MEDIAkompakt Ausgabe 30
Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org
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02/ 2021 BOLD 29
Hilfe suchen – hilft!
Psychische Erkrankungen sind uns nicht neu. Doch trotz zunehmender Aufklärung haben sie
immer noch mit einem enormen gesellschaftlichen Stigma zu kämpfen. Drei Betroffene
erzählen über sich und machen sich stark für mehr Toleranz.
VON CAROLIN LEHMANN
Manche Krankheiten sieht man,
andere nicht. Die, die man nicht
sieht, werden oft immer noch unter
den Teppich gekehrt. Dabei
sind sie genauso legitim wie ein
Schnupfen oder ein gebrochenes Bein. Drei mutige
Frauen erzählen über ihre seelischen Leiden,
wie sie merkten, dass sie Hilfe brauchen und wie
sie diese aufsuchten. Sie appellieren an alle in einer
ähnlichen Situation, den Mut zu haben, sich
helfen zu lassen!
„Ich habe einfach geschrien. In diesem Moment
wusste ich nicht, was los ist, wo ich bin und wer ich
selbst bin. Als ich wieder zur Realität gefunden habe,
wurde mir klar, dass ich Hilfe brauche.“
SIA, 26, Physiotherapeutin, hat neuerdings rote
Haare, geht gern schwimmen und in die Sauna.
Vor einigen Wochen hat sich Sia selbst in eine Klinik
einweisen lassen, da ihre Angststörung und
Panikattacken überhand nehmen. Grund dafür
waren nicht nur die anhaltende Corona-Situation,
sondern, wie sie später auch realisierte, ihre
langjährige Beziehung und familiäre Probleme.
Während dieser Zeit gerät Sias Angst außer Kontrolle.
Nach einem Konflikt mit ihrem Bruder
kann sie die Erkrankung nicht mehr in Schach
halten und verliert die Beherrschung.
Erstmal sucht sich Sia Hilfe in einem Krankenhaus,
dort wird sie nicht ernst genommen. Sie
wird in ein ZfP (Zentrum für Psychiatrie) geschickt,
wird da ebenfalls zurückgewiesen, mit der
Begründung sie sei „nicht krank genug“. In einem
anderen ZfP findet sie doch noch einen Platz. Umgeben
von ihren Ängsten und Problemen, muss
sie lernen, mit diesen umzugehen. Schon jetzt hat
sie viel über sich und ihre Angst gelernt und
glaubt daran, gesund zu werden.
„Ich habe gelernt, dass meine Angst nicht rational
ist. Wenn man sie füttert, wird sie größer
und wenn sie kein Futter bekommt, dann geht sie
irgendwann ein.“
„Ich war fünf Jahre bei meiner Therapeutin. Zuerst
hat es mir wenig geholfen und ich denke, dass es erst
mal vielen so geht, aber dort zu sein und das Gefühl
zu entwickeln, dass man selbst etwas ändern möchte,
braucht seine Zeit.“
ANN, 26, ist Grafikdesignerin. Sie arbeitet zurzeit
als Mediengestalterin. Sie mag koreanisches Essen
und hat drei Monate in Asien verbracht. In ihrer
Freizeit liest sie gerne oder schreibt an ihrem
Buch. Ann litt jahrelang an Depressionen.
Während dieser Zeit beschäftigt sich Ann mit
seelischen Erkrankungen. Sie merkt, dass mit ihr
etwas nicht stimmt. Da sie nicht wusste, was sie
sich antun würde, wenn sie mit ihren inneren Dämonen
weiter allein gelassen wird, ergreift sie die
Initiative und findet online schnell eine Psychotherapeutin.
Bei ihr dauert es drei Jahre bis zur
Besserung. Sie findet ihr Selbstbewusstsein wieder
und sagt ihren Depressionen den Kampf an.
Auf die Frage, was Ann anderen raten würde,
sagt sie: „Man sollte es nicht so lange hinauszögern
bis es einem richtig schlecht geht. Der Weg
zur Besserung ist oft ein langer, je früher man sich
Hilfe sucht, desto besser.“ Heute geht es Ann gut.
Sie ist sehr zuversichtlich, dass es so bleiben wird.
Die Angst, dass ihre Erkrankung zurückkommen
könnte, ist zwar immer da, aber Ann blickt optimistisch
in die Zukunft.
„Bei meiner Therapeutin mache ich eine Verhaltenstherapie.
Es ist anstrengend, sich mit den eigenen
Problemen zu befassen, aber es hilft, mit jemandem
darüber zu sprechen. Bei ihr bekam ich die Diagnose
Borderline-Akzentuierung.“
MAI, 23, studiert Ethnologie in Tübingen. Sie baut
gerade ein Modellflugzeug, malt und zeichnet gerne.
Ihr Weg zur Diagnose war lang. Nach der stressigen
Abiturzeit fällt sie in ein Tief. Sie liegt nur
noch im Bett. Sie merkt, dass sie Hilfe braucht. Eine
Therapie bei einer Jugendtherapeutin bricht
sie ab. Nach der Trennung von ihrem Freund
denkt sie sogar an Suizid. Mai will sich in eine Klinik
einweisen lassen, dort wird sie zweimal zurückgewiesen.
Ein Arzt empfiehlt ihr die Therapeutin,
die sie jetzt behandel. Ab August kann sie
während eines Urlaubssemesters an einer Therapie
gegen die Borderline-Erkrankung teilnehmen.
Sie hofft, so besser mit ihrer Krankheit zurecht zu
kommen. Mai ist es wichtig, offen über psychische
Erkrankungen zu reden. Sie rät, das Ziel,
gesund zu werden, nicht aus den Augen zu verlieren,
denn der Weg zur Besserung sei lang.
Bild: Unsplash