MEDIAkompakt Ausgabe 30
Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org
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02/ 2021 BOLD 21
Comedians: mutig oder dreist?
Komiker verdienen ihr Geld damit, gesellschaftliche Grenzen
auszuloten und zu überspringen. Sie trauen sich, auszusprechen,
was als unhöflich, frech oder beleidigend gilt.
VON MONA SCHENDERA
Die me-too-Bewegung und der
Hashtag #notallmen ist jedem ein
Begriff, auch in Deutschland. Mehr
als 100 Frauen, viele davon aus der
Filmbranche, haben in den vergangenen
Monaten gegen Hollywood-Größen wie
den Schauspieler Bill Cosby und den Produzenten
Harvey Weinstein ausgesagt. Doch nicht nur in
Hollywood ist „me too“ ein Thema. Studien belegen,
dass 97 Prozent aller Frauen in Deutschland
mindestens einmal in ihrem Leben sexuell belästigt
wurden. Eine ernüchternde Statistik, warum
sollte man darüber lachen?
Vielleicht, weil dadurch noch mehr Öffentlichkeit
für dies Themen geschaffen wird. Eines
der besten Beispiele liefert der schottische Comedian
Daniel Sloss, 30. Egal ob Religion, Tod, Liebe,
Trennung oder das Rasieren des Afters – er deckt
alle Themen ab. So auch in seinem Special X. Sloss
spricht im letzten Teil seiner Show die Vergewaltigung
einer guten Freundin durch einen seiner
Freunde an. Ein schwieriges Thema, was vor allem
für Zuschauer*Innen, die möglicherweise betroffen,
schwer auszuhalten ist. Sloss balanciert mit
seiner Performance auf einem schmalen Grat,
doch ihm gelingt es tatsächlich den Witzen Tiefgang
zu geben.
Obwohl er sich 75 Minuten über Sexismus lustig
macht, wandelt er die letzte Viertelstunde seines
Auftritts zu einem TedTalk um. Zur Erläuterung,
TedTalks sind Vorträge oder Präsentationen,
hinter denen eine bestimmte Idee steckt, die
etwas bewirken soll.
„Wenn ich komplett ehrlich zu mir selbst bin,
habe ich fragwürdiges Verhalten bei meinem
Kumpel gegenüber Frauen bemerkt, aber nichts
dagegen getan. Ich dachte, ich bin ja nicht wie er,
deshalb auch nicht Teil des Problems. Diese
Schuld liegt bei mir und meine Freundin muss damit
leben“, gibt Sloss offen zu.
Die Frage bleibt, ob es sinnvoll ist, dieses sensible
Thema auf einer Comedy -Bühne zu präsentieren.
Sloss baut Witze in die Geschichte ein, was
dazu führen könnte, dass sie nicht ernst genommen
wird. Damit verfolgt er jedoch das Ziel, dass
die Gesellschaft und besonders die Männer nicht
mehr wegschauen können. Er nutzt die Aufmerk-
Bilder: Facebook,
und Ashleigh
samkeit, die er sich durch den ersten Teil der Show
aufgebaut hat. Das soll, wie er klarstellt, kein Angriff
gegen Männer sein, doch seine Freundin leihe
ihm ihre Geschichte aus einem bestimmten
Grund, wie er sagt: „Männer werden auf andere
Männer hören, aber nicht auf Frauen.“
Klingt nach einer kühnen Aussage. Die Erklärung
dazu: „Wenn man einen Frosch in kochendes
Wasser schmeißt, hüpft er sofort wieder heraus.
Wenn man ihn aber in kaltes Wasser lässt
und langsam die Temperatur aufdreht, merkt er
den Unterschied nicht.“
Eine Metapher, die ins Schwarze trifft. Kochend
vor Wut war auch die junge Komikerin Kelly
Bachman bei einem Auftritt in New York. Im
Publikum saß Harvey Weinstein. Sie betrat die
Bühne mit den Worten: „Ich bin etwas angespannt.
Ich wusste nicht, dass wir unsere Vergewaltigungspfeifen
mitbringen sollten.“ Die Reaktion
des Publikums unterstreicht die Aussage von
Sloss. Mehrere männliche Stimmen erhoben sich
(„Halt den Mund“) und buhten Bachman aus.
Kelly Bachman hat bewiesen, was Rückgrat bedeutet.
Sie hat ausgesprochen, was keiner der
Männer unter den Zuschauern hören wollte. Sie
wollen nicht alle über einen Kamm geschoren
werden. Und dennoch attackierten sie die Komikerin
und nicht den Hollywood-Produzenten, gegen
den zu dem Zeitpunkt schon mehrere Anklagen
wegen Sexualstraftaten liefen. Komiker brauchen
ein dickes Fell. Sie teilen aus und müssen
sich auf Shitstorms gefasst machen. Dennoch ist
es wichtig, weiter für die Wahrheit einzustehen,
selbst wenn sie in Form von Witzen zu Tage tritt.
Hilfetelefon
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet
24-Stunden-Unterstützung und ist unter der
Nummer 08000 / 116 016 zu erreichen.
Das Hilfetelefon für „Gewalt gegen Männer“
unter der Nummer 0800 / 1239900.