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„Das kannst du machen, wenn du verheiratet bist!“ „Da kannst du dann mit deinem Mann

hin!“ – Was, wenn eine junge Frau gar nicht heiraten möchte? Was, wenn sie nicht auf

einen Mann angewiesen sein will, um vom Elternhaus unabhängig zu werden? „Ayıp!“

Autorin Şeyda Gün hat es satt, die „vorbildliche“ Tochter in der kurdischen Community

zu sein, auch auf die Gefahr hin, als „eine Schande“ abgestempelt zu werden.

Von Şeyda Gün, Fotos: Zoe Opratko

Ayıp!“ (übersetzt: eine Schande).

Dieser Begriff ist für viele

Frauen aus der türkischen

oder türkischsprachigen

kurdischen Community kein Fremdwort.

Denn wir alle haben zumindest einmal in

unserem Leben etwas gesagt, getragen

oder geglaubt, dass „ayıp“ für unsere

Familie, Bekannte oder sogar Freunde

ist. Einmal war ich auf der Suche nach

einem Outfit für eine kurdische Hochzeit

in Wien. Meine Mama

wollte, dass ich mich der

Community entsprechend

kleide: Das Kleid dürfe auf

keinen Fall zu kurz sein

oder einen Ausschnitt

haben, denn es wäre

„ayıp“, wenn ich nicht

angemessen gekleidet

wäre. Obwohl meine Familie

sich niemals in mein

äußeres Erscheinungsbild

einmischte und mich so

respektierte, wie ich bin,

ging es hier darum, was

andere Menschen in der

Community über mich

denken oder gar reden

würden, wenn ich mir

ein etwas „freizügigeres“

Outfit für den anstehenden Anlass

aussuchen würde. Im Endeffekt habe ich

dann getragen, was mir gefallen hat – ob

die „Leute reden“ ist mir egal.

Denn: Wer bestimmt, wann was

warum „ayıp“ ist? Sowohl in der türkischen

als auch in der kurdischen

Community können viele Dinge eine

„Schande“ für Frauen sein. Mütter und

Väter sind beispielsweise besonders stolz

auf ihre Söhne, wenn die feste Freundin

vorgestellt wird. Wenn die Tochter den

festen Freund aber vorstellen möchte,

herrscht Ausnahmezustand unter den

vier Wänden. Das ist doch ayıp! Frauen

können doch nur den Mann vorstellen,

den sie auch später heiraten, das

besagt der imaginäre Gesetzeskodex der

Community. Bereits in jungen Jahren

werden Mädchen darauf aufmerksam

gemacht, sich „vorbildlich“ innerhalb der

Community zeigen zu müssen. Vorbildlich

sein heißt, in die Schule zu gehen

und dann sofort wieder nachhause,

Den Lästereien in ihrer Community dreht die Autorin den Rücken zu.

nicht bei Freundinnen am Wochenende

übernachten, denn Pyjamapartys sind

ein Tabu. Vorbildlich sein heißt, nicht auf

Partys gehen, nicht im Club zu tanzen.

Auch ich kenne das nur zu gut. Als ich

meiner Mama im Teenageralter sagte,

ich möchte auf Pyjamapartys, dachte sie,

ich scherze. Sie hatte kein Verständnis

dafür, wieso ich bei meinen Freundinnen

zu Hause übernachten sollte. Für

sie war das „ayıp“. Was würden denn

andere dazu denken? Ich erklärte ihr,

dass es das normalste auf dieser Welt

sei und es nur in unserer Kultur einfach

kein Verständnis dafür gebe. Sie

hat sich im Endeffekt mit der Tatsache

angefreundet und akzeptiert, dass es

eine Welt außerhalb unserer Kultur auch

gibt und nichts dagegenspricht, wenn

ich mit meinen Freunden meinen Spaß

habe. Die Pyjamapartys aka Homepartys

waren somit kein Problem mehr. Hätte

ich dieses Gespräch nie gesucht und

versucht, ihr eine Welt außerhalb unserer

Kultur zu erklären, wäre

nie etwas aus den Partys

geworden. Ich kann mich

in dieser Hinsicht glücklich

schätzen, dass dieses

Verständnis entstand.

Heute denke ich an meine

Zeit im Gymnasium zurück

und liebe die Erinnerungen.

Die schönste Zeit,

die lustigsten Erlebnisse,

mit den besten Leuten. All

das, weil ICH mich durchgesetzt

habe.

In unserer Community

heißt „vorbildlich sein“

vor allem, dem Weltbild

der Community gemäß zu

leben, ohne die eigenen

Bedürfnisse jemals

ausleben zu dürfen. Wenn du als Frau

nicht den „vorbildlichen“ Funktionen der

Gesellschaft entsprichst, beginnt deine

Community über dich zu sprechen. Gibt

es Gossip in deiner Community über

dich? Uff, ayıp. Es ist ein Weltuntergang

für Familien, wenn schlecht über die

Tochter gesprochen wird, es ist eine

Schande. Heute frage ich mich, wer

überhaupt das Recht hat, mir und allen

anderen Frauen vorschreiben zu dürfen,

was ayıp ist oder nicht. Ich bestimme für

mich, du bestimmst für dich. Punkt.

/ EMPOWERMENT SPECIAL / 49

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