MEDIAkompakt Ausgabe 30
Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org
Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
16 BOLD
mediakompakt
Gen Z im Kampf
um Demokratie
Myanmar liegt fast 8000 Kilometer entfernt. Und
dennoch sind die Demonstrationen dort uns ganz nah.
Die Studentin Yin aus Stuttgart bangt um ihre Familie –
und um die Demokratie in ihrem Heimatland.
VON JOANNA RIETL
Jeden Morgen nach dem Aufwachen
greift Yin als erstes voller Furcht zu ihrem
Smartphone, um die neuesten Nachrichten
aus ihrem Heimatland Myanmar zu
lesen. In den frühen Morgenstunden des
1. Februar 2021 putschte dort das Militär und rief
einen einjährigen nationalen
Notstand aus. Die
im November letzten Jahres
demokratisch gewählte
Präsidentin Aung San
Suu Kyi und weitere Mitglieder
ihrer Partei Nationale
Liga für Demokratie
(NLD) wurden festgenommen.
Seitdem gibt es friedliche Massendemonstrationen
im ganzen Land. Ein Hotspot der
Proteste ist die Wirtschaftsmetropole Yangon im
Süden des Landes, Yins Heimatstadt.
Sie lebt seit Oktober 2020 in Stuttgart, wo sie
Water Engineering studiert. Von dem Putsch hat
„Ein Leben
unter einer Diktatur
ist sinnlos.“
sie aus den Medien erfahren: „Ich konnte es nicht
glauben, bis meine Familie es mir bestätigt hat.
Seitdem lebe ich in der Hölle.“ Sie macht sich Sorgen
um ihr Land, ihre Freunde und ihre Familie,
besonders um ihre Schwester Kyi. Die 21-Jährige
nimmt seit Beginn der Militär-Diktatur an den
Protesten der Bewegung
des zivilen Ungehorsams
(CDM) teil.
Kyi studiert BWL, ihre
Universität in Yangon
ist seit Beginn des Putsches
geschlossen. Über
90 Prozent der Studenten
und Professoren haben
sich den Protesten angeschlossen. Das Militär
plant die Wiedereröffnung der Universitäten, Kyi
wird aber vorerst nicht zurückkehren. „Ich werde
nicht unter einer Militär-Regierung studieren. Ich
gehe nicht an die Uni zurück, bis dieser Kampf
vorbei ist. Mein Kommilitone hat bei einer Demonstration
seine rechte Hand und ein Auge verloren.
Wie könnte ich mich in eine Vorlesung setzen,
während andere für die Demokratie meines
Landes kämpfen?“ Stattdessen geht sie mit tausenden
Gleichgesinnten gegen das Militär auf die
Straße. Darunter sind Ärzte, Lehrer, Bankangestellte
und allen voran die Generation Z, geboren
in den 90er und frühen 2000er Jahren. Die Mehrheit
der Demonstranten ist weiblich. Die Frauen
in Myanmar haben am meisten zu verlieren, berichtet
Kyi. „Sie wurden vor der Demokratie diskriminiert,
so wird es unter der Militärherrschaft
wieder sein. Wir können nicht zurück, sonst verlieren
wir alle Rechte, die wir uns in Zeiten der Demokratie
erkämpft haben.“
Das Motto der jungen Demonstranten: „Ihr
habt euch mit der falschen Generation angelegt“.
Damit spielen sie auf ihre Medienkompetenz an:
Die Generation Z beherrscht die Technologie, versteht
es, Neuigkeiten zu verbreiten und sich über
sozialen Medien zu organisieren. Das Militär hat
darauf mit einer landesweiten Blockade des Internets
sowie des Mobilfunks reagiert, um die Demonstrationen
zu unterbinden. Erfolglos. Doch
das Regime scheut auch vor Waffengewalt nicht
zurück. Es setzt Gummigeschosse, Tränengas,
Blendgranaten und scharfe Munition ein, es wird
blindwütig in die Menge gefeuert.
Regelmäßig finden nächtliche Razzien und
Verhaftungen bei mutmaßlichen Demonstranten
statt. Die Hilfsorganisation für politische Gefangene,
AAPP (Assistance Association for Political
Prisoners) ging im Mai 2021 von 818 Toten und
5400 Inhaftierten aus. Angst hat Kyi trotzdem keine.
„Wir müssen uns gegen das Militär erheben
und es besiegen, ein Leben unter einer Diktatur ist
sinnlos.“
Ein Ausgang zugunsten der Demonstranten
scheint ohne Hilfe von außen unwahrscheinlich.
Die Mitglieder des CDM sind unbewaffnet, der
Westen und die Vereinten Nationen (UN) kritisieren
das Geschehen nur aus der Ferne. Dennoch
sind Kyi und ihre Schwester Yin hoffnungsvoll:
„Wir werden gewinnen, wir sind auf einen Bürgerkrieg
vorbereitet.“ Sie fordern den Tod des Anführers
des Militärs und seiner Anhänger sowie die
Freilassung von Aung San Suu Kyi, die noch immer
an einem geheimen Ort festgehalten wird.
„Suu hat die Demokratie in unser Land gebracht.
Alles, was wir wollen, ist in einer Demokratie zu
leben. Wir wollen in Frieden leben.“
Bild: dpa
INFO
Die Republik der Union Myanmar, das frühere
Burma, ist ein Staat in Südostasien mit rund
54 Millionen Einwohnern. Der Staat wird seit
1962 von einer Militärjunta regiert. Bei Myanmars
erster demokratischen Wahl im Jahr
2011 zog die Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin
Aung San Suu Kyi, die zuvor lang
unter Hausarrest stand, mit ihrer Partei NLD
ins Parlament ein und brachte demokratische
Prozesse im Land voran. Bei ihrer Wiederwahl
im November 2020 erreichte sie mehr als 50
Prozent der Stimmen.