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FINE - Das Festivalmagazin

Magazin zum 26. Rheingau Gourmet & Wein Festival

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eine Witwe. Ihr Ehemann Charles de Nonancourt war<br />

1924 gestorben. Den vier Kindern war aus Gründen<br />

der Erbfolge eine Karriere bei Lanson verwehrt. So<br />

hatte Marie-Louise das Haus Laurent-Perrier für<br />

ihren ältesten Sohn Maurice erworben – während<br />

der zweitgeborene Bernard die Keimzelle der Maison<br />

Lanson übernehmen sollte: das Champagnerhaus<br />

Delamotte, das seine Mutter nach dem Tod ihres<br />

Vaters geerbt und in Le-Mesnil-sur-Oger wiederbelebt<br />

hatte. Angeleitet durch Henri Gondry, den<br />

Generaldirektor von Lanson, hatte Bernard de<br />

Nonancourt schon früh Hand mit angelegt, schließlich<br />

hatte ihn schon sein Großvater Lanson als<br />

Belohnung für gute Schulnoten Stillweine probieren<br />

lassen. Doch dann kam der Krieg, und die beiden<br />

Brüder schlossen sich der Résistance an. Während<br />

Maurice im Konzentrationslager Oranienburg starb,<br />

kehrte Bernard als Kriegsheld des Freien Frankreich<br />

nach Tours-sur-Marne zurück. Nach mehrjähriger<br />

Einarbeitung bei Delamotte – wo dann der<br />

jüngste Bruder Charles seinen Platz einnahm – wurde<br />

er schließlich 1949, mit achtundzwanzig Jahren,<br />

Generaldirektor von Laurent-Perrier.<br />

Mehr als sechs Jahrzehnte lang, bis zu seinem<br />

Tod im Jahr 2010, hat er die Geschichte<br />

des Hauses und seiner Weine geprägt. Hat<br />

mit Geschick alte Verträge mit Traubenzulieferern<br />

verlängert und neue geschlossen, indem er sie auf<br />

Qualitätsstandards verpflichtete – ein Schlüssel,<br />

warum die Qualität trotz des immensen Wachstums<br />

weiter ansteigt. Gemäß dem Motto der Maison –<br />

»De Turri super Matronam quo non ascendam« –<br />

Wie weit werde ich mich von Tours-sur-Marne aus<br />

erheben? – öffnete er zahlreiche neue Vertriebswege,<br />

etwa im noch jungen Duty-Free-Markt<br />

oder auf dem afrikanischen Kontinent. Vor allem<br />

aber prägte er einen völlig neuen frischen und<br />

reduktiven Champagnerstil. Als einer der Ersten<br />

in der Region verbannte er in den frühen sechziger<br />

Jahren die Eichenfässer aus dem Keller und ersetzte<br />

sie durch Zementtanks, später durch Edelstahl. Der<br />

Chardonnay stieg zur Leitrebsorte auf. »Wir suchen<br />

nicht nach Kraft, und Holz gehört nicht zu unserem<br />

Wortschatz« lautete ein Bekenntnis. <strong>Das</strong> kam auch<br />

im Paris der Nachkriegsjahre gut an. Champagne<br />

Laurent-Perrier wurde, wie sich die Weinautorin<br />

Serena Sutcliffe erinnert, zum »Bon chic bon genre«,<br />

zum In-Drink der tonangebenden und stilbewussten<br />

Upper-Class.<br />

Doch auch einzelnen Cuvées drückte Bernard<br />

de Nonancourt seinen Stempel auf: Etwa den beiden<br />

Rosé-Champagnern, die 1968 (die klassische Cuvée)<br />

beziehungsweise 1987 (die Luxus-Cuvée Alexandra)<br />

auf den Markt kamen und nach der aufwendigen<br />

»Méthode de macération« erzeugt werden, die<br />

sich aus der bedeutenden Champagner-Stillwein-<br />

