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MEDIAkompakt Ausgabe 30

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org

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mediakompakt

Gen Z im Kampf

um Demokratie

Myanmar liegt fast 8000 Kilometer entfernt. Und

dennoch sind die Demonstrationen dort uns ganz nah.

Die Studentin Yin aus Stuttgart bangt um ihre Familie –

und um die Demokratie in ihrem Heimatland.

VON JOANNA RIETL

Jeden Morgen nach dem Aufwachen

greift Yin als erstes voller Furcht zu ihrem

Smartphone, um die neuesten Nachrichten

aus ihrem Heimatland Myanmar zu

lesen. In den frühen Morgenstunden des

1. Februar 2021 putschte dort das Militär und rief

einen einjährigen nationalen

Notstand aus. Die

im November letzten Jahres

demokratisch gewählte

Präsidentin Aung San

Suu Kyi und weitere Mitglieder

ihrer Partei Nationale

Liga für Demokratie

(NLD) wurden festgenommen.

Seitdem gibt es friedliche Massendemonstrationen

im ganzen Land. Ein Hotspot der

Proteste ist die Wirtschaftsmetropole Yangon im

Süden des Landes, Yins Heimatstadt.

Sie lebt seit Oktober 2020 in Stuttgart, wo sie

Water Engineering studiert. Von dem Putsch hat

„Ein Leben

unter einer Diktatur

ist sinnlos.“

sie aus den Medien erfahren: „Ich konnte es nicht

glauben, bis meine Familie es mir bestätigt hat.

Seitdem lebe ich in der Hölle.“ Sie macht sich Sorgen

um ihr Land, ihre Freunde und ihre Familie,

besonders um ihre Schwester Kyi. Die 21-Jährige

nimmt seit Beginn der Militär-Diktatur an den

Protesten der Bewegung

des zivilen Ungehorsams

(CDM) teil.

Kyi studiert BWL, ihre

Universität in Yangon

ist seit Beginn des Putsches

geschlossen. Über

90 Prozent der Studenten

und Professoren haben

sich den Protesten angeschlossen. Das Militär

plant die Wiedereröffnung der Universitäten, Kyi

wird aber vorerst nicht zurückkehren. „Ich werde

nicht unter einer Militär-Regierung studieren. Ich

gehe nicht an die Uni zurück, bis dieser Kampf

vorbei ist. Mein Kommilitone hat bei einer Demonstration

seine rechte Hand und ein Auge verloren.

Wie könnte ich mich in eine Vorlesung setzen,

während andere für die Demokratie meines

Landes kämpfen?“ Stattdessen geht sie mit tausenden

Gleichgesinnten gegen das Militär auf die

Straße. Darunter sind Ärzte, Lehrer, Bankangestellte

und allen voran die Generation Z, geboren

in den 90er und frühen 2000er Jahren. Die Mehrheit

der Demonstranten ist weiblich. Die Frauen

in Myanmar haben am meisten zu verlieren, berichtet

Kyi. „Sie wurden vor der Demokratie diskriminiert,

so wird es unter der Militärherrschaft

wieder sein. Wir können nicht zurück, sonst verlieren

wir alle Rechte, die wir uns in Zeiten der Demokratie

erkämpft haben.“

Das Motto der jungen Demonstranten: „Ihr

habt euch mit der falschen Generation angelegt“.

Damit spielen sie auf ihre Medienkompetenz an:

Die Generation Z beherrscht die Technologie, versteht

es, Neuigkeiten zu verbreiten und sich über

sozialen Medien zu organisieren. Das Militär hat

darauf mit einer landesweiten Blockade des Internets

sowie des Mobilfunks reagiert, um die Demonstrationen

zu unterbinden. Erfolglos. Doch

das Regime scheut auch vor Waffengewalt nicht

zurück. Es setzt Gummigeschosse, Tränengas,

Blendgranaten und scharfe Munition ein, es wird

blindwütig in die Menge gefeuert.

Regelmäßig finden nächtliche Razzien und

Verhaftungen bei mutmaßlichen Demonstranten

statt. Die Hilfsorganisation für politische Gefangene,

AAPP (Assistance Association for Political

Prisoners) ging im Mai 2021 von 818 Toten und

5400 Inhaftierten aus. Angst hat Kyi trotzdem keine.

„Wir müssen uns gegen das Militär erheben

und es besiegen, ein Leben unter einer Diktatur ist

sinnlos.“

Ein Ausgang zugunsten der Demonstranten

scheint ohne Hilfe von außen unwahrscheinlich.

Die Mitglieder des CDM sind unbewaffnet, der

Westen und die Vereinten Nationen (UN) kritisieren

das Geschehen nur aus der Ferne. Dennoch

sind Kyi und ihre Schwester Yin hoffnungsvoll:

„Wir werden gewinnen, wir sind auf einen Bürgerkrieg

vorbereitet.“ Sie fordern den Tod des Anführers

des Militärs und seiner Anhänger sowie die

Freilassung von Aung San Suu Kyi, die noch immer

an einem geheimen Ort festgehalten wird.

„Suu hat die Demokratie in unser Land gebracht.

Alles, was wir wollen, ist in einer Demokratie zu

leben. Wir wollen in Frieden leben.“

Bild: dpa

INFO

Die Republik der Union Myanmar, das frühere

Burma, ist ein Staat in Südostasien mit rund

54 Millionen Einwohnern. Der Staat wird seit

1962 von einer Militärjunta regiert. Bei Myanmars

erster demokratischen Wahl im Jahr

2011 zog die Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin

Aung San Suu Kyi, die zuvor lang

unter Hausarrest stand, mit ihrer Partei NLD

ins Parlament ein und brachte demokratische

Prozesse im Land voran. Bei ihrer Wiederwahl

im November 2020 erreichte sie mehr als 50

Prozent der Stimmen.

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