BOKU Magazin 4/2022

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tung ergibt sich, wenn jemand für etwas zuständig ist und darüber Rede und Antwort stehen muss. Verantwortung kann also gar nicht anders als in Grenzen erfolgen. Es muss klar sein, wer für was zuständig ist und welche Instanz das Recht und die Möglichkeit hat, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Das macht es so schwierig, gegenüber zukünftigen Generationen Verantwortung zu übernehmen: Diesen kann man noch nicht Rede und Antwort stehen, es bedarf also Vertreter oder Einrichtungen, die schon jetzt im Namen der Ungeborenen, die sie nicht kennen, sprechen. RATIONALE WELTERSCHLIESSUNG Was bedeutet dies für die Wissenschaften? Gehört das Prinzip Verantwortung zu ihrer „Kultur“? Wissenschaftskultur bedeutet, an den Formen rationaler Welterschließung und den Prinzipien der Aufklärung in einer Zeit festzuhalten, die aufgrund von Krisen und Unsicherheiten dazu tendiert, ins Esoterische und Irrationale, Diffuse und Gefühlige, Ideologische und Schwärmerische abzugleiten. Kultiviert sind Wissenschaften, wenn sie in einer geregelten Form stattfinden, zu denen vorrangig die Einrichtung der Universität gehört. Die Idee der Universität als kulturelle Einrichtung leitet sich ab von der mittelalterlichen universitas magistrorum et scholarium, der „Gemeinschaft der Lehrer und Schüler“, die später im Sinne Humboldts zu einer universitas litterarum, der „Gesamtheit der Wissenschaften“ wurde. Universitäten stehen für eine Kultur der Kommunikation (Gemeinschaft, Gesamtheit), aber auch für eine Kultur der Auseinandersetzung (Streit, Wettbewerb, Dialog als Diskurs). Wissenschaftliche Kontroversen könnten auch als Modell für die rationale Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte dienen. Die Wissenschaften selbst stehen prinzipiell in einer dreifachen Verantwortung: der Natur, umfassender: der Biosphäre gegenüber, die sie wissenschaftlich erschließen und praktisch gestalten will – das schließt den Gedanken an die zukünftigen Entwicklungen mit ein; der Gesellschaft gegenüber, die mitunter völlig divergente Ansprüche an den Umgang mit der Natur hat; und sich selbst gegenüber. Die Verantwortung der Wissenschaft gründet, so meine These, in ihrer besonderen Freiheit. Sie ist vorrangig und in erster Linie ihren eigenen Methoden und Wahrheitsansprüchen gegenüber verantwortlich. RINGEN UM DAS BESSERE ARGUMENT Wissenschaft ist keine Gesinnung, keine Ideologie, keine moralische Haltung, sondern ein rational überprüfbares Verfahren zur Gewinnung von Erkenntnissen. Ihre Verantwortung der Natur und der Gesellschaft gegenüber ergibt sich aus diesem Ansatz. Verantwortungslos handelte eine Wissenschaft, die sich ganz in den Dienst wirtschaftlicher oder politischer Kräfte stellte und dabei ihre eigenen Prinzipien untreu würde, Forschungsergebnisse manipulierte oder aus moralisch-politischen Bedenken zurückhielte. Umgekehrt gilt aber auch im Sinne einer Verantwortungsethik: Wissenschaft hat sehr wohl die möglichen Konsequenzen ihrer Forschungen mitzubedenken und im Dialog mit der Gesellschaft zu reflektieren. Das betrifft nicht nur die Technikfolgenabschätzung auf unterschiedlichsten Ebenen – von der Künstlichen Intelligenz bis zur Gentechnik –, sondern auch die möglichen Implikationen sozial- oder kulturwissenschaftlicher Christoph Gruber | BOKU IT Klaus Langer Theoriebildung. Bei all dem aber gilt – und hier möchte ich aus aktuellen Gründen einen Schwerpunkt der Verantwortung der Wissenschaft sehen –: Wissenschaft darf sich nie gegen Kritik immunisieren. Wissenschaft lebt von der kontroversen Auseinandersetzung, vom Ringen um das bessere Argument. Wissenschaft ist kein Austausch von Meinungen, die man beliebig vertreten oder verwerfen kann, sondern unterliegt der Begründungspflicht. In dieser aber muss sie absolut frei sein. Es ist ein Zeichen des Verfalls, wenn auf universitärem Boden akademische Veranstaltungen, die durchaus den Regeln der Wissenschaft gehorchen, nicht stattfinden dürfen, weil sich Menschen dabei unbehaglich fühlen. Natürlich: Wissenschaft soll nie ad hominem, sondern stets sachlich argumentieren. Aber wir dürfen nicht vergessen, auch und gerade im Zusammenhang mit den elaborierten Lebenswissenschaften, dass die großen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die unsere moderne Welt erst möglich gemacht haben und denen sich auch die Gründung dieses Hauses verdankt, für viele Menschen bis heute eine ungeheure Kränkung darstellen: dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung, sondern ein evolutionär entwickelter Teil der Natur und dass unser bewusster Wille nicht so souverän und frei ist, wie wir es uns manchmal vorstellen. Die Verantwortung der Wissenschaft beweist sich in dem immer wieder von neuem auf die Probe gestellten Mut, Menschen auch mit unangenehmen Wahrheiten zu konfrontieren. Sie beweist sich aber auch im Mut sich einzugestehen, dass alle wissenschaftliche Erkenntnis vorläufig ist und Wissenschaft ein offenes und unabschließbares Unternehmen ist. Diesen Mut, die Offenheit, diese Lust und Freude an der Erkenntnis wünsche ich dieser Universität in diesen schwierigen Zeiten ebenso wie in einer hoffentlich etwas besseren Zukunft. • Konrad Paul Liessmann ist Philosoph, Essayist und Kulturpublizist. Vor seiner Emeritierung hatte er einen Lehrstuhl für „Methoden zur Vermittlung von Philosophie und Ethik“ an der Universität Wien inne. 6 BOKU Magazin 4 | 2022
Fotos: BOKU/Christoph Gruber 150 Jahre nachhaltig vorausschauen Ein Rückblick auf das Jubiläumsjahr 2022 Rektorin Eva Schulev-Steindl Altrektor Hubert Hasenauer „Earth Song“: Die BOKU Blaskapelle Moderatorin Raffaela Schaidreiter Altrektor Manfried Welan „GÄBE ES HEUTE DIE BOKU NICHT BEREITS, MÜSSTE MAN SIE MORGEN ERFINDEN“ Bunt, vielfältig, musikalisch, kritisch – mit einem Rückblick auf die vergangenen 150 Jahre sowie einem Blick in die Zukunft wurde am 31. Jänner 2022 das Jubiläumsjahr der BOKU im Ilse-Wallentin-Haus eingeläutet. Poetry Slammerin Estha Sackl Die Medienstelle hat den Livestream im Blick. BOKU Magazin 4 | 2022 7
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