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MEDIAkompakt Ausgabe 30

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org

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30 BOLD

mediakompakt

Vergessen oder vernachlässigt?

Jugendhilfe in der Pandemie

Schließungen, Einschränkungen,

Lockdowns – die Corona-

Pandemie hat seit März 2020

Auswirkungen auf zahlreiche

Lebens- und Arbeitsbereiche.

Warum wird dabei die Jugendhilfe

vergessen? Ein Interview.

VON CHANTAL AUGELLO

Cedric Kutzli, Jugend- und Heimerzieher

im heilpädagogischen Kinderund

Jugendhilfezentrum Sperlingshof,

betreut acht Jungen im Alter von

zwölf bis 17 Jahren. Er erzählt, welche

Herausforderungen die Pandemie und die Maßnahmen

zur Eindämmung mit sich brachten.

mediakompakt: Wie sah der Alltag vor Corona in

der Wohngruppe aus?

Cedric: An Wochentagen gehen die Jugendlichen

zur Schule. Nach dem Mittagessen im Wohnhaus

erledigen sie ihre Hausaufgaben oder bereiten sich

auf Schularbeiten vor. Einige erhalten Nachhilfeunterricht.

Vor der Pandemie haben sie am Nachmittag

Vereine besucht und sind ihren Hobbys,

etwa Mannschaftssport, nachgegangen. An den

Wochenenden standen meistens Gruppenaktivitäten

und Ausflüge an der Tagesordnung, da sind

wir dann auch mal ins Freibad gegangen, zum Minigolfen

oder ins Museum.

mediakompakt: Was hat sich verändert?

Cedric: Sehr vieles. Die Jugendlichen können keine

Vereine mehr besuchen und somit auch nicht

ihren Hobbys nachgehen. Nachhilfe wird bei uns

hofintern angeboten, deshalb findet das glücklicherweise

statt. Aber die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung,

vor allem während eines Lockdowns,

sind reduziert. Wir haben einen Sportplatz

auf dem Hof, doch außerhalb des Geländes

sind wir wegen der Schließungen von Freizeit

-und Kultureinrichtungen sehr eingeschränkt.

mediakompakt: Wie gehen die Jugendlichen damit

um?

Cedric: Wenn man zu acht in einem Haushalt festsitzt,

macht sich das natürlich bemerkbar. In der

Freizeitgestaltung geht es darum, die Lebensqualität

der Jugendlichen zu verbessern und belastende

Situationen außerhalb vom Hof, in einem sozialen

Umfeld, etwa in der Stadt, zu erproben. Wenn

das nicht möglich ist, stagniert auch der Therapieerfolg

bei den Jungen.

mediakompakt: Geht dir manchmal die Kraft aus?

Cedric: Wir alle sind während der Pandemie vielen

Veränderungen ausgesetzt, die neue Herausforderungen

mit sich bringen. Manchmal ist das schon

anstrengend. Im Vordergrund stehen immer die

Sorgen und Probleme der Kinder. Wir versuchen

das Beste aus der Situation zu machen und kreative

Lösungen zu finden.

mediakompakt: Wie funktionierte die digitale Umsetzung

der Schulaufgaben während Schulschließungen?

Brauchen die Jugendlichen mehr Unterstützung

als zuvor?

Cedric: Die Schüler haben Home-Schooling und

nutzten dafür ihre Handys. Es gibt einen Gruppen-Laptop,

den sich die acht Bewohner teilen

müssen. Manche erhalten Wochenplaner, mit

Aufgaben für die ganze Woche. Jeder Jugendliche

braucht mehr Unterstützung. Doch diese kann

nicht für jeden gewährleistet werden. Manchen

fällt es daher besonders schwer, in der Schule mitzuhalten.

mediakompakt: Die stationäre Jugendhilfe als sozial-

und systemrelevanter Bereich bedarf besonderer

Aufmerksamkeit. Dazu gehören Hilfeplangespräche

und psychologische Unterstützung: Finden

solche Gespräche weiterhin statt?

Cedric: Ja, manchmal digital und nicht in Präsenz.

Aber sie müssen weiterhin stattfinden. Es geht um

die aktuelle Situation des Kindes und Zielsetzungen,

an denen sich die weitere Hilfe für das Kind

orientiert. Sie bilden eine wichtige Grundlage für

die weitere Planung.

mediakompakt: Ärgert es Dich manchmal, dass die

Jugendhilfe weitgehend in der Öffentlichkeit

unbeachtet bleibt?

Bild: Unsplash

Cedric: Ja, weil ich der Meinung bin, dass zu wenig

finanzielle Mittel in diesen Bereich fließen. Die

Kinder- und Jugendhilfe hat viel mehr Aufmerksamkeit

verdient.

mediakompakt: Was müsste sich ändern?

Cedric: Man müsste mehr Menschen an das

Thema heranführen und zeigen, wie wichtig diese

Arbeit für Kinder und Jugendliche ist. Es könnten

mehr Fördergelder vom Staat fließen, das gilt für

den gesamten sozialen Bereich. Unterstützung

durch Spenden aller Art, wie technische Ausstattung,

um den Kindern den bestmöglichen Unterricht

zu ermöglichen, sind immer hilfreich. Der

Sperlingshof ist nur eine von über 37.000 stationären

Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen in

Deutschland, die Kindern und Jugendlichen auch

während Corona ein Zuhause geben und

Zukunftsperspektiven schaffen. Gerade deshalb

sollte die enorm wichtige Arbeit der Kinder- und

Jugendhilfe wertgeschätzt und unterstützt

werden.

Spenden

Kinder- und Jugendheim Sperlingshof e.V.

Sperlingshof 4, 75196 Remchingen

Helft mit Ideen / Projekte zu realisieren und

unterstützt den Sperlingshof:

https://sperlingshof.de/foerdern-spenden/

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