Produktion entwickelte, für die das Haus seinerzeit<br />

berühmt war. Und 1981 belebte er den Sans Sucre der<br />

Witwe Laurent-Perrier als Ultra Brut wieder: Erzeugt<br />

aus hochreifem Lesegut war ihm im Zeichen der<br />

Nouvelle Cuisine ein ungleich günstigeres Schicksal<br />

bestimmt als seinem Urahn. Allem voran aber ist es<br />

der Grand Siècle, der sich mit dem Namen Bernard<br />

de Nonancourt verknüpft; er ist sein wohl wichtigstes<br />

Vermächtnis.<br />

Ausgangspunkt für den Grand Siècle waren<br />

die Erfahrungen, die der junge Bernard de<br />

Nonancourt bei der Assemblage der Lanson-<br />

Champagner gemacht hatte. Er erinnerte sich: »<strong>Das</strong><br />

alles war außerordentlich seriös, fast andächtig. Bis<br />

dahin wurde die Prestige-Cuvée aus Weinen eines<br />

einzigen Jahrgangs bereitet und als Jahrgang ausgebaut;<br />

ich sagte mir, das muss man verbessern und<br />

nach der höchsten Assemblage suchen.« Bestand<br />

nicht der Kern der Champagner-Herstellung in<br />

der Assemblage, warum dann nicht auch bei einer<br />

Prestige-Cuvée? Nach der Auffassung von Bernard<br />

de Nonancourt sollte die Kunst des Kellermeisters<br />

die Natur gleichsam besiegen, aus besten Bestandteilen<br />

den perfekten Jahrgang komponieren, philosophisch<br />

gesprochen: aus der Wirklichkeit die Idee<br />

des Champagners herausarbeiten. Deshalb ergibt<br />

es aus der Sicht des Hauses auch keinen Sinn, vom<br />

Grand Siècle als einem Multi-Vintage-Champagner<br />

zu sprechen, wie etwa beim Clos du Moulin von<br />

Cattier, der als Einzellagen-Champagner ebenfalls<br />

aus drei Jahrgängen assembliert wird. Der Grand<br />

Siècle als Quintessenz der Kunst der Assemblage will<br />

keine konkreten Jahrgänge verkörpern, sondern den<br />

idealen Jahrgang an sich. Die Formel dafür besteht<br />

in einem Blend aus drei großen Jahrgängen: einem<br />

für die Struktur, einem für die Finesse und einem<br />

für die Frische. Dazu gehört heute der Ausbau von<br />

Grand-Cru-klassifizierten Weinen in Zement und<br />

Edelstahl, eine Assemblage im Verhältnis von 55 Prozent<br />

Chardonnay zu 45 Prozent Pinot Noir sowie eine<br />

Reifung auf der Hefe von acht Jahren (Normalflasche)<br />

bis zehn (Magnum) und natürlich die Abfüllung in<br />

der einem historischen Vorbild nachempfundenen<br />

Als Ort exklusiver Veranstaltungen nutzt die Maison Laurent-<br />

Perrier das vier Kilometer südöstlich von Reims gelegene<br />

Château Louvois. In den Kellern des Weinguts in Tours-sur-Marne<br />

reifte auch die Cuvée Rosé Brut, der weltweit erfolgreichste<br />

Rosé-Champagner. Seit 2014 lenkt der Agraringenieur Stéphane<br />

Dalyac als CEO die Geschicke des Hauses.<br />

Schwanenhalsflasche, deren dünne Öffnung von<br />

nur sechsundzwanzig statt der üblichen neunundzwanzig<br />

Millimeter möglichst wenig Luftkontakt<br />

zulassen soll.<br />

Dreiundzwanzig Cuvées sind seit 1959 auf den<br />

Markt gekommen – zunächst aus dem Trio 1952-<br />

1953-1959 –, und in allen wurde versucht, den idealen<br />

Jahrgang zu rekonstruieren. Einige Jahre lang hat<br />

freilich die schnöde Wirklichkeit die Reinheit dieses<br />

