BIBER 03_22 Ansicht
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„
Ich war damit beschäftigt,
ein ‚guter Österreicher‘
zu sein.
“
Emir: „Ich habe mit meinem Outing ein Tabu in meiner bosnischen Familie gebrochen“
se Spannung in der Brust habe ich nicht
ausgehalten. Ich wollte Freiheit“, erzählt
Emir Dizdarević. Ursprünglich kommt der
32-Jährige aus Bosnien, seine Familie
ist Anfang der Neunzigerjahre vor
dem Jugoslawienkrieg nach Österreich
geflüchtet, wo Emir aufgewachsen ist.
Heute ist er Vorsitzender der Kulturkommission
Josefstadt, politisch bei den
Grünen Andersrum aktiv – und lebt offen
homosexuell. Doch das war nicht immer
so: Bei seinem Outing vor 10 Jahren
ging er vom Schlimmsten aus. „Ich
hatte Homophobie jahrelang miterlebt.
Ich habe mich aus Liebe heraus geoutet,
um die Beziehung zu meinen Eltern
zu retten, und musste gleichzeitig mit
absolutem Liebesverlust rechnen.“ Nach
einem Moment der Stille gibt er zu: „Ich
hatte mich innerlich von meiner Familie
verabschiedet.“
Dass er auf Männer steht, merkte
Emir bereits als Kind. „Ich war neidisch,
wenn der Nachbarsjunge lieber mit meiner
Schwester spielte als mit mir“, gibt er
lachend zu. Sobald er in Worten fassen
konnte, was das zu bedeuten hatte, ging
der innere Kampf los. Wie viele andere
kennt auch er den Druck, immer ein bisschen
besser sein zu müssen als seine
österreichischen Klassenkolleg:innen.
„Neben dem Druck, sich anpassen zu
müssen und in der Schule abzuliefern,
musste ich dann auch noch damit ringen,
meine Gefühle zu akzeptieren. Ich beneidete
andere 16-Jährige, die ihre ersten
Dates hatten und sich ausprobierten.
Ich hingegen war damit beschäftigt, ein
‚guter Österreicher‘ zu sein“, gibt der
Austrobosnier zu.
„Die Gesellschaft diktiert Migranten
ständig vor, wie sie zu sein haben. Dieser
Druck, sich als ‚anständiger Ausländer‘
zu beweisen, den eigenen Namen ständig
erklären zu müssen oder der Drang
‚überhöflich‘ zu sein, begleitet uns unser
Leben lang“, kommentiert Yavuz Kurtulmus.
„Zu dieser Belastung kommt dann
noch, dass man im Alltag ständig daran
erinnert wird, sich irgendwann outen zu
müssen.“ Das merkte auch Emir früh:
Als er das heiratsfähige Alter erreicht,
beginnt das typische Familienverhör à la:
„Hast du eine Freundin? Wann willst du
heiraten? Die Metzgerstochter ist single,
willst du Mal mit ihr ausgehen?“ Irgendwann
hatte es Emir eindeutig satt – und
outete sich seiner Familie. „Es gab ein
Familienmitglied, welches aus Überforderung
durch mein Outing ein Jahr nicht
mit mir sprechen konnte. Das war damals
echt hart. Ich wusste aber, dass ich der
Erste in ihrem Leben war, der homosexuell
war und so für sie ein Tabu gebrochen
hatte. Mittlerweile ist alles wieder cool
zwischen uns“, so Emir.
Die eigene Kultur ist migrantischen
Familien sehr wichtig. „Es gibt eine
enorme Angst davor, seinen kulturellen
Halt zu verlieren“, erklärt Yavuz Kurtulmus
und führt weiter aus: „Sich zu outen
ist keine Einbahnstraße. Wir müssen
unseren Familien auch Zeit geben, unsere
Sexualität zu begreifen.“ Das weiß er
aus eigener Erfahrung nur zu gut. Er ist
in einer türkischen Gastarbeiterfamilie
mit vielen Geschwistern aufgewachsen.
Emirs Mutter machte schlussendlich
nach einiger Zeit deutlich: „Wer ein Problem
mit meinem schwulen Sohn hat, darf
nicht mehr über meine Türschwelle!“
/ RAMBAZAMBA / 31