 1993, 93/09/0398; 8. <strong>11</strong>. 1995, 95/12/0175; 17. 4. 1996,<br />
95/21/0794; 3. 10. 2002, 2002/08/0031; Hengstschläger, Verwaltungsverfahrensrecht<br />
1 Rz 196; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht 2<br />
(2002) 360; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht 8 Rz 203;<br />
Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze<br />
I 2 (1998) 1917 Anm 8; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen<br />
Verwaltungsverfahrens 6 (2004) 1872 Anm 1 und 1873<br />
Anm 3.<br />
8) Vgl VwGH 19. 9. 1986, 86/17/0120; 19. 5. 1993, 93/09/0041;<br />
14. 2. 1997, 96/19/2027; Hengstschläger, Verwaltungsverfahrensrecht<br />
1 Rz 196; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht 2 , 360 f.<br />
Österreichisches <strong>Anwaltsblatt</strong> <strong>2006</strong>/<strong>11</strong>