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Erinnerungen an Lauterbach, Kreis Reichenbach in Schlesien

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kommentierte die Szene. " Das wärs, das war der letzten Zug, über diese Brücke fährt ke<strong>in</strong> Zug<br />

mehr, sie wird e<strong>in</strong> Opfer mehr von den vielen Sprengkomm<strong>an</strong>dos, die den Rückzug der Deutschen<br />

begleiten. In Neurode traf ich zu me<strong>in</strong>er Überraschung me<strong>in</strong>en Onkel der bei der Wehrmacht war. Er<br />

machte mich auf die sogen<strong>an</strong>nten Kettenhunde aufmerksam und vertraute mir h<strong>in</strong>ter vorgehaltener<br />

H<strong>an</strong>d, dass alle die Soldaten, die sich nicht ausweisen konnten sofort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> der Nähe<br />

bef<strong>in</strong>dlichen Baracke st<strong>an</strong>drechtlich erschossen wurden. Noch heute k<strong>an</strong>n ich - wie damals als noch<br />

sehr junger Mensch - nicht verstehen, dass so kurz vor dem Zusammenbruch noch so viele<br />

Menschen ihr Leben lassen mussten. Das Elend der Bevölkerung und der deutschen Wehrmacht war<br />

jedoch mit dem Kriegsende am 8. Mai 1945 nicht zu Ende, es beg<strong>an</strong>n nur e<strong>in</strong> neues Kapitel. Die<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge, die Zuflucht <strong>in</strong> den südlichen Bergen und der Grafschaft gesucht und gefunden hatten,<br />

kehrten wieder <strong>in</strong> ihre Heimatdörfer zurück. Alle Flüchtl<strong>in</strong>ge, die jedoch die Neiße überschritten<br />

hatten, wurden schon damals - also l<strong>an</strong>ge vor der sog. Potsdamer Konferenz - nicht mehr <strong>in</strong> die<br />

Heimat gelassen. In Görlitz spielten sich unbeschreibliche Dramen ab. Aber niem<strong>an</strong>d wurde<br />

verschont. Hunger, Krätze, Typus, e<strong>in</strong> unendliches Leid und Elend waren die Melodien der<br />

Schreckenszeit. Die Deutschen waren hilflos und vorgelfrei, verspottet wie Christus am Kreuz von<br />

se<strong>in</strong>en Häschern. "Wenn du Gottes Sohn bist, d<strong>an</strong>n hilf dir doch selbst". Hauptnahrung für uns waren<br />

Kartoffeln und Viehsalz. Letzteres f<strong>an</strong>den wir noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Stall im Dom<strong>in</strong>ium. Ausgewaschen und<br />

getrocknet war es <strong>in</strong> der Not e<strong>in</strong>e g<strong>an</strong>z wichtige Beigabe zu den Kartoffeln.<br />

Es dauerte nicht l<strong>an</strong>ge, da zog e<strong>in</strong> russisches Komm<strong>an</strong>do <strong>in</strong> das Dom<strong>in</strong>ium e<strong>in</strong>. Diese brachten auch<br />

Pferde aus Bögendorf mit. Wie <strong>in</strong> diesen Chaostagen üblich, hatten die Russen e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>ige<br />

Jungen zw<strong>an</strong>gsverpflichtet, aus dem <strong>Kreis</strong> der Familie entrissen und als Treiber für die geraubten<br />

Viehherden gezwungen. So bewegten sich unzählige Herden aus den deutschen L<strong>an</strong>den <strong>in</strong> die<br />

unendlichen Weiten der russischen Länder.<br />

Das Komm<strong>an</strong>do hatte aber den Vorteil, wir wurden von plündernden Polen und russischen<br />

Vergewaltigungsorgien von durchziehenden Soldaten verschont. Menschen aus dem Dorf holten sich<br />

öfter auch bei Plünderungen und Ause<strong>in</strong><strong>an</strong>dersetzungen von Polen und Deutschen diese Männer zu<br />

Hilfe.<br />

Ich arbeitete mit Frau Seeliger <strong>in</strong> der Küche. Kartoffeln, Salz und Milch waren immer noch alles was<br />

wir hatten. Die Russ<strong>in</strong> Maria beschwerte sich. Wir machten ihr klar, dass wir nichts <strong>an</strong>deres hatten.<br />