Konzepts etwas verwässert. Dem enormen Wachstum<br />

des Hauses in der Nachkriegszeit war insofern Tribut<br />

zu zollen, als eine Reihe mehr oder weniger stiller<br />

Teilhaber in die Gesellschafter integriert werden<br />

musste. Vor allem der amerikanische Getränkekonzern<br />

Heublein, der schließlich in United Distillers<br />

& Vintners (UDV) aufging und für Laurent-Perrier<br />

auch den Vertrieb im wichtigen Absatzmarkt USA<br />

besorgte, hatte sich daran gestört, dass die Prestige-<br />

Cuvée des Hauses, anders als die Konkurrenz, kein<br />

Millésimé, also kein Vintage-Champagner war. So<br />

entstand auf dessen Druck eine Reihe von Jahrgangschampagnern<br />

unter dem Label Grand Siècle:<br />

1985, 1988, 1990 (Lumière du Millénaire), 1995 und<br />

schließlich 1996. Auch der Rosé Alexandra, der von<br />

vornherein als Vintage-Champagner konzipiert war,<br />

wurde in den ersten Jahrgängen als Grand Siècle Brut<br />

Rosé etikettiert. <strong>Das</strong> waren<br />

offensichtliche Widersprüche<br />

zu der Grundidee<br />

des Grand Siècle, die<br />

Sammler und Kritiker zu<br />

Recht irritierten.<br />

Erfahrungen wie<br />

diese bewogen die Familie<br />

de Nonancourt in den<br />

für die Champagne außerordentlich<br />

turbulenten<br />

neunziger Jahren zum<br />

Rückkauf der Fremdbeteiligungen<br />

und zum<br />

anschließenden Börsengang.<br />

Seit 1999 ist die<br />

Laurent- Perrier-Gruppe<br />

ein Aktien unternehmen,<br />

das aktuell zu mehr<br />

als sechzig Prozent in<br />

Familien besitz ist. Dazu<br />

gehören neben Champagne<br />

Delamotte und Salon<br />

(1988 erworben von der<br />

Gruppe Pernod-Ricard)<br />

auch de Castellane (über<br />

die Familie von Claude<br />

Mérand, der Ehefrau von<br />

Bernard de Nonancourt)<br />

sowie das 2004 erworbene Château Malakoff mit seinen<br />

sechzig Hektar Grand-Cru-Weinbergen. Damit<br />

hat die Maison Zugriff auf das Lesegut aus eintausendsechshundert<br />

Hektar (darunter einhundertsechzig<br />

Hektar Eigenbesitz), eine Größe, die dem Dreifachen<br />

der Weinregion Ahr entspricht. Doch nicht<br />

um der Größe willen sind die Flächen so umfangreich,<br />

sondern weil dadurch die Auswahl an Parzellen<br />

für die Spitzenerzeugnisse des Hauses wie den<br />

Grand Siècle vermehrt werden konnte.<br />

Heute wird Laurent-Perrier von Alexandra<br />

Pereyre de Nonancourt und Stéphanie<br />

Meneux de Nonancourt, den beiden<br />

Töchtern von Bernard de Nonancourt, geführt,<br />

unterstützt von CEO Stéphane Dalyac und Chef<br />

de cave Michel Fauconnet. Tatsächlich war es noch<br />

einmal ein Schreckensmoment für die Maison, als der<br />

charismatische Patriarch 2010, kurz nach Ausbruch<br />

der Finanzkrise, starb, der familienfremde Geschäftsführer<br />

das Haus verließ und Verkaufsgerüchte die<br />

Runde machten. Davon ist mittlerweile keine Rede<br />

mehr: 2011 präsentierte die studierte Designerin<br />

Alexandra de Nonancourt den neuen Markenauftritt,<br />

und 2012 wurde nicht nur mit großem Aufwand<br />

die 200-Jahrfeier in Szene gesetzt, sondern auch<br />

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