2 - Kultur- und Kreativwirtschaft in Hessen
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virtuell „Kl<strong>in</strong>ken putzen“. Doch gerade im Kreativbereich<br />
können Fähigkeiten nur anhand von Arbeitsproben<br />
<strong>und</strong> Referenzprojekten demonstriert werden. So<br />
entwickeln die Kreativen häufig im eigenen Auftrag<br />
komplette Referenzprojekte, die sie auf ihrer Website<br />
präsentieren, z. B. e<strong>in</strong>e corporate identity für e<strong>in</strong>e<br />
Phantasiefirma oder selbst entworfene <strong>und</strong> produzierte<br />
Bekleidungsstücke <strong>und</strong> Accessoires. Diese selbst<br />
f<strong>in</strong>anzierten Referenzprojekte treiben sie so lange<br />
voran, bis sie – im besten Fall – e<strong>in</strong>en privaten oder<br />
öffentlichen Geldgeber f<strong>in</strong>den oder das Vorhaben<br />
erfolglos beenden müssen. Interviews mit Berl<strong>in</strong>er<br />
Raumpionieren 21 zeigen, dass nur wenige Akteure<br />
ihr Ziel nach e<strong>in</strong>em strukturierten Plan verfolgen,<br />
geschweige denn e<strong>in</strong>em Bus<strong>in</strong>essplan. „Orte werden<br />
ausprobiert, Vorgef<strong>und</strong>enes wird aufgegriffen <strong>und</strong><br />
experimentelle Nutzungskonzepte entstehen. Vieles<br />
entsteht, wie es sich ergibt“. 22 Dieses Vorgehen<br />
bestätigten auch Interviews mit kreativen Kle<strong>in</strong>stunternehmern<br />
<strong>in</strong> Frankfurt, z. B. <strong>in</strong> der Brückenstraße <strong>in</strong><br />
Sachsenhausen oder im Bahnhofsviertel.<br />
Für viele Beschäftigte im <strong>Kultur</strong>bereich <strong>und</strong> <strong>in</strong> der<br />
kreativen Szene ist aber nicht nur die räumliche oder<br />
die <strong>in</strong>haltliche (horizontale) Flexibilität kennzeichnend,<br />
sondern auch die vertikale Tätigkeitsflexibilität. Dies<br />
bezeichnet fließende Übergänge zwischen Beruf <strong>und</strong><br />
Privatleben, also zwischen Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Freizeit,<br />
Hobby oder ehrenamtlicher Arbeit. 23 Geregelte<br />
Arbeitszeiten s<strong>in</strong>d eher selten, Arbeitszeit <strong>und</strong> Freizeit<br />
33<br />
verwischen <strong>und</strong> damit auch die Grenze zwischen<br />
Produktion <strong>und</strong> Konsum von <strong>Kultur</strong>. Der <strong>Kultur</strong>konsument<br />
ist gleichzeitig auch <strong>Kultur</strong>produzent, auch<br />
„Prosumer“ genannt (production <strong>und</strong> consum<strong>in</strong>g).<br />
E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive private Teilnahme am <strong>Kultur</strong>leben<br />
gibt Anregungen für die professionelle Tätigkeit,<br />
aus privatem Interesse <strong>und</strong> Hobby erwächst berufliches<br />
Engagement <strong>und</strong> private Term<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d zugleich<br />
Netzwerktreffen. Dieses Verwischen der Grenzen<br />
wird bereits <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Studie aus dem Jahr 2002 als e<strong>in</strong><br />
zentrales Charakteristikum der <strong>Kultur</strong>schaffenden <strong>und</strong><br />
Kle<strong>in</strong>stunternehmer herausgestellt. 24<br />
Kreativitätsforscher s<strong>in</strong>d der Auffassung, dass „Multitask<strong>in</strong>g“<br />
kreative Menschen weiterbr<strong>in</strong>ge. Der ständige<br />
Wechsel zwischen den Tätigkeitsfeldern koste<br />
nicht etwa Energie, im Gegenteil, er trage dazu bei,<br />
dass neue Ideen entstehen. Der Wechsel <strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderes<br />
Betätigungsfeld sei erholsamer als der allabendliche<br />
Fernsehabend auf dem Sofa <strong>und</strong> manchmal sogar<br />
mit Synergieeffekten verb<strong>und</strong>en, da sich aus lockeren<br />
Kontakten K<strong>und</strong>enbeziehungen ergäben, bei denen<br />
die Akquisition quasi nebenbei erfolge.<br />
Der viel diskutierte Trend zu Mehrfachbeschäftigungen<br />
<strong>und</strong> „Patchworke<strong>in</strong>kommen“ ist im Bereich der<br />
<strong>Kultur</strong>schaffenden <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>stunternehmer der <strong>Kultur</strong>wirtschaft<br />
also längst übliche Praxis. 25 Die Art der<br />
Beschäftigungsverhältnisse <strong>und</strong> der Akteure entsprechen<br />
im <strong>Kultur</strong>sektor, besonders bei den Kle<strong>in</strong>stunternehmen,<br />
sehr stark den Verhältnissen, die generell<br />
Läden <strong>in</strong><br />
Frankfurt-Sachsenhausen<br />
(Brückenstraße)<br />
21 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berl<strong>in</strong> (Hrsg.) (2007): Urban Pioneers – Berl<strong>in</strong>: Stadtentwicklung durch<br />
Zwischennutzung.<br />
22 Ebda.<br />
23 Mandel (2007: 22).<br />
24 Wilson, Nicholas / Stokes, David (2002): Cultural entrepreneurs and creat<strong>in</strong>g exchange, K<strong>in</strong>gston University.<br />
25 B<strong>und</strong>esweit <strong>und</strong> über alle Branchen h<strong>in</strong>weg ist die Zahl der Multijobber zwischen 2002 <strong>und</strong> 2004 von 900.000<br />
auf 1,5 Millionen gestiegen. Die allermeisten Multijobber haben neben e<strong>in</strong>er sozialversicherungspflichtigen<br />
Hauptbeschäftigung noch e<strong>in</strong>en abgabefreien 400-Euro-Job. Elf Prozent – vor allem <strong>in</strong> den östlichen<br />
B<strong>und</strong>esländern – komb<strong>in</strong>ieren mehrere M<strong>in</strong>ijobs. Vgl. Institut für Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Berufsforschung der<br />
B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit: IAB Kurzbericht, Ausgabe Nr. 22 / 6.12.2006.