Nun wurde ab und zu im Schlachthaus von Fleischermeister Dierig e<strong>in</strong>e Kuh geschlachtet. Abfälle<br />

wurden e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> die L<strong>an</strong>dschaft oder den Bach geworfen. Die Russ<strong>in</strong> löste uns <strong>in</strong> der Küche ab.<br />

Iw<strong>an</strong> brauchte aber auch im Stall Frauen zum Kuhmelken. Für die Verpflegung wurde gearbeitet,<br />

zweimal täglich bekam Jeder e<strong>in</strong>e Suppe. Graupen und Peluschken - e<strong>in</strong>e schwarz Erbse - war zwar<br />

e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>töniger Speisepl<strong>an</strong> und wo es gekocht wurde, k<strong>an</strong>n ich heute noch nicht g<strong>an</strong>z genau sagen.<br />

Es waren - so me<strong>in</strong>e ich - zwei Frauen, Frau Bendschneider gehörte wohl dazu. Alle zehn Tage gab<br />

es pro Arbeitskraft e<strong>in</strong> Eimer Sauerkraut, e<strong>in</strong> Brot. K<strong>in</strong>der und alte Menschen bekamen da nicht.<br />

Später gab es auch etwas Geld, mal mehr, mal weniger. Me<strong>in</strong>e Mutter sagte immer: " Wenn Iw<strong>an</strong> <strong>in</strong><br />

die Tasche greift gibt es viel, <strong>an</strong>dernfalls wenig". E<strong>in</strong>e Zeit arbeitete ich als Apothekenhelfer<strong>in</strong> mit<br />

e<strong>in</strong>em Tierarzt zusammen. E<strong>in</strong>e Weile g<strong>in</strong>g es g<strong>an</strong>z gut, bis mir der Dr. zu sehr auf die Pelle rücken<br />

wollte. Ich n<strong>an</strong>nte ihn e<strong>in</strong> russische Schwe<strong>in</strong>, bekam e<strong>in</strong>e Ohrfeige und r<strong>an</strong>nte was das Zeug hält<br />

davon. Nun arbeitete ich bei den Polen auf dem Hof von Gast-Alfred. E<strong>in</strong>es Tages kam aber der Iw<strong>an</strong><br />

und forderte mich auf, im Dom<strong>in</strong>ium zu arbeiten. Ich nahm mir e<strong>in</strong>en Eimer, g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den Kuhstall und<br />

lies Iw<strong>an</strong> sitzen. Um 13 Uhr war er wieder da, doch jetzt wurde es ernst. "In zehn M<strong>in</strong>uten trittst Du<br />

De<strong>in</strong>e Arbeit <strong>an</strong>" war se<strong>in</strong> drohender Befehl. Ich lief nach Hause, packte etwas Wäsche en und floh<br />

durch das H<strong>in</strong>terfenster, da Iw<strong>an</strong> die Haustür e<strong>in</strong>schlug.<br />

In <strong>Reichenbach</strong> f<strong>an</strong>d ich Arbeit bei e<strong>in</strong>em Juden. Sie hatten den Textiladen von Eitner-Paul. In<br />

<strong>Lauterbach</strong> dufte ich mich natürlich nicht mehr sehen lassen. Dennoch schlich ich mich e<strong>in</strong>ige Male<br />

durch die Eichberge, musste aber vor Tages<strong>an</strong>bruch wieder das Dorf verlassen. Auf diesen<br />

nächtlichen Trips waren mir die Eichberge immer etwas unheimlich . Inzwischen hatte sich der Iw<strong>an</strong><br />

wieder beruhigt und so durfte ich nach Hause kommen. Arbeiten tat ich hier und dort bei<br />

verschiedenen Polen . E<strong>in</strong>es Tages hörte ich lautes Gebrüll aus unserer Küche. Da sah ich den<br />

"Sat<strong>an</strong>" - den wir wegen se<strong>in</strong>er Grausamkeiten so n<strong>an</strong>nten - der mit e<strong>in</strong>em Messer me<strong>in</strong>e Mutter<br />

bedrohte. Ich schaute ihn <strong>in</strong> die Augen und gab ihm mit Gesten zu verstehen: "Das nicht gut". Zu<br />